Echtzeit-Test für Stromzukunft 15.07.2021, 07:01 Uhr

Fraunhofer-Forschende testen: Wie sicher ist das Stromnetz der Zukunft?

Die Stromversorgung wird künftig dezentraler. Es kommen immer mehr und kleinere Anlagen hinzu, die Strom einspeisen. Die Versorgungsqualität soll auf gewohnt hohem Niveau bleiben. Die verschiedenen Szenarien können Forschende jetzt in Echtzeit testen: im Digital Grid Lab vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Zwei Forschende am Hardware-in-the-Loop-Computer

Herzstück des neuen Digital Grid Lab am Fraunhofer ISE ist ein leistungsstarker Power Hardware-in-the-Loop Simulator (HIL).

Foto: Fraunhofer ISE

„Die Integration sowohl zentraler als auch flukturierender dezentraler Systeme und der Erhalt der Netzstabilität sind eine große Herausforderung für die Netzbetreiber. Mit dem Digital Grid Lab erweitert das Fraunhofer ISE seine Kompetenzen im Bereich Netzsimulation und kann das Netz und die Kommunikation darin in Echtzeit betrachten“, erklärt Christof Wittwer, Bereichsleiter Leistungselektronik, Netze und intelligente Systeme am Fraunhofer ISE.

Die Herausforderungen betreffen alle Stromnetze in Europa. Entscheidend ist, dass gerade auf den unteren Netzebenen, die kleinen Einspeiseanlagen und Speicher, die neuen Verbraucher und Akteure intelligent vernetzt, digital gesteuert und gemanagt werden können. In dem neuen Digital Grid Lab haben Forschende nun die Möglichkeit, die für das Stromnetz notwendigen Komponenten, Netzregelungskonzepte sowie Betriebsführungsstrategien in Echtzeit zu testen.

Fraunhofer ISE bildet Stromnetz als Modell nach

Sechs leistungsstarke sogenannte Hardware-in-the-Loop-Computer (HIL) bilden das Herzstück des neuen Labors. Mit ihnen ist es möglich, Stromnetze als Modell nachzubilden mit bis zu 2.000 Knotenpunkten, und das Verhalten in zeitlich hoher Auflösung zu erproben. Der Clou: In dieser Anlage lassen sich auch kritische Netzsituationen simulieren, ohne dabei das echte Stromnetz in Gefahr zu bringen. Die Testumgebung ermöglicht Simulationen für Geräte oder Anlagen an Netzknotenpunkten, sowie für autarke Micro-Grids, also kleine Stromnetz-Einheiten, smarte Quartiere und Verteilnetze.

Diese Simulation wird durch acht flexibel schaltbare Leistungsverstärker unterstützt, die eine Gesamtleistung von 800 Kilovoltampere (kVa) bieten. Dabei ist es möglich, Batterien und Erzeuger, zu denen beispielsweise Photovoltaik-(PV)Anlagen gehören, in Hardware nachzubilden. Darüber hinaus erlaubt diese Infrastruktur auch die Betrachtung von AC- oder DC-Netzen, also Wechsel- und Gleichstrom. Möglich wird das durch den Einsatz eines digitalen Zwillings.

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Für das Stromnetz spielt künstliche Intelligenz eine große Rolle

„Der digitale Zwilling auf dem HIL-Rechner ist dank einer Bibliothek von Modellen sehr flexibel konfigurierbar. Wir können Stromnetze unterschiedlicher Größen und Spannungsebenen simulieren und sowohl private als auch gewerbliche Energiesysteme nachbilden. Der Zwilling ermöglicht die Evaluierung und Optimierung von Komponenten, Energiemanagementsystemen und Kommunikationsstandards in einer sicheren realitätsnahen Umgebung“, erklärt Bernhard Wille-Haußmann, Gruppenleiter Netzbetrieb und Netzplanung und zugleich Leiter des neuen Digital Grid Lab.

Künstliche Intelligenz (KI) wird in Zukunft eine wichtige Rolle bei digital gesteuerten und intelligent vernetzten Einspeisern und Verbrauchern im Stromnetz spielen. Um die verschiedenen Methoden und Einsatzmöglichkeiten von KI zu erproben, gibt es im Digital Grid Lab auch eine Leitwarte. Im Mittelpunkt der Tests stehen dabei Regelungsalgorithmen und Betriebsstrategien für Smart Grids. Der HIL-Rechner wird dabei praktisch zum digitalen Zwilling. So wird es möglich, für die Leitwarte ein Stromnetz und sogar dessen Kommunikation zu simulieren. Damit ist der Test realitätsnah, stellt aber eben keine Gefahr für den echten Netzbetrieb dar.

Forschende testen auch Ladestationen für E-Autos

Im Digital Grid Lab können zudem verschiedene energietechnische Komponenten geprüft werden. Dazu zählen unter anderem Batteriesysteme, Speicher für PV-Anlagen, Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen. Da die Elektromobilität zunehmend Fahrt aufnimmt und sich zahlreiche Automobilhersteller bereits entschieden haben, ab einem gewissen Zeitpunkt keine Autos mit Verbrennungsmotor herzustellen, ist es sinnvoll, auch das Lademanagement von E-Autos im Hinblick auf das Stromnetz genauer zu untersuchen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer ISE haben dafür den digitalen Zwilling eines Elektrofahrzeugs entwickelt. Damit lässt sich praktischerweise nicht nur ein E-Auto simulieren, sondern sogar ein ganzer Fuhrpark – inklusive der Leistungsflüsse und Kommunikation mit den Lademöglichkeiten.

E-Autos im Rekordtempo laden – an der Straßenlaterne!

Dadurch ist es möglich, ganz unterschiedliche Arten von Ladestationen zu testen. Die Forschenden legen dabei ihren Fokus auf die Netzrückwirkung und das Zusammenspiel mit intelligenten Mess- und Energiemanagementsystemen fürs Stromnetz. Im Digital Grid Lab kann die Netzkonformität und Kommunikation von Ladesteckern und -modi nach den Normen IEC 62196, IEC 61851 und ISO 151888 geprüft werden. Damit wird die gesamte Signalkette und das Verhalten der Geräte auf externe Markt- und Steuersignale abgebildet. Die Prüfung auf Kompatibilität kann aufgrund zahlreicher realer Ladestationen herstellerneutral und sicher erfolgen.

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Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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