Interview 21.04.2023, 09:40 Uhr

Umgangsformen 4.0: Wie kann man souverän bei einem Vorstellungsgespräch auftreten?

Der Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel, der nachhaltige Lebensstil beeinflusst auch die Arbeitgeberwahl. Es gibt viele Veränderungen, auch im Berufsleben. Über das souveräne Auftreten bei Vorstellungsgesprächen in jetzigen Zeiten sprechen wir mit der Karriere-Beraterin Birgit Wolf.

Vorstellungsgesprach online

Das digitale Format hat sich als Alternative zum persönlichen Gespräch etabliert.

Foto: PantherMedia / AndreyPopov

Frau Wolf, man spricht jetzt immer häufiger von den sogenannten „Umgangsformen 4.0“. Was verstehen Sie darunter?

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Stichworte sind Digitalisierung, Flexibilisierung, Internationalisierung, agiles Arbeiten, New Work.

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Viele Berufstätige nutzen heute mobile und flexible Arbeitsweisen – daher verläuft die Grenze zwischen reinem Privat- und reinem Berufsleben inzwischen oft fließend.

Hierarchischer Führungsstil und feste Organisationsstrukturen sind in vielen Betrieben nicht mehr zeitgemäß, vielmehr wird verstärkt in Projekten und mit agilen Methoden gearbeitet. Es gibt weniger starre Regeln, der einzelne Berufstätige kann dadurch eigenverantwortlicher und selbstbestimmter arbeiten.

Und diese Veränderungen wirken sich auch auf den Themenkomplex der Business-Etikette aus. Für mein Empfinden drängt sich förmlich die Frage auf: Wie passen denn bestimmte Umgangsformen, die gefühlt schon immer gegolten haben, in diese fundamental veränderte Arbeitswelt? Wirken bestimmte „Knigge-Regeln“ im Kontext von New Work und Digitalisierung nicht antiquiert? Die Frage ist also: Was ist denn im persönlichen Auftreten überhaupt noch wichtig und richtig? Wann verhalte ich mich denn souverän? Wann bin ich zu konservativ, wann dagegen schon wieder zu lässig? Was also ist eigentlich angemessen?

Umgangsformen 4.0 reflektieren die Veränderungen der Arbeitswelt. Sichtbar wird das zum Beispiel bei der persönlichen Anrede: Mehr und mehr Unternehmen setzen auf das pauschale „Du“ unter allen Mitarbeiter*innen. Vor ein paar Jahren war das nur in kleineren Betrieben oder bei Start-ups üblich, jetzt gilt dies auch in konservativen Branchen.

Birgit Wolf

Birgit Wolf weiß genau, wie man souverän bei einem Vorstellungsgespräch auftreten kann.

Foto: Birgit Wolf

Vorstellungsgespräch im digitalen Wandel

Wie ist Ihre Einschätzung, wurde in der letzten Zeit auch der Ablauf der Vorstellungsgespräche, bedingt durch die Pandemie und die zunehmende Digitalisierung, geändert?

Das digitale Format hat sich grundsätzlich als Alternative zum persönlichen Gespräch etabliert, zumindest für einen Teil der Gespräche, z.B. Erstgespräche. Bedingt dadurch, aber nicht nur, sind digitale Bewerbungsgespräche oft vom Ablauf her straffer und etwas kürzer. Denn bei dieser Kommunikationsform gibt es kaum nonverbale Kommunikation, auch Smalltalk ist dadurch schwieriger geworden bzw. findet kaum statt. Das bedeutet, es geht oft mehr und schneller um die Sache. Die typischen Fragen und der weitere Ablauf eines Vorstellungsgesprächs sind jedoch unverändert.

In welchen Fällen kann man Vorstellungsgespräche etwas „lockerer“ angehen?

Ich würde sagen, wenn man vorher Informationen hat, dass dies zur Unternehmenskultur passt. Aber Vorsicht: „locker“ heißt nicht schlecht vorbereitet, nachlässig oder respektlos. Wichtig ist es dabei authentisch zu bleiben – zwanghaft locker funktioniert nicht. Humor in Maßen und mit Fingerspitzengefühl ist jedoch immer ein guter Begleiter.

Das Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz hat seit Jahren immer mehr Bedeutung. Wie sieht das bei Vorstellungsgesprächen aus?

Diese Themen spielen auf jeden Fall eine große Rolle für viele Unternehmen. Das Interesse daran wird vorausgesetzt. Wichtig sind also gute Grundkenntnisse, zum Beispiel sollte man wissen was ESG (Environmental Social Governance) bedeutet und welche Beispiele es dafür gibt oder was eine Taxonomie ist. Aber Achtung: Vorsichtig sollte man mit politischen, dogmatischen oder ideologischen Statements zu diesen Themen sein.

Beim Green Recruiting geht es darum, den Bewerber*innen, die eingestellt werden sollen, das Engagement des Unternehmens für die Umwelt zu vermitteln. Worauf muss man als Bewerber*in dabei achten, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten? Ist da was besonders zu beachten oder gelten da die gleichen Regeln?

Sehr viele Unternehmen haben auf ihrer Homepage grundsätzliche Aussagen zu diesem Thema eingestellt. Sich als Bewerber*in in Vorbereitung auf das Gespräch damit inhaltlich auseinandergesetzt zu haben, halte ich für wichtig. Ansonsten verweise ich auf meine Aussagen zur vorherigen Frage.

Professionalität und Kompetenz ausstrahlen

Durch sichere Umgangsformen wird Professionalität und Kompetenz ausgestrahlt. Wir sprechen von einem souveränen Auftreten: Was zählt Ihrer Meinung nach dazu?

Souverän aufzutreten bedeutet, sich in den unterschiedlichsten Situationen des Berufslebens angemessen zu verhalten. Und zwar nicht nur in fachlicher Hinsicht. Das setzt grundsätzlich voraus, gewisse Umgangsformen verinnerlicht zu haben und auch das eigene Auftreten zu reflektieren. Das Ziel sollte sein, dass das persönliche Auftreten die fachliche Kompetenz unterstreicht. Die Faustregel lautet: Zuerst überzeugt die Person, erst dann der Inhalt.

Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die in der persönlichen Begegnung den Unterschied machen und ausschlaggebend dafür sind, ob man eine andere Person als angenehm oder eher unangenehm, als kompetent oder eher inkompetent empfindet. Das fängt schon beim Augenkontakt und dem Händedruck oder beim Outfit an und geht weiter über den Smalltalk bis hin zum Verhalten bei Tisch.

Sie haben in diesem Bereich viel Erfahrung. Was ist Ihrer Meinung nach besonders wichtig, damit man ein Vorstellungsgespräch souverän meistert?

Authentisch aufzutreten, sich nicht zu verstellen halte ich für besonders wichtig. Wenn das Verhalten antrainiert oder auswendig gelernt ist, wirkt das schnell unglaubwürdig und wird vom Gegenüber in der Regel bemerkt, wenn eventuell auch nur unbewusst.

Das Schöne an Bewerbungsgesprächen ist, dass sie grundsätzlich einem bestimmten Ablauf folgen und auch die Fragen oftmals planbar sind. Das bedeutet, dass man sich sehr gut vorbereiten kann!

Und auch wenn viele altbekannte Dresscodes heute aufgebrochen sind, so spielt das passende Outfit beim Bewerbungsgespräch weiterhin eine Rolle. Ein Bewerbungsgespräch ist immer eine Sondersituation, die mit dem Berufsalltag nichts gemeinsam hat – deshalb besser overdressed als underdressed! Das gilt übrigens auch für das digitale Gespräch – die Kleidung, die für ein persönliches Gespräch passend ist, ist es auch für den Online-Termin.

Und last but not least sollte auch der Einstieg in das Gespräch nicht unterschätzt werden. Stichworte sind hierbei Augenkontakt und ein souveräner Händedruck.

So kann man die Nervosität überwinden

Vor jedem Vorstellungsgespräch wird man logischerweise nervös. Wie kann man diese Nervosität überwinden und das Gespräch souverän führen?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es völlig normal ist, vor einem Bewerbungsgespräch angespannt zu sein. Es ist nun mal keine alltägliche Situation. Und ich würde diese Nervosität auch nicht als etwas Negatives einstufen, sondern versuchen zu akzeptieren. Angespannt zu sein, bedeutet nämlich gleichzeitig auch besonders wachsam zu sein, es zeigt, dass einem das Gespräch wichtig ist. Und das kann für das eigene Verhalten im Gespräch durchaus von Vorteil sein.

Gut vorbereitet in das Gespräch zu gehen kann im Übrigen helfen, die Nervosität abzubauen. Es gibt dem Bewerber/ der Bewerberin das Gefühl, sein/ihr Bestes geben zu können bzw. gegeben zu haben.

Small Talk: Nicht alle beherrschen die Kunst des kleinen Gesprächs. Wie und wo kann man diese Art der Gesprächsführung lernen?

Small Talk wird oft als schwierig empfunden, weil diese Gespräche im beruflichen Kontext stattfinden, es jedoch keine Tagesordnung dafür gibt, fachliche Themen eine untergeordnete Rolle spielen und sich Berufliches und Privates vermengen. So manch einer weiß dann nicht, was er sagen kann oder darf.

Um Sicherheit zu gewinnen, habe ich zwei Tipps:

  1. Bereiten Sie sich auf Small Talk vor, legen Sie sich einen Themenpool zu. Passende Themen sind zum Beispiel: das Wetter als Einstieg, die Anreise, die Örtlichkeiten, Reisen, jede Form kultureller Themen. Auch die ein oder andere persönliche Begebenheit oder Anekdote ist passend. Beachten sollte man allerdings, dass es nicht zu privat wird. Denn das Gespräch findet immer noch im geschäftlichen Kontext statt.
    Das führt zu den unpassenden Themen, den sog. Gesprächskillern. Dazu zählen persönliche Schicksalsschläge, Krankheiten, polarisierende Themen wie politische Aspekte, Religionsfragen, Finanzfragen, etc.
  2. Um das Gespräch über einen längeren Zeitraum im Fluss zu halten ist eine offene Grundeinstellung sehr hilfreich. Damit ist gemeint nicht nur von sich selbst zu reden, sondern ein Interesse an Gesprächspartner*in zu zeigen. Small Talk ist keine Einbahnstraße, sondern funktioniert am besten wie ein Ping-Pong-Spiel. Und das sieht dann in der Praxis so aus: Aufmerksam zuhören, ausreden lassen, an der passenden Stelle einhaken, eigene Beiträge bringen, Fragen stellen. Und vor allen Dingen sich an dem Gespräch zu beteiligen – wortkarge, einsilbige Antworten sind schlichtweg unprofessionell. Machen Sie sich immer bewusst: Sie sind hier in Ihrer Rolle als Berufstätige*r und nicht als Privatperson unterwegs.

Respektvolle und wertschätzende Umgang als beste Voraussetzung für guten Stil

Ist der „richtige“ Auftritt noch authentisch?

Egal, ob im digitalen oder im analogen Raum – mit unseren Worten, unserem Erscheinungsbild, unseren Tischmanieren, etc. – also mit unserem gesamten Verhalten – verraten wir sehr viel über uns selbst, auch über unsere innere Einstellung.

Umgangsformen geben dafür einen entsprechenden Rahmen, in dem man sich je nach Persönlichkeit, Anlass und Situation bewegen kann, sie sind eine Orientierungshilfe. Es geht nicht darum, sich bestimmte Verhaltensweisen anzutrainieren oder bestimmte Abläufe auswendig zu lernen und immer auf die gleiche Weise abzuspulen. Das wirkt schnell gekünstelt und wenig glaubwürdig. Wichtig sind vielmehr ein gewisses Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, was für einen selbst und die jeweilige Situation passend ist. Wenn diese Komponenten im Einklang stehen – also sowohl die Kenntnis von Umgangsformen also auch die innere Einstellung – dann wird der persönliche Auftritt beides: „richtig“ und authentisch.

Sie begleiten das Thema schon seit einigen Jahren und kennen alle wichtigen Entwicklungen. Können Sie aus Ihrer Sicht sagen, ob es stimmt, dass gute Umgangsformen zeitlos sind?

Diese Frage beantworte ich mit einem klaren „Ja“.

Alle Umgangsformen lassen sich letztlich auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen und mit einem Wort zusammenfassen: Respekt. Die goldene Regel lautet: Behandle andere so wie Du selbst behandelt werden möchtest.

Egal wie gravierend die Veränderungen im Berufsleben sind, der respektvolle und wertschätzende Umgang miteinander, das war, das ist und das bleibt die beste Voraussetzung für guten Stil und souveränes Auftreten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr rund um das Thema Karriere erfahren Sie auch in unserem neuen Karriereführer!

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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