Bewerbertipps 04.07.2014, 00:00 Uhr

Zuviel Pessimismus dank dem „zu“

Wir sind zu schlecht, zu arm, können zu wenig – das kleine Wörtchen „zu“ drückt oft unseren Pessimismus aus. Wir machen uns selbst schlecht, oder andere. Und wundern uns dann, warum sie so negativ auf uns reagieren.

Es ist wichtig aus dem Pessismismus wieder ins Gleichgewicht zu gelangen.

Es ist wichtig aus dem Pessismismus wieder ins Gleichgewicht zu gelangen.

Foto: panthermedia.net/stevanovicigor

Wie oft hat es mich gestört, wenn der erweiterte Infinitiv mit „zu“ falsch angewendet wurde, wenn es wieder einmal hieß „Du brauchst nicht warten“ anstatt „Du brauchst nicht zu warten“ oder „Das brauchst du nicht tun“ anstelle von „Das brauchst du nicht zu tun“. Eine kleine Ungenauigkeit, die mich voller Pessimismus jedes Mal daran erinnert hat, wie oberflächlich wir mit der deutschen Sprache und konkret ihrer Grammatik umgehen. Es war an einem Abend nach einem Tag, der mir schon einiges abverlangt hatte, als mir klar wurde, dass ein „zu“ zu wenig viel weniger schlimm ist als eines zu viel.

Ich überlegte, ob ich nach dem Seminartag nicht noch die überfällige Buchführung für den letzten Monat fertig machen sollte. Und es schoss mir durch den Kopf: „Eigentlich bin ich zu müde“. Im selben Moment war klar, dass ich an diesem Abend sicher nicht mehr ins Büro gehen würde, denn schlagartig breitete sich die Müdigkeit in meinem Kopf aus. Und klar, wenn man zu müde ist, kann man sich kaum noch aufraffen, zumindest mit der Arbeit zu beginnen. Wenn ich mit etwas weniger Pessimismus wenigstens gedacht hätte: „Ich bin müde“, dann hätte ich die Tür noch nicht ganz geschlossen, dann hätte ein kleines „aber“ folgen können; und mit der Formulierung „Ich bin müde, aber ein bisschen geht noch, ich fange wenigstens einmal an“, wäre die Buchführung wenigstens schon einmal auf den Weg gebracht worden.

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Sprache beeinflusst auch unseren Pessimismus

Durch unsere Gedanken, die ja auch aus Sprache bestehen, beeinflussen wir unsere Befindlichkeit, darüber haben wir verschiedentlich nachgedacht. Durch unsere Sprache machen wir uns Türen auf oder zu. Und dieses eine kleine, unscheinbare Wörtchen „zu“ ist offensichtlich eines, das als klassischer „Zumacher“ fungiert, als Boykotteur unserer Möglichkeiten. Es fördert unseren Pessimismus.

Haben Sie auch schon einmal eine der folgenden Formulierungen gebraucht: „Ich bin zu jung“, „Ich bin zu alt“, „Ich bin zu empfindlich“, „Ich bin zu perfektionistisch, „Ich bin zu feige“, „Ich bin zu unsicher“, „Ich bin zu stolz“? Die Reihe der Sätze mit „zu“ ließe sich beliebig fortsetzen, und eines fällt Ihnen sicher gleich auf: Wenn wir so formulieren, steigert das unseren Pessimismus. Wir haben das Maß von etwas, das wir bräuchten, um zu handeln, (noch) nicht erreicht oder schon überschritten. Wir denken über uns nicht mehr neutral, sondern bewerten uns negativ. Mit dieser negativen Bewertung schwächen wir unseren Tatendrang. Schauen wir uns einige der oben genannten Sätze noch einmal an, wenn wir das „zu“ weglassen. „Ich bin jung“, ja, das ist aber nun sicher kein Makel.

Die eigenen Chancen erkennen

Auch wenn mir in der Jugend nicht alle Möglichkeiten offen stehen, ich wahrscheinlich mit 25 nicht Angela Merkel ablösen kann, habe ich aber doch unendlich viele anderen Chancen. Nehmen wir das Gegenteil „Ich bin zu alt“. Mit diesem bösartigen, vor Pessimismus triefendem „zu“ können wir uns im Grunde schon selbst ins Altenheim einweisen, denn schwächen wir uns schon mit dem Satz „ich bin alt“, so drückt der Satz mit einem „zu“ darin eine große Portion Resignation aus.

„Zu alt“ für was? Noch einmal die Stelle zu wechseln, zu alt, noch etwas Neues zu lernen, zu alt, sich noch einmal zu verlieben? Vergessen Sie den Pessimismus: Sie und ich wissen, dass das alles möglich ist. Selbst wenn wir schon in Rente sind, können wir noch einmal studieren, wir können uns noch selbstständig machen, wir können uns verlieben, sofern wir uns die Chance geben, mit anderen Menschen zusammenzutreffen. Wie oft haben Menschen sich schon selbst unglücklich gemacht, weil sie sich von dem Gedanken „Ich bin zu stolz“ haben beeinflussen lassen.

Es ist genug: Pessimismus wird zu Optimismus

Hören Sie doch nur einmal den Klang einiger Aussagen, wenn das „zu“ durch ein anderes, ebenso kleines und unscheinbares Wort ersetzt wird: „Ich bin jung genug“, „Ich bin alt genug“, „Ich bin empfindlich genug“. Pessimismus wird zu Optimismus. „Genug“ signalisiert uns: Wir sind genau richtig, wir genügen uns. Wir brauchen nicht anders zu sein oder zu werden, um etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen.

Aber auch im Umgang mit anderen ist das „zu“ ein gefährliches Wort, mit dem wir anderen einen Stempel aufdrücken, besonders dann, wenn wir mit „zu“ kein Verhalten beschreiben, das wir als störend empfinden, sondern Eigenschaften und persönliche Merkmale. „Du bist einfach zu langsam“, „Du bist zu eifersüchtig“, „Du bist zu genau“, „Du bist zu dick oder zu dünn“. Pessimismus auf der ganzen Linie und dann wundern wir uns, warum andere nicht so positiv auf uns reagieren, wie wir es – unserer Meinung nach – doch verdient hätten. Denn „So, wie du jetzt bist, bist du nicht in Ordnung“ ist als sehr subjektive Aussage weder sich selbst noch anderen gegenüber fair.

Der Pessimismus greift weltweit um sich

Gehen wir einmal weiter und schauen uns in der Welt um. Ist nicht alles, was mit „zu“ beschrieben wird, irgendwie voller Pessimismus? Wenn Menschen zu arm sind, ist das schlecht, weil sie vielleicht Hunger leiden müssen. Wenn Menschen zu reich sind, ist das ebenfalls schlecht, weil ihr Geld sie nicht mehr schlafen lässt. Zu dick ist dauerhaft ebenso schädlich wie zu dünn. Eine Party, auf der es zu leer ist, macht genauso wenig Spaß wie eine, auf der es zu voll ist. Wer zu früh kommt, ist ebenso unpünktlich, wie jemand, der zu spät kommt. Wenn das Wetter zu heiß ist, leiden wir genauso, wie wenn es zu kalt ist. Zu sparsam zu sein ist für einen Staat unter Umständen genauso falsch wie zu verschwenderisch zu sein. „Zu“ gibt ein Maß an, und es ist nie das richtige.

Wir möchten uns alle so gerne vom Mittelfeld abheben, wir möchten mehr sein, besser sein, anders sein, etwas Besonderes eben. Wir möchten so gern in Regionen der Erde leben, wo wir an 350 Tagen im Jahr Sonne haben. Wir möchten viel, sehr viel. Wir sagen häufig voller Pessimismus: „Ich habe zu wenig“ als „Ich habe genug“. Aber ist nicht gerade die Mitte die Ebene, auf der Menschen am zufriedensten, Temperaturen am angenehmsten, die Gesundheit am stabilsten ist?

Den eigenen Pessimismus stoppen

Am Anfang meiner Selbstständigkeit war ich noch voller Pessimismus  und habe ich immer gedacht, ich wüsste noch zu wenig, ich müsse noch zu viel lernen, noch zu viele Zertifikate erwerben, um schon einmal erste Seminare anzubieten. Ich investierte zu viel in meine Ausbildung und hatte zu wenig auf meinem Konto. Das Gleichgewicht war gestört, weil ein „zu“ zu viel im Spiel war.

Aber ich hatte Glück und begegnete einer klugen Frau, die mir sagte: „Du weißt genug, Renate, jetzt fang einfach mal und der Rest findet sich dann schon“. Diese Frau möchte ich heute gerne für Sie sein und Ihnen sagen: „Ich bin sicher, Sie haben, was Sie brauchen, um das zu tun, was Sie möchten.“ Und ist es nicht in der Tat so, dass Wege beim Gehen entstehen? Gehen Sie gegen den Pessimismus vor: Lassen Sie das „zu“ einfach mal weg und sagen „Es reicht!“ – und damit meine ich diese zwei Worte auch in der doppelten Bedeutung. Sie sind jetzt richtig für das, was jetzt ansteht!

www.schmidt-partner-solingen.de

 

Ein Beitrag von:

  • Renate Eickenberg

    Renate Eickenberg ist Coach, Beraterin sowie Autorin. Sie prüft für Ingenieure und Ingenieurinnen Bewerbungsunterlagen und gibt in Ihren Artikeln Karrieretipps.

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