Heiko Mell 01.01.2016, 16:39 Uhr

Berufsstart als Führungskraft?

Ich bin 27 Jahre alt und habe mein Studium als Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Vertrieb an der TU Kaiserslautern vor wenigen Wochen mit guten Noten abgeschlossen.

Jetzt habe ich u. a. eine gute Chance, meinen Berufsweg bei einer internationalen Unternehmensberatung als Business Manager zu beginnen. Ich glaube, dass ich die notwendigen Fähigkeiten und die Motivation habe, diese Aufgabe erfolgreich zu absolvieren.

Kernbestandteile wäre die Akquise neuer Kunden für technische Beratungsleistungen, die von noch (u. a. durch mich) zu rekrutierenden und weiter zu entwickelnden deutschen und internationalen Beratern erbracht werden.

Ich kann mir keine spannendere, verantwortungsvollere und zum Sammeln von Erfahrungen geeignetere Tätigkeit als Berufseinsteiger vorstellen. Die meisten Manager, die unter diesen Bedingungen bei dem Unternehmen gestartet sind, führen nach wenigen Jahren bereits ein Team von mehr als zwanzig Beratern und die Perspektiven in diesem Geschäft (Maschinen- und Anlagenbau, Telekommunikation) sehen in meinen Augen gut aus. Man ließe mir bei der Ausübung meiner Arbeit weitgehenden Spielraum, entscheidend wären die Zahlen unter dem Strich.

Eine Frage bleibt für mich allerdings offen: Wie stehen meine Chancen, nach einigen Jahren erfolgreicher Tätigkeit gegebenenfalls wieder in die Industrie zu wechseln, dort in einer Führungsfunktion einzusteigen und mich auf der Karriereleiter weiter zu entwickeln? Ich möchte nur ungern für die Chance, als Berufseinsteiger umgehend erste Führungsverantwortung übernehmen zu können, meine Möglichkeiten für einen späteren Aufstieg in anderen Unternehmen schmälern.

Antwort:

1. Ich gratuliere der TU Kaiserslautern zu diesem Studiengang. Vielleicht besteht der schon länger und ich erfahre erst jetzt davon. In jedem Fall finde ich das aus der Sicht der Praxis hervorragend. Vertrieb ist eine Säule der Marktwirtschaft, am Bedarf für entsprechend vorgebildete Absolventen kann kein Zweifel bestehen.

2. Ich gratuliere Ihnen, weil Ihre Frage zeigt, dass Sie trotz der großen Verlockungen einen kühlen Kopf bewahrt und Fragen gestellt haben.Zur Sache: Wenn ich das richtig verstehe, heuert das Unternehmen Anfänger ohne Praxis an und lässt sie – bei großen Freiheiten – a) Beratungskunden akquirieren und dann b) größere Mitarbeiterteams verantwortlich anwerben sowie c) das Risiko tragen, dass sie bei der Auftragsdurchführung Profit machen. Ich habe nur Ihre Aussage dazu und das als Konzept auch gar nicht zu kritisieren. Aber sagen wir es einmal so:

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Sollte der große deutsche Automobilhersteller, dessen Produkte ich seit einiger Zeit fahre, auf die Idee verfallen, in Zukunft junge Entwicklungsingenieure frisch vom Studium weg anzuheuern, sie selbst ein 20 Mitarbeiter-Team anwerben und leiten zu lassen, so dass eine dieser Gruppen vielleicht den Motor verantwortete, die andere das Fahrgestell usw. – dann wechsle ich die Marke.

In meiner allerdings etwas konservativ geprägten Vorstellung sollte jemand erst einmal Berufspraxis haben, bevor er sie als verantwortlicher Berater gegen Geld an Kunden weitergibt. Mir geht es nicht um die Kunden, die können auf sich selbst aufpassen. Aber bei Ihnen sehe ich die Gefahr, dass Sie sich gegebenenfalls selbst „verheizen“. Ein Lehrling sollte nicht auf einer Meisterstelle beginnen – das ist auch nicht gut für den Lehrling (die Qualität der Arbeit muss uns hier nicht interessieren).

Damit das ganz klar gesagt ist: Berufseinsteiger sind im Normalfall nicht „reif“ genug, Leute anzuwerben und einzustellen und sie sind auch nicht reif genug, ein Profit-Center zu führen und nur noch das wirtschaftliche Ergebnis zu verantworten. Ach, und bevor ich das vergesse: Selbst zur „einfachen“ Personalführung fehlt ihnen die Reife. Der Arbeitgeber in diesem Fall darf so vorgehen und ein Berufssteinsteiger darf das annehmen – wir sind ein freies Land. Aber Sie werden mich nicht dazu bekommen, dass ich das für einen Anfänger als empfehlenswert bezeichne.

Und: Ich teile Ihre Bedenken hinsichtlich eines späteren Wechsels aus dieser Laufbahn in eine Führungsposition in der Industrie. Ich halte auch das Risiko eines Scheiterns des überstrapazierten Anfängers in einer solchen Aufgabe für sehr hoch. Ich rate, Ihren derzeitigen Status als Berufsanfänger zu akzeptieren und entsprechende Startpositionen zu wählen.

Kurzantwort:

Ein Berufsanfänger, der 20 Mann-Teams bei anspruchsvoller Aufgabenstellung führt, trägt ein hohes Risiko: Er kann leicht scheitern und hätte auch im Erfolgsfall beim späteren Wechsel in die Industrie Probleme, eine adäquate Stelle zu finden.

Frage-Nr.: 1879
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 37
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2004-09-10

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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