Interview 06.05.2024, 10:03 Uhr

Expertin verrät, welche Benefits von Industriebetrieben wirklich attraktiv sind

Getrieben von dem Wunsch nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Gehältern oder attraktiveren Zusatzleistungen sind Fachkräfte immer öfter bereit, den Arbeitgeber zu wechseln. Besonders jüngere Arbeitnehmer zeigen sich wechselwilliger, während bei älteren Mitarbeitern eine höhere Bindung zum Unternehmen besteht. Vivien Schaible, eine Expertin für Recruiting in Handwerks- und Industriebetrieben, betont die Bedeutung passender Benefits in diesem Interview.

Expertin Vivien Schaible

Expertin Vivien Schaible erklärt, wie passende Benefits Industriebetriebe attraktiver machen.

Foto: VS RecruitingFabrik GmbH

Frau  Schaible, welche spezifischen Trends beobachten Sie derzeit in der Industrie hinsichtlich der Mitarbeiterbindung und des Wechselverhaltens?

Es gibt eine große Anzahl an Menschen, die sich nicht aktiv auf Jobsuche befinden, aber trotzdem bereit für einen Jobwechsel sind. Die Wechselbereitschaft ist nach wie vor auf einem hohen Niveau. Es sind heutzutage aber mehr Impulse notwendig, die der potentielle Bewerber benötigt, bis er die Entscheidung trifft, tatsächlich zu wechseln. Das ist vermutlich auch der unsicheren wirtschaftlichen Lage geschuldet. Aufgrund der hohen Wechselbereitschaft und Dynamik gewinnt das Thema Mitarbeiterbindung immer mehr an Bedeutung. Die Forderungen von Bewerbern nehmen in nahezu allen Bereichen zu, ob unter Auszubildenden, Fach- oder Führungskräften.

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Wie unterscheiden sich die Prioritäten und Bedürfnisse jüngerer Arbeitnehmer im Vergleich zu älteren Mitarbeitern hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, Gehälter und Zusatzleistungen in Industriebetrieben?

Jüngeren Menschen ist das Gehalt zwar wichtig, aber Sinnhaftigkeit im Job und das Gefühl, sich mit dem Unternehmen identifizieren zu können, überwiegen häufig. Sie fordern außerdem Arbeitsbedingungen, die sich stärker an Lebensphasen orientieren und Flexibilität, beispielsweise in Bezug auf Arbeitszeiten oder Homeoffice. Damit unterscheiden sie sich von älteren Menschen, die den Fokus vor allem auf eine stabile Unternehmensführung und wirtschaftliche Stabilität des Arbeitgebers legen. Für sie hat der Aspekt der Sicherheit im Beruf – sowohl im Hier und Jetzt als auch, was die Zukunft angeht – große Bedeutung. Dementsprechend ist betriebliche Altersvorsorge ein wichtiges Kriterium, was ältere Arbeitnehmer bei der Auswahl ihres Jobs berücksichtigen.

Welche spezifischen Herausforderungen ergeben sich für Industriebetriebe aufgrund der unterschiedlichen Wechselbereitschaft zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern?

Die Herausforderung besteht hauptsächlich darin, gezielte Mitarbeiterbindungsinstrumente zu wählen und zu implementieren und diese anschließend in angebrachter Ansprache an die jeweilige Zielgruppe zu kommunizieren. Potenzielle neue Mitarbeiter müssen auf Anhieb den tatsächlichen Mehrwert verstehen, der ihnen der neue Arbeitgeber geben könnte.

Der Wunsch nach besseren Arbeitsbedingungen zeigt sich auf vielen Ebenen

Inwiefern beeinflusst das steigende Durchschnittsalter der Belegschaft in Industriebetrieben die Arbeitskultur und die Anforderungen an die Unternehmensführung?

Der Wissenstransfer wird zur zentralen Aufgabe in vielen Industriebetrieben. Unternehmen müssen sich demnach früh genug darum kümmern, dass neue Talente in den Betrieb gelangen. Nur mit einem starken Team können Arbeitgeber zukunftsfähig bleiben. Wichtig ist außerdem, dass die Unternehmensführung jüngere und ältere Generationen zusammenbringt. Oft prallen unterschiedliche Wertvorstellungen und Zielbilder aufeinander. Auch die Kommunikation leidet in vielen Fällen aufgrund großer Altersunterschiede. Damit nachrückende, jüngere Mitarbeiter sich in einer Belegschaft, deren Durchschnittsalter tendenziell steigt, gut einfinden, sollte die Unternehmensführung an einer inklusiven Arbeitskultur arbeiten.

Können Sie uns näher erläutern, wie sich der Wunsch nach besseren Arbeitsbedingungen auf die Dynamik des Arbeitsmarktes in Industriebetrieben auswirkt?

Wir beobachten bei unseren Kunden, dass viele Unternehmen bereits sehr gut aufgestellt sind, was das Thema Benefits und Arbeitsbedingungen angeht. Die große Herausforderung für Mittelständler ist es, diese Benefits sichtbar zu machen. Denn ich kann der tollste Arbeitgeber mit den meisten Benefits sein – wenn potentielle Bewerber nicht die Möglichkeit haben, diese wahrzunehmen, verpuffen alle Maßnahmen. Wenn es einem Unternehmen tatsächlich gelingt, die Benefits und den Mehrwert, die es bietet, angemessen zu kommunizieren, kann es die hohe Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer und die hohe Dynamik optimal für sich nutzen.

Welche Rolle spielt die Attraktivität von Zusatzleistungen bei der Entscheidung von Fachkräften für oder gegen einen Arbeitgeberwechsel in der Industrie?

Fakt ist, dass gute Fachkräfte ihren Wert und die Situation auf dem Arbeitsmarkt kennen und sich auf gar keinen Fall in ihren Zusatzleistungen, Vorteilen und Gehältern verschlechtern möchten. Wenn ein Arbeitgeber seine Benefits oder Zusatzleistungen nicht anpasst und zukunftsfähig gestaltet, gilt das Motto „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Zusatzleistungen spielen eine sehr große Rolle, wenn eine Fachkraft sich für oder gegen einen Arbeitgeber entscheiden muss. Die Zusatzleistungen sollten aber zielgruppenorientiert sein und sich an der tatsächlichen Lebenssituation und den Umständen der Mitarbeiter-Zielgruppe ausrichten.

Was sich junge Talente von ihrem Arbeitgeber wünschen

Können Sie konkrete Beispiele für Zusatzleistungen nennen, die für Fachkräfte in Industriebetrieben besonders attraktiv sind? Zum Beispiel Homeoffice, Firmenwagen oder zusätzliche Rentenversicherung – welche dieser Leistungen sind Ihrer Erfahrung nach besonders ausschlaggebend für Arbeitnehmer, die einen Arbeitgeberwechsel in Betracht ziehen?

Die Erhaltung des Lebensstandards im Alter ist für die meisten Arbeitnehmer heutzutage ein zentraler Wunsch. Auch die Bedeutung von Lebensarbeitszeitkonten oder Zeitwertkonten nimmt immer mehr zu. Nicht zuletzt ist die variable und familienfreundliche Gestaltung von Arbeitszeiten ein zentrales Argument in der Auswahl des Arbeitgebers.

Wie sehen Sie die Entwicklung, dass der „Obstkorb“ in Stellenausschreibungen für einige Bewerber mittlerweile als Ausschlusskriterium betrachtet wird?

Ein Obstkorb ist sicherlich nicht ausschlaggebend dafür, dass ein Arbeitnehmer seinen Job wechselt. Wenn der Obstkorb der einzige „Grund“ ist, sich zu bewerben und der Arbeitgeber keine weiteren attraktiven Zusatzleistungen bieten kann, ist verständlich, dass der Obstkorb „belächelt“ wird. Der Obstkorb in Verbindung mit tollen anderen Leistungen und Arbeitsbedingungen ist aber sicherlich kein „Ausschlusskriterium“.

Wie wirkt sich die steigende Wechselbereitschaft insbesondere bei jüngeren Arbeitnehmern auf die Rekrutierung und Bindung von Talenten in Industriebetrieben aus?

Aufgrund der steigenden Wechselbereitschaft sind Arbeitgeber heutzutage gezwungen, ein nachhaltiges Recruiting-System zu haben, mit Hilfe dessen sie theoretisch in der Lage sind, Wechsel auszugleichen oder abzufangen. Ein funktionierendes Recruiting-System gepaart mit attraktiven Zusatzleistungen löst die Herausforderung des Mitarbeiter-Findens. Auch die Mitarbeiterbindung muss im Zuge der steigenden Wechselbereitschaft immer mehr priorisiert und aktiv angegangen werden. Die Tatsache, dass Zusatzleistungen vorhanden sind, reicht nicht aus, um Mitarbeiter zu binden. Arbeitgeber müssen die Vorteile des Unternehmens und den Mehrwert der Zusatzleistungen immer wieder aktiv kommunizieren und die Mitarbeiter in die Vision des Unternehmens einbinden. Das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter sollte gefördert werden und die Mitarbeiter sollten in der Lage sein, sich mit dem Unternehmen, seinem Auftritt und seinen Werten identifizieren zu können.

Wie Industriebetriebe die Bindung zu ihren Mitarbeitern verbessern können

Können Sie einige Beispiele für effektive Maßnahmen nennen, mit denen Industriebetriebe die Bindung ihrer Mitarbeiter verbessern können?

Die zentrale Voraussetzung für die Bindung von Mitarbeitern ist ein harmonisches Miteinander in einem gesunden und angenehmen Betriebsklima. Ist das nicht gegeben, verpufft jede andere Maßnahme automatisch.

Eine konkrete Maßnahme, mit denen Industriebetriebe die Bindung zu ihren Mitarbeitern verbessern können, ist zunächst der Aufbau einer starken Arbeitgebermarke. Das sorgt dafür, dass Mitarbeiter stolz darauf sind, bei ihrem Arbeitgeber arbeiten zu dürfen. Gerade in der heutigen Zeit sind Menschen fast schon daran gewöhnt, täglich mit den neuesten Technologien in Kontakt zu kommen. Mitarbeiter wünschen sich demnach, dass ihr Arbeitgeber zukunftsorientiert denkt. Deshalb sollten Betriebe in moderne Maschinen, Geräte und Arbeitsmittel investieren. Aber auch die Digitalisierung von Prozessen und Abläufen zeichnet Unternehmen aus, die am Zahn der Zeit leben.

Um auch dem aufstrebenden Wunsch nach mehr Flexibilität nachzukommen, lohnt sich übrigens ein Blick in moderne Arbeitsmodelle, wie das Lebensarbeitszeitmodell. Allgemein sollten Arbeitgeber stärker darauf achten, Mitarbeiter nicht zu überlasten. Die Konsequenzen sind sonst nur zahlreiche Krankentage. Eine schöne Möglichkeit, zusätzlich die Gesundheit der Fachkräfte zu fördern, ist hierbei die Implementierung eines Gesundheitsbudgets. Was immer wieder von Arbeitnehmern als positiv empfunden wird, ist außerdem, wenn sie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung erhalten. Vor allem jüngere Menschen möchten etwas lernen. Wer als Unternehmer Wert auf Entwicklung legt und transparent kommuniziert, welche Möglichkeiten bestehen, punktet.

Nicht zuletzt ist die Wahl neuer Mitarbeiter ausschlaggebend für die Bindung. Aufgrund des Fachkräftemangels tendieren viele Unternehmen dazu, nahezu jeden blind einzustellen. Am Ende bringt diese Strategie jedoch nur wenig. Wenn der Mitarbeiter – beispielsweise aufgrund seiner Arbeitseinstellung oder Kompetenzen – nicht optimal zum Betrieb passt, kommt es meistens zu einer Überlastung der bestehenden Mitarbeiter. Sinnvoller ist es, auf A-Mitarbeiter und Talentpools zu setzen. Hat man schließlich einen guten Mitarbeiter gefunden, dann gilt es, ihm von der ersten Sekunde an ein gutes Gefühl zu geben. Dazu zählt immer eine fundierte und ausführliche Einarbeitung. Schon während dieser entscheidet der Mitarbeiter unterbewusst, ob er sich langfristig an den Arbeitgeber binden möchte.

Über Vivien Schaible:
Vivien Schaible ist die Gründerin und Geschäftsführerin der Recruiting Fabrik. Sie unterstützt mittelständische Unternehmen aus der Industrie und dem Handwerk dabei, qualifizierte Fachkräfte aus ihrer Region zu finden und für sich zu gewinnen. Dabei setzt die Expertin zusammen mit ihrem Team auf ein ganzheitliches Social Media Recruiting und sorgt so bei ihren Kunden für einen kontinuierlichen Bewerberfluss.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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