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Strategiepapier 08.02.2022, 17:34 Uhr

„Geothermie wichtiger Teil der Wärmewende“

Die Hälfte der kommunalen Wärme soll bis 2030 aus klimaneutralen Quellen kommen. Tiefe Geothermie könne dabei einen wichtigen Beitrag leisten, so Vertreter von Helmholtz-Gemeinschaft und Fraunhofer-Gesellschaft. Gemeinsam haben sie eine Handlungsempfehlung verfasst.

Im Untertagelabor "GeoLaB" wird zu den Geothermie-Ressourcen in Deutschland geforscht. Grafik: KIT

Im Untertagelabor "GeoLaB" wird zu den Geothermie-Ressourcen in Deutschland geforscht. Grafik: KIT

Tiefe Geothermie könne beständig und witterungsunabhängig lokale Energie liefern und benötige dafür wenig Fläche in Siedlungen und Neubaugebieten, sind sich die Beteiligten einig. In einer gemeinsam entwickelten Roadmap zeigen Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft, darunter das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), und der Fraunhofer-Gesellschaft auf, welches Marktpotenzial Tiefe Geothermie in Deutschland besitzt. Ausbauziele von mehr als einem Viertel des jährlichen deutschen Wärmebedarfes (über 300 Terawattstunden) sind demnach realistisch.

Geothermie: Weitere Chance zur Dekarbonisierung des Wärmesektors

„Die Klimaneutralität des Wärmemarktes zu erreichen, ist eine riesige Herausforderung und erfordert ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Marktakteure wie Energieversorger, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen brauchen neue Instrumente für diese komplexe Umsetzungsaufgabe“, so Professor Ernst Huenges vom Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ). Er ist neben Professor Rolf Bracke von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) Mitherausgeber der gemeinsam erarbeiteten Roadmap. „Ohne Geothermie wird eine Dekarbonisierung des Wärmesektors in Deutschland nicht möglich sein. Die natürlichen Wärmepotenziale im Untergrund sind hierfür in den meisten urbanen Räumen vorhanden“, sagt Professor Ingo Sass, Leiter der Sektion „Geoenergie“ am GFZ.

Erneuerbare Wärme aus der Tiefe

Der Wärmesektor macht 56 % des nationalen Energiebedarfs aus, allerdings sind lediglich 15 % der Wärme regenerativ. Die nun vorgelegte Roadmap diskutiert den Beitrag der Geothermie zur Wärmewende. Der Schwerpunkt liegt auf hydrothermalen Reservoiren, also thermalwasserführenden Gesteinen in Tiefenlagen zwischen 400 und 5.000 Metern. Geothermale Wässer können bei Temperaturen zwischen 15 und 180 Grad Celsius aus tiefen Brunnenbohrungen gefördert werden. Sie sind Jahres- und Tageszeiten-unabhängig verfügbar und lassen sich insbesondere für Nah-, und Fernwärme und sogar für Niedrigtemperaturprozesse in der Industrie nutzen. Die Technologie ist ausgereift und kommt seit Jahrzehnten in vielen europäischen Städten zur Anwendung, etwa in Paris und München. Die hydrothermale Geothermie – kombiniert mit Großwärmepumpen – als Wärmequelle für Fernwärmenetze könnte nach den Abschätzungen der Roadmap rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfes Deutschlands decken, theoretisch rund 300 Terawattstunden Jahresarbeit bei 70 Gigawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: 2020 lieferten bundesweit 42 Anlagen 359 Megawatt installierte Wärmeleistung und 45 Megawatt elektrische Leistung.

Strategiepapier: Fünf Handlungsempfehlungen formuliert

Das von Helmholtz-Gemeinschaft und Fraunhofer-Gesellschaft erarbeitete Strategiepapier liefert Informationen zum geothermischen Wärmeangebot, zur Vielseitigkeit des Wärmemarktes und zur technologischen Realisierung der Wärmewende. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen zu geben, um das Potenzial der Geothermie im Sinne der klimaneutralen Wärmeversorgung umzusetzen. Dafür haben die Forschenden fünf Handlungsempfehlungen formuliert:

  • Klare Ausbauziele: Parlamente und Gemeinderäte sollten klare Ausbauziele formulieren und diese durch entsprechende Gesetzgebung und Satzungen flankieren, vom Bundesbergbaugesetz bis hin zur kommunalen Raumordnung.
  • Risikoausgleich für Unternehmen und Kommunen: Im Wärmemarkt sind kleine und mittlere Unternehmen wie Stadtwerke aktiv, die wirtschaftliche Risiken wie die Exploration von Tiefer Geothermie nur begrenzt tragen können. Daher brauche es Finanzinstrumente zum interkommunalen Risikoausgleich wie staatliche Versicherungen oder revolvierende Fonds, die sich an Projekten finanziell beteiligen. Zudem sollten die Länder ein flächendeckendes geowissenschaftliches Erkundungsprogramm aufsetzen, um das Fündigkeitsrisiko für Kommunen und Unternehmen zu senken.
  • Investition in Schlüsseltechnologien: Damit aus ein paar Dutzend tiefengeothermischen Anlagen in Deutschland Tausende werden, brauche es Investitionen in die Schlüsseltechnologien, um großindustrielle Maßstäbe zu erreichen. Die Schlüsseltechnologien sind Bohrverfahren, Reservoirmanagement, Bohrlochwasserpumpen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Großwärmespeicher, transkommunale Verbundwärmenetze und sektorübergreifende Systemintegration.
  • Aus- und Weiterbildung von Fachkräften: Die wachsende Geothermiebranche schaffe regionale Arbeitsplätze in Technologieentwicklung, Planung und Produktion sowie bei Errichtung und Betrieb der Anlagen. Man könne von etwa fünf bis zehn Vollzeitäquivalentstellen je Megawatt installierter Leistung ausgehen. Um Tausende Fachkräfte fort- und weiterzubilden, brauche es akademische Ausbildung und ergänzende Curricula zu den bestehenden Angeboten der Handwerks-, Industrie- und Handelskammern.
  • Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern: Die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen benötige gesellschaftliche Akzeptanz. Die kommunalen Akteure brauchen daher nicht nur betriebswirtschaftliche und anlagentechnische Strategien. Es sei erforderlich, mit Bürgerenergiemodellen, kommunalen Kommunikationsstrategien und transparenten Projekten alle lokalen Interessengruppen mit auf den Weg zur regionalen Wärmewende zu nehmen.

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