Steuerung neu gedacht 13.12.2025, 09:00 Uhr

Wie Steer-by-Wire die Automobilindustrie verändert

Das Lenkrad verbindet Fahrerin und Fahrer mit der Straße. Diese mechanische Einheit soll durch eine elektrische Leitung ersetzt werden. Steer-by-Wire verspricht ein neuartiges Lenkgefühl, leichteres Einparken und ein modernes Cockpit-Design. Für die Automobilindustrie ergeben sich ebenfalls neue Chancen.

Steer-by-Wire - autonomes Fahren

Steer-by-Wire: Wenn das Lenkrad digital wird.

Foto: PantherMedia / Suwin

China lässt im nächsten Jahr Steer-by-Wire-Systeme auf den Straßen zu. Das dürfte der Technologie einen gehörigen Schub verleihen. Steer-by-Wire bezeichnet Lenksysteme, bei denen das Drehmoment des Fahrers oder der Fahrerin nicht mehr über eine mechanische Lenksäule, sondern über elektrische Signale an Aktuatoren an der Achse übertragen wird. Sensoren erfassen Lenkradwinkel und -kräfte, ein Steuergerät berechnet daraus Stellbefehle für die Räder und erzeugt umgekehrt ein künstliches Lenkgefühl im Cockpit.

Mit der Technologie endet also die mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Rädern und wird durch ein digitales System ersetzt. Vom Prinzip her ist Steer-by-Wire eine technologische Weiterentwicklung der elektrischen Servolenkung.

Steer-by-Wire schafft neue Spielräume beim Fahrzeugdesign

Mit Steer-by-Wire wird es in modernen Fahrzeugen möglich, auf die Lenksäule zu verzichten. Das verändert den gesamten Innenraum und gibt Herstellern die Chance, Cockpits freier zu gestalten. Daraus entsteht automatisch mehr Beinfreiheit, und der Fahrer oder die Fahrerin kann leichter ein- und aussteigen.

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Denkbar sind statt des herkömmlichen Lenkrads ein flacheres oder gar versenkbares Lenkelement sowie neue Bedienkonzepte für automatisiertes Fahren, die eine entspannte Sitzposition zulassen.

Die gesamte Frontpartie eines Autos kann auf diese Art und Weise verändert werden. Durch den Wegfall der Lenksäule erhöht sich zugleich die Sicherheit in Fahrzeugen – vor allem bei Unfällen. Der entstehende Raum kann für Sicherheitselemente oder Batterien bei Elektrofahrzeugen genutzt werden.

Steer-by-Wire legt die Basis für autonomes Fahren

Steer-by-Wire gilt als Schlüsseltechnologie auf dem Weg zu automatisierten, softwaredefinierten Fahrzeugen.
Das System integriert sich tiefer in die Fahrzeugarchitektur, etwa in Fahrdynamikregelung, Bremsen und Assistenzsysteme. Die Technologien greifen also besser und schneller ineinander, was schnellere Reaktionszeiten des Systems ermöglicht.

Zudem kann Steer-by-Wire an individuelle Fahrstile angepasst werden, bis hin zu individuellen Benutzerprofilen, die sich bereits in der Entwicklung befinden. Im Prinzip kann das Lenkgefühl damit ähnlich individuell gewählt werden wie ein Fahrprofil im Infotainment-System, über das sich unter anderem der Sitz und die Spiegel einstellen lassen.

Vor- und Nachteile der Technologie

Steer-by-Wire bringt für Fahrerinnen und Fahrer spürbare Vorteile mit sich. Dazu gehören:

  • eine variable Lenkübersetzung und damit eine höhere Präzision,
  • weniger Vibrationen im „Lenkrad“,
  • die Möglichkeit, das Lenkgefühl an Situation und persönlichen Geschmack anzupassen,
  • mehr Fahr- und Crashsicherheit.

Auch für die Automobilhersteller ergeben sich durch die Steer-by-Wire-Technologie einige Vorteile:

  • Es lässt sich Gewicht einsparen.
  • Der Raum kann besser genutzt werden.
  • Eine optimierte Architektur sorgt auch für weniger Emissionen.
  • Eine enge Kopplung an die Fahrassistenzsysteme im Auto ist möglich.

Demgegenüber stehen höhere Systemkosten, die Komplexität der Software und die Notwendigkeit höchster Sicherheitsstandards. Das erhöht für Automobilhersteller den Aufwand – unter anderem in der Entwicklung und beim Thema Sicherheit. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich dies künftig relativieren wird, sobald entsprechende Systeme in Serie produziert werden. Der Aufwand ist deshalb eher wie eine anfängliche Investition zum Start der Technik zu betrachten. Entscheidend wird sein, dass die Automobilindustrie und Zulieferer das Vertrauen von Kundinnen und Kunden gewinnen, die an das direkte Gefühl einer mechanisch gekoppelten Lenkung gewöhnt sind.

Heute schon im Einsatz: Steer-by-Wire-Technologie

In der Automobilindustrie gilt Steer-by-Wire längst nicht mehr als Zukunftsvision: Erste Serienfahrzeuge sollen ab 2026 über die Straßen rollen. Zu den Herstellern, die entsprechende Innovationen ankündigen, gehören zum Beispiel Mercedes-Benz, Toyota und Lexus. Auch Tesla hat die Technologie für den Cybertruck vorgesehen.

Chinesische Hersteller treiben Steer-by-Wire in der Oberklasse und bei neuen Elektroplattformen ebenfalls voran; so wurde die Technologie des NIO ET9 für die Großserie zertifiziert und auf internationale Märkte vorbereitet. Parallel testen mehrere Unternehmen Steer-by-Wire in Prototypen für robotisierte Shuttle-Fahrzeuge und Nutzfahrzeuge, in denen besonders enge Wendekreise und automatisierte Fahrfunktionen gefragt sind.

Zulassung für die Serienproduktion

In China wurde das Steer-by-Wire-System des NIO ET9 bereits im Dezember 2024 für die Serienproduktion zugelassen. Im Frühjahr 2025 folgte eine Zertifizierung der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (UNECE). Ab dem 1. Juli 2026 dürfen Fahrzeuge dort mit Steer-by-Wire-Systemen ohne obligatorische mechanische Notfallverbindung zwischen Lenkrad und Rädern auf die Straße.

Für die Zulassung von Steer-by-Wire-Systemen in Europa ist die UN ECE Regulierung Nr. 79 maßgeblich, die Anforderungen an Lenkanlagen festlegt.

Hersteller müssen ein umfassendes Dokumentationspaket vorlegen, in dem Systemaufbau, Sicherheitskonzept, Fehlerreaktionen und Prüfverfahren beschrieben sind, und in Audits nachweisen, dass Entwicklungsprozesse und Analysen dem Stand der Technik der funktionalen Sicherheit entsprechen.

Die Lenkung wird smart

Steer-by-Wire: Der Bruch mit 100 Jahren Lenkmechanik.

Foto: panthermedia.net / the_lightwriter

Steer-by-Wire-System: Es fehlen einheitliche Regelungen

An Steer-by-Wire-Systeme werden weltweit strenge Sicherheitsanforderungen (ISO 26262) gestellt sowie Cybersicherheit-Standards (ISO 21434) und Fahrzeugzulassungsnormen (UNECE, FMVSS, NHTSA). Schaut man allein auf die Anforderungen in Europa, ergibt sich folgendes Bild:

  • Die Funktionale Sicherheit nach ISO 26262 gibt vor, dass Steer-by-Wire-Systeme die höchste Sicherheitsstufe ASIL-D (Automotive Safety Integriti Level D) erreichen muss. Der Grund: Würde die Lenkung versagen, könnte es zu katastrophalen Unfällen kommen.
  • Die Lenkanlagenverordnung UNECE 79 macht ein Sicherheitsbackup für Lenkungen mit elektronischer Kraftübertragung erforderlich sowie redundante Steuerungen, die eine sichere Funktion garantieren. Hinzu kommt folgende Voraussetzung: Die Fahrerin oder der Fahrer bis zum autonomen Fahren Level 4 muss jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen können.
  • Sicherheit bei Software-Updates nach UNECE R156: Gemäß dieser Vorschrift sind regelmäßige Softwareupdates unerlässlich. Darüber hinaus muss jede Veränderung dokumentiert werden. Sicherheitsmaßnahmen sind zu integrieren und Over-the-Air-Updates dürfen nur erfolgen, wenn sie ein strenges Testverfahren erfolgreich durchlaufen haben.

Die Automobilindustrie setzt deshalb auf eine eigene Sicherheitsarchitektur von Steer-by-Wire-Systemen. Sie basiert auf Redundanz, Fehlererkennung und definierte Notfallstrategien. Typisch sind doppelte Sensoren, mehrere unabhängige Steuergeräte und eine redundante Stromversorgung, sodass bei einem Einzelfehler die Lenkfunktion erhalten bleibt oder kontrolliert heruntergefahren wird.

Wer liefert Steer-by-Wire-Systeme?

Mehrere große Zulieferer der Automobilindustrie entwickeln und liefern Aktuatoren, Sensoren und komplette Steer-by-Wire-Systeme für verschiedene Fahrzeugplattformen. Dazu zählen zum Beispiel ZF Friedrichshafen, Bosch, Hella, Schaeffler, Thyssenkrupp und weitere Spezialisten für Lenkung, Elektronik und Software. Dem Steer-by-Wire-System wir eine große Wachstumsperspektive prognostiziert. Davon können auch die deutschen Unternehmen profitieren.

Diese Unternehmen liefern elektromechanische Lenkaktuatoren, Drehwinkel- und Kraftsensoren, Steuergeräte und Softwaremodule, die in die Gesamtarchitektur moderner Fahrzeuge eingebettet werden. Viele arbeiten eng mit Start-ups und Technologieunternehmen zusammen, um Funktionen wie Zustandsüberwachung, Ferndiagnose und sichere Over-the-Air-Updates zu integrieren.

Chancen für die Automobilindustrie in Europa, China und weltweit

Für die europäische Automobilindustrie eröffnet Steer-by-Wire die Möglichkeit, Elektrofahrzeuge und automatisierte Fahrzeuge effizienter, leichter und stärker softwarezentriert auszulegen. Hersteller können mit individuellen Lenkprofilen, Funktionsupdates und flexiblen Innenraumkonzepten neue Kundenerlebnisse schaffen. Der Markt bietet erhebliche Wachstumschancen.

Im chinesischen Markt ist Steer-by-Wire mit einer starken Dynamik in Elektrofahrzeugen, Konnektivität und hochautomatisierten Fahrfunktionen verknüpft. Kundinnen und Kunden erwarten hier häufig schnell neue digitale Funktionen, und Hersteller können über softwaredefinierte Lenkfunktionen differenzierende Nutzererlebnisse anbieten.

Insgesamt bewerten Fachleute den Markt der elektronischen Lenksysteme als Wachstumsmarkt. 2023 wurde die Marktgröße mit 3,4 Milliarden US-Dollar angegeben, bis 2032 soll sie auf 6,2 Milliarden US-Dollar wachsen. Die positive Entwicklung hänge vor allem mit der weiteren Entwicklung von Elektro- und autonomen Fahrzeugen zusammen.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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