Holzkarosserie und Steigboy-Auspuff 25.08.2025, 20:55 Uhr

Technikgeschichte pur: Der Hispano-Suiza von 1924

Hispano-Suiza H6C: Holzkarosserie, Flugzeugtechnik und seltener Steigboy-Auspuff machen den Rennwagen von 1924 zum Technik-Highlight.

Hispano-Suiza H6C Nieuport-Astra Torpedo

Der 1924 gebaute Hispano-Suiza H6C Nieuport-Astra Torpedo hat eine Karosserie aus Holz, die von 8.500 Nieten gehalten wird.

Foto: picture alliance/dpa | Andrej Sokolow

Wenn Sie an Rennwagen der 1920er-Jahre denken, stellen Sie sich wahrscheinlich lange Motorhauben, schwere Metallkarosserien und den Geruch von Öl und Benzin vor. Der Hispano-Suiza H6C Nieuport-Astra Torpedo brach mit diesem Bild. Sein Auftraggeber André Dubonnet, einst Kampfpilot im Ersten Weltkrieg, wollte keinen schweren Koloss, sondern ein agiles Auto. Sein Wissen aus der Luftfahrt ließ er in das Projekt einfließen. Das Ergebnis: ein Wagen, der Technik und Experimentierfreude auf ungewöhnliche Weise vereinte.

Holz statt Stahl – Ingenieurdenken aus der Luftfahrt

Während andere Hersteller Blech formten, entschieden sich die Ingenieure von Nieuport-Astra für Mahagoni. Dieses Holz war leicht, stabil und aus dem Flugzeugbau vertraut. Die Karosserie bestand aus nur 3 mm dicken Streifen, die auf einen Rahmen gelegt und mit rund 8.500 Aluminiumnieten befestigt wurden. So entstand eine Hülle mit etwa 72 kg Gewicht. Metallkarosserien jener Zeit brachten oft das Vier- bis Fünffache auf die Waage.

Die Form erinnerte mehr an ein Boot als an ein Auto. Designer Henri Chasseriaux zog die Linien stromlinienförmig und ließ den Wagen wie einen Torpedo wirken. Die Überlegung dahinter: weniger Luftwiderstand, mehr Geschwindigkeit. Dubonnet war überzeugt: „Geschwindigkeit entsteht nicht allein durch Motorleistung, sondern durch optimierte Aerodynamik und Leichtbau.“

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Technik auf der Rennstrecke erprobt

Unter der langen Haube arbeitete ein 8,0-Liter-Reihensechszylinder. Der Motorblock basierte auf Konstruktionen aus dem Flugzeugbau, einem Feld, in dem Hispano-Suiza schon im Ersten Weltkrieg Maßstäbe gesetzt hatte. Der Reihensechszylinder galt als laufruhig und bot gleichzeitig Kraft für lange Distanzen.

Das Sportchassis war tiefergelegt („Surbaissé“) und senkte den Schwerpunkt. Dadurch verringerte sich die Gefahr, in engen Kurven zu kippen. Auf kurvigen Rennstrecken wie der Targa Florio war das ein entscheidender Vorteil. Tatsächlich erreichte Dubonnet 1924 dort Platz sechs und bei der Coppa Florio Platz fünf – trotz Reifenproblemen.

Auspuff Steigboy

Der Auspuff ist eine echte technische Besonderheit – er wurde in Leipzig entwickelt.

Foto: picture alliance/dpa | Andrej Sokolow

Ein Auspuff als technisches Kuriosum

Noch ungewöhnlicher als die Holzkarosserie wirkt heute die Abgasanlage. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine Skulptur: kugelige Kammern, ein fast herzförmiger Rohrverlauf. Auf einer Plakette steht „Steigboy“. Dahinter verbarg sich die Leipziger Firma Steigboy Apparatebau, gegründet 1921 von Friedrich August Boysen.

Boysen entwickelte eine sogenannte Vakuum-Abgasanlage. Statt Dämmmaterial setzte er auf Strömungslehre: Die Abgase dehnten sich in runden Kammern aus, Druckspitzen wurden abgefangen, Prallplatten lenkten den Gasstrom. Spiralförmige Leitflächen erzeugten Unterdruck, der die Zylinder beim nächsten Takt ein wenig freispülen sollte.

Geniale Idee – allerdings ohne Zukunft

Die Idee klang genial – weniger Lärm, mehr Leistung. In der Praxis war der Effekt messbar, aber nicht dauerhaft. Zudem war die Fertigung aufwendig. Deshalb blieb der Steigboy-Auspuff eine technische Rarität. Dass er ausgerechnet am Hispano-Suiza eingebaut wurde, macht den Wagen für Technikinteressierte besonders spannend.

Boysen selbst schrieb Geschichte: Nach dem Ende von Steigboy baute er die Abgasanlagenproduktion bei Eberspächer auf und gründete später die Firma Boysen, die noch heute als Zulieferer für Abgasanlagen und Wasserstoff-Speicher tätig ist. Der Hispano-Suiza ist damit ein Bindeglied zwischen früher Ingenieurskunst und moderner Technik.

Vom Rennwagen zum Luxusauto

Nach den Renneinsätzen bekam der Wagen Kotflügel, Türen und Scheinwerfer. So ließ er sich im Straßenverkehr nutzen. Ein Rennwagen war er dennoch geblieben – leicht, agil und ungewöhnlich geformt.

Holz hatte dabei einen Vorteil: Es rostet nicht. Doch Feuchtigkeit und Alterung machten Restaurierungen nötig. Dass große Teile des originalen Mahagonis bis heute erhalten sind, zeigt, wie stabil die Konstruktion ausgeführt war.

Hispano-Suiza H6C

Der Rennwagen mit Mahagoni-Karosserie gewann 2025 den Hauptpreis beim Pebble Beach Concours d’Elegance.

Foto: picture alliance/dpa | Andrej Sokolow

Detailgetreue Restaurierung

Als Penny und Lee Anderson den Hispano-Suiza 2022 erwarben, entschieden sie sich für eine detailgetreue Restaurierung. RM Auto Restoration nahm sich der Aufgabe an – mit Methoden, die eher an Flugzeugkonservierung erinnern. Über 12.000 Arbeitsstunden und zwei Jahre Forschung flossen in das Projekt.

Originalteile blieben weitgehend erhalten. Wo Ersatz nötig war, nutzten die Restauratoren 100 Jahre altes Mahagoni, um Maserung und Dichte des Holzes beizubehalten. Auch die 8.500 Nieten mussten kontrolliert, erneuert oder stabilisiert werden. Gord Duff von RM Sotheby’s sagte über den Wagen: „Dieses Auto ist einfach ein Meisterwerk. Jeder Winkel, jedes Detail – es ist so wild, wie es 1924 nur sein kann, und seiner Zeit weit voraus.“

Ein Sammlerstück mit Ingenieurgeist

Heute gilt der Hispano-Suiza H6C nicht nur als Luxusobjekt, sondern als Symbol für technisches Querdenken. Er zeigt, dass Ingenieur*innen schon vor 100 Jahren ungewöhnliche Wege gingen, um Gewicht zu reduzieren, Aerodynamik zu verbessern und Technik aus verschiedenen Bereichen zu verbinden.

Dass der Wagen beim Concours d’Elegance in Pebble Beach den Hauptpreis gewann, ist da fast Nebensache. Viel wichtiger ist, dass er eine Geschichte erzählt: von mutigen Entscheidungen, experimentellen Ideen und einer Verbindung von Flugzeug- und Automobiltechnik, die ihrer Zeit voraus war.

(mit Material der dpa)

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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