Fund im Nordkanal 15.11.2025, 09:30 Uhr

Ein deutscher Torpeto, 200 Tote: HMS Bayano nach 110 Jahren entdeckt

Fund im Nordkanal: Forschende identifizieren das Wrack der HMS Bayano, die 1915 von U-27 versenkt wurde. Blick auf Technik und Geschichte.

Taucher untersucht das Wrack der HMS Bayano

Taucher untersucht das Wrack der HMS Bayano.

Foto: Dr. Steffen Scholz

Am 11. März 1915 versank die HMS Bayano innerhalb weniger Minuten. Ein deutscher Torpedo traf den britischen Hilfskreuzer, der in der Morgendämmerung beinahe lautlos über den Nordkanal lief. Fast 200 Seeleute starben. Nur 26 Personen überlebten.

Mehr als 100 Jahre später meldet ein internationales Taucherteam: Sie haben das Wrack gefunden – und zweifelsfrei identifiziert. 106 m unter der Wasseroberfläche, in einem Gebiet, das wegen starker Strömungen und schlechter Sicht notorisch gefürchtet ist.

Der Fund liefert neue Einblicke in ein Ereignis, das im Schatten der großen Schlachten des Ersten Weltkriegs oft übersehen wurde. Und er zeigt, wie stark moderne Analyse, historische Quellen und tiefe Tauchgänge zusammenspielen können.

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Beginn der Suche im Nordkanal

Der Nordkanal zwischen Schottland und Irland wirkt auf Seekarten unspektakulär. Doch das Gebiet ist komplex. Strömungen laufen gegeneinander. Unterwasserwände formen Wellen, die selbst große Schiffe unruhig machen. Für Tauchgänge gilt: kurze Zeitfenster, kaum Fehlertoleranz.

Alexandra Pischyna, Mitglied des Forschungsteams, beschreibt die Lage so: „In dieser Tiefe sind die Bedingungen anspruchsvoll, und die Zeit auf dem Meeresgrund ist kurz, aber die Stätte ist bemerkenswert gut erhalten.“

Das Team fand das Wrack 1,7 Seemeilen entfernt von der Position, die ein überlebender Marineinfanterist nach dem Untergang angegeben hatte. Und 2,4 Seemeilen entfernt von dem Punkt, der im Kriegstagebuch von U-27 vermerkt wurde.

Zwei voneinander unabhängige Quellen – und ein Wrack, das genau dazwischen liegt.

Was die HMS Bayano eigentlich war

Die Bayano wurde 1913 in Glasgow gebaut – damals noch ein Kühlschiff für tropische Früchte. Bananen, Ananas, Zitrusfrüchte. Die Routen führten von Mittelamerika nach Großbritannien.

Das Schiff war 126,95 m lang und 16,20 m breit. Die Dampfkessel trieben zwei Dreifach-Expansionsmaschinen an, die rund 3800 PSi leisteten. Bei voller Fahrt erreichte die Bayano 14,5 kn – gut 27 km/h. Solide Werte für einen Frachter, der in erster Linie stabil sein musste.

Mit Kriegsbeginn änderte sich alles. Die Royal Navy requirierte das Schiff im November 1914. Der Frachter wurde zum Armed Merchant Cruiser, also zu einem bewaffneten Hilfskreuzer. Zwei ältere 15,2-cm-Geschütze und zwei 7,62-cm-Kanonen kamen an Bord. Zusätzliche Marinesoldat*innen verstärkten die Besatzung, die auf über 200 Personen anwuchs.

Zivile Schiffe wurden in dieser Zeit häufig umgebaut. Großbritannien wollte möglichst viele Lücken in der Seeblockade schließen, um den deutschen Handel zu unterbinden. Die Bayano war ein Baustein dieser Strategie.

HMS Bayano

Fast 200 Menschen verloren an Bord der HMS Bayano ihr Leben.

Foto: Dr. Steffen Scholz

Der Morgen, an dem alles zu schnell ging

Der letzte Einsatz der Bayano begann im Januar 1915. Das Schiff patrouillierte zwischen Schottland, Island und den Lofoten. Es sollte deutsche Schiffe abfangen – oder zumindest abschrecken.

Am 11. März lief die Bayano im Morgengrauen langsam Richtung Liverpool. Sie hatte wegen ausgelegter U-Boot-Abwehrnetze die Geschwindigkeit reduziert. Statt knapp 15 kn fuhr sie nur rund 7 kn. Ein riskanter Moment.

U-27 unter Kapitänleutnant Bernd Wegener entdeckte den Hilfskreuzer gegen 04:50 Uhr. Das deutsche U-Boot konnte schnell näherkommen. Aus etwa 300 Metern Entfernung feuerte es einen einzelnen Torpedo ab.

Schiff sank innerhalb von fünf Minuten

Der Einschlag traf das Vorschiff. Eine Explosion folgte. Dann eine zweite – wahrscheinlich Munition, die im vorderen Bereich lagerte. Innerhalb von fünf Minuten sank das Schiff über den Bug. Viele Personen schliefen noch in den Mannschaftsräumen. Die Räume lagen genau dort, wo der Torpedo einschlug.

Lieutenant Commander Guy schilderte die letzten Sekunden später so: „Captain Henry Carr stand bis zuletzt auf der Brücke, winkte und rief: ‚Viel Glück, Jungs‘.“ (Zeitzeugenbeschreibung nach historischen Aufzeichnungen)

26 Menschen überlebten. Sie trieben vier Stunden im kalten Wasser. Ein Kohlenfrachter namens Balmarino fand und rettete sie. Ein anderer Frachter, die Castlereagh, passierte das Trümmerfeld kurz zuvor, wagte jedoch keine Hilfe – die Besatzung vermutete ein zweites U-Boot in der Nähe. Diese Vorsicht entsprach den damaligen Vorschriften, hatte aber Folgen. Einige Personen hätten möglicherweise länger überlebt.

Identifizierung des Wracks

Über 100 Jahre nach dem tödlichen Treffer wurde das Wrack nun identifiziert. Steffen G. Scholz, der fotografische Leiter der Expedition, erläutert den Ansatz: „Die Identifizierung der Bayano basiere nicht auf einem einzigen Foto, sondern auf einer Reihe sich gegenseitig bestätigender Indikatoren.“

Konkret sah das Team:

  • die Größe der Kanonen,
  • die Lage der Geschütze,
  • die Form des Rumpfes,
  • Details des Aufbaus,
  • und die Dimensionen des Schiffs.

Wichtigster Punkt: In diesem Seegebiet sank nur ein einziges Schiff mit der spezifischen Konfiguration aus zwei 6-Zoll-Geschützen.

Das Team nutzte zusätzlich deutsche Unterlagen, Berichte aus der Zeit und die Aussagen von Überlebenden. Am Ende ergab sich ein Gesamtbild, das laut Scholz keine andere Interpretation zulässt: „Das Wrack ist die HMS Bayano.“

Warum man nichts mitnimmt

Das Team orientiert sich an einer klaren Linie: keine Souvenirs, keine geborgenen Objekte. Alexandra Pischyna betont: „Es ist eine historische Stätte, und sie soll auch so erhalten bleiben.“

Der Respekt vor den Toten spielt eine große Rolle. In vielen Wracks liegen immer noch persönliche Gegenstände der Besatzungen. Manche Schiffe sind zugleich Kriegsgräber. Die Bayano zählt zu diesen Fällen.

„ProjectXplore“, so der Name der Gruppe, möchte 15 bis 20 weitere Wracks untersuchen. Einige davon sind nur durch Legenden oder Erzählungen überliefert. Manchmal kommen Hinweise von Fischenden, deren Netze sich verfangen. (mit Material der dpa)

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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