Darum kommt die Software-Allianz der Autoindustrie zu spät
Alle großen deutschen Automobilhersteller und Zulieferer wollen sich zu einer Software-Allianz zusammenschließen. Ihr Ziel: Gemeinsam eine Basis-Software zu entwickeln, um Abhängigkeiten von US- und chinesischen Anbietern zu verringern, Entwicklungskosten zu senken und die Innovationsgeschwindigkeit zu steigern. „Endlich. Aber eigentlich viel zu spät“, meint dagegen Automobilexperte Stefan Bratzel.

Für Automobilexperte Stefan Bratzel kommt die Software-Allianz der deutschen Automobilbranche zu spät. Er hofft, dass der Zug noch nicht abgefahren ist.
Foto: picture alliance/dpa/Matthias Balk
Auf den ersten Blick klingt es nach einem großen Wurf, der auf dem 29. Internationalen Automobil-Elektronik Kongress (AEK) vor wenigen Tagen verkündet wurde: Drei große Automobilhersteller, Zulieferer und Softwareunternehmen wollen eine herstellerübergreifende Basis-Software entwickeln.
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Verband der Automobilindustrie unterstützt
Mit der Unterstützung des Verbands der Automobilindustrie (VDA) haben sich 11 Unternehmen der Automobilbranche ein sogenanntes Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet und sich auf eine vorwettbewerbliche Zusammenarbeit in der Softwareentwicklung auf Basis von Open-Source verständigt.
„Wir bauen gemeinsam ein zukunftsfähiges, leistungsstarkes Software-Ökosystem – offen, transparent und sicher“, sagte VDA-Geschäftsführer Marcus Bollig. Ihr Ziel ist es, Abhängigkeiten von chinesischen und vor allem amerikanischen Anbietern zu verringern, die Entwicklungskosten signifikant zu senken und gleichzeitig die Innovationsgeschwindigkeit zu steigern.
Wer macht bei der Software-Allianz mit?
Der Vollständigkeit halber die Unternehmen der Software-Allianz: VW, BMW, Mercedes, Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Hella, sowie die Softwareunternehmen Etas, Qorix und Vector Informatik. Hinzu kommt noch der französische Zulieferer Valeo, denn die Allianz soll offen sein für alle im Bereich Automobil.
„Diese Initiative kommt mindestens sieben Jahre zu spät“
„Die VDA-Initiative ist ein gutes Beispiel dafür, welche Vorteile Zusammenarbeit mit sich bringen kann“, sagt Torsten Gollewski, Executive Vice President Corporate R&D Innovation & Technology bei ZF Friedrichshafen. „Grundsätzlich gebe ich Gollewski recht“, sagt Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts Center of Automotive Management (CAM). „Doch diese Initiative kommt mindestens sieben Jahre zu spät“, so Bratzel weiter.
Er verweist dabei auf den enormen, kaum einholbaren Vorsprung anderer Hersteller: „Allein Tesla hat ja einen Vorsprung bei Software, deren Entwicklung und Architektur von fast 20 Jahren.“ Laut VDA sei der Serieneinsatz in ersten Modellen ab 2030 geplant. „Da gehen dann noch mal fünf Jahre ins Land, in der natürlich auch die anderen Hersteller wie Google oder Apple weiter entwickeln.“
Bereits 2020 (Daimler und Volkswagen) gab es „Sondierungsgespräche“ über gemeinsame Softwareentwicklungen. Bratzel sprach seinerzeit vom „einem Krieg der Welten“, Tesla war bereits damals nach seiner Einschätzung den hiesigen Automobilherstellern weit voraus, wörtlich sagte Bratzel, diese seien softwareseitig „miserabel aufgestellt.“
Schon in der Vergangenheit gab es Vorstöße in Sachen Software-Allianzen
Das sah offenbar auch BMW-Chef Oliver Zipse so und mahnte auf dem Handelsblattgipfel 2021 Mercedes, VW und die Zulieferer zu einer breiten Kooperation bei künftigen Betriebssystemen. Um die Hoheit über die Daten in den eigenen Fahrzeugen dauerhaft zu behalten, warb Zipse für eine breite Koalition von etablierten Herstellern und Lieferanten. „Das ist eine große Chance für die europäische Industrie“, sagte der BMW-Chef. Doch die Absagen kamen freundlich, aber bestimmt.
Der damalige VW-Chef Diess zeigte sich zwar grundsätzlich offen, aber: „Wir müssen die Plattform zunächst für uns selbst entwickeln, das ist komplex genug.“ Mercedes-Chef Källenius gab zu bedenken, dass das das Betriebssystem letztlich das Gehirn und zentrale Nervensystem des Autos sei. Es sei daher „extrem wichtig“ dieses System in der Gänze zu beherrschen. „Wenn man das eins zu eins zusammenlegen würde zwischen zwei Autoherstellern, dann hätte man im Prinzip die gleiche digitale Seele.“ Außerdem arbeitete Mercedes am MB.OS-Betriebssystem, das in – damals – drei Jahren auf den Markt lommen sollte. „Wir müssen unsere Deadlines halten“, so Källenius.
Die Vorteile einer Zusammenarbeit
Bratzel hielt die Entwicklung bereits vor vier Jahren für „tragisch“ und den Zug bereits 2021 für fast abgefahren. Auch andere Automobilexperten sahen das damals ähnlich. So konstatierte Albert Waas, Automobilexperte bei der Boston Consulting Group: „Die Autohersteller müssen sich entscheiden: Eine aufwendige und langwierige Eigenentwicklung auf der einen Seite birgt das Risiko, hinter dem Wettbewerb zurückzufallen. Die Integration einer bestehenden Lösung der großen Tech-Konzerne auf der anderen Seite öffnet die Datenschnittstelle für externe Parteien.“
Nun also die medial gefeierte Software-Alliance. „Ein richtiger, aber längst überfälliger Schritt“, sagt Bratzel, „das hätte man allerdings schon vor Jahren haben können und sollen. Es bleibt zu hoffen, dass der Zug nicht schon längst abgefahren ist.“
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