Massiver Eisverlust 13.10.2023, 11:17 Uhr

Alarmierende Erkenntnisse: Antarktis auf der Intensivstation

Ein Forschungsteam hat anhand von hunderttausend Satellitenbildern den Gesundheitszustand der Antarktis beurteilt. Das Ergebnis: Insbesondere das antarktische Schelfeis ist in den letzten 25 Jahren dramatisch geschrumpft – der Patient liegt auf der Intensivstation. Ob er überleben wird? Steht noch nicht fest!

Antarktis

Durch den Klimawandel verlor die Antarktis in den vergangenen 25 Jahren gigantische Eismassen.

Foto: Panthermedia.net/hecke

Neueste Forschungen, basierend auf Daten der Satellitenmissionen Copernicus Sentinel-1 und CryoSat der ESA, zeigen besorgniserregende Veränderungen im antarktischen Schelfeis. Innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts hat sich das Volumen bei 40 Prozent dieser schwimmenden Eisschichten signifikant reduziert. Dies verdeutlicht die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Antarktis, wobei die Muster des Eisverlusts variieren. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.

Schelfeis spielt eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Gletscher

Beim Schelfeis handelt es sich um massive schwimmende Ausläufer des antarktischen Eisschildes. Es spielt eine entscheidende Rolle bei Stabilisierung der Gletscher in der Region. Sie fungieren als Stützen und verlangsamen den Fluss von Eismassen in das Meer. Das führt zu einem doppelten Problem in der Antarktis: Je mehr das Schelfeis schrumpft, desto mehr Eis vom Eisfeld geht außerdem verloren.

Ein Forscherteam der Universität Leeds hat herausgefunden, dass 71 von 162 antarktischen Schelfeisgebieten an Volumen verloren haben. Dies führte zu einem Zufluss von fast 67 Billionen Tonnen Schmelzwasser in die Ozeane. Dieser erhebliche Süßwasserzufluss könnte die Zirkulationsmuster der Ozeane beeinflussen.

Schelfeis geht unterschiedlich stark zurück

Das Forscherteam hat herausgefunden, dass fast alle Schelfeisgebiete auf der Westseite der Antarktis Eis verloren haben, während die meisten auf der Ostseite entweder unverändert blieben oder sogar an Masse zunahmen.

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Benjamin Davison von der Universität Leeds erklärt, dass unterschiedliche Meerestemperaturen und -strömungen rund um die Antarktis für dieses gemischte Bild verantwortlich sind. Während die westliche Antarktis dem Einfluss warmen Wassers ausgesetzt ist, welches das Schelfeis von unten erodiert, schützt ein kaltes Wasserband an der Küste einen Großteil der Ostantarktis.

Gewinner und Verlierer

Die Antarktis ist ein immenser Kontinent mit unterschiedlichen Meeresströmungen und Winden auf der West- und Ostseite. Dadurch wird wärmeres Wasser unter das Schelfeis der Westseite gedrückt. Das Forscherteam konnte somit Gewinner und Verlierer ermitteln:

  • Das Getz-Schelfeis erlebte einen massiven Eisverlust von 1,9 Billionen Tonnen im Laufe von 25 Jahren. Erstaunlicherweise stammten nur 5 Prozent dieses Verlusts vom Kalben – dem Prozess, bei dem große Eisstücke abbrechen und ins Meer fallen. Der Großteil des Verlusts entstand durch das Abschmelzen von unten.
  • Ähnlich verlor das Pine-Island-Schelfeis 1,3 Billionen Tonnen Eis, wobei 450 Milliarden Tonnen durch Kalben verursacht wurden.
  • Im Gegensatz dazu profitierte das in kälteren Gewässern gelegene Amery-Schelfeis mit einem Zugewinn von 1,2 Billionen Tonnen Eis.

Dr. Davison kommentiert die Ergebnisse folgendermaßen: „Wir hatten erwartet, dass die meisten Schelfeisgebiete schnelle, aber kurzzeitige Schrumpfungszyklen durchlaufen und dann langsam wieder wachsen. Stattdessen sehen wir, dass fast die Hälfte von ihnen schrumpft, ohne Anzeichen einer Erholung“.

Anna Hogg, ebenfalls von der University of Leeds, ergänzt: „Die Studie hat wichtige Erkenntnisse gebracht. Wir neigen dazu, bei Schelfeis an zyklische Vorstöße und Rückzüge zu denken. Stattdessen beobachten wir einen stetigen Schwund, der auf das Schmelzen und Kalben zurückzuführen ist“.

Satelliten notwendig, die auch bei Dunkelheit „sehen“

Die Polarregionen sind während des Polarwinters in Dunkelheit gehüllt, deshalb braucht es Satelliten mit Radarinstrumenten, die das ganze Jahr über Bilder und Messungen liefern – die also auch durch die Dunkelheit „sehen“ können.

Die Copernicus-Sentinel-1-Mission ist die wichtigste europäische Radarmission, liefert sie doch unabhängig von Tageszeit und Wetterverhältnissen Bilder. Der CryoSat der ESA verfügt über einen Radar-Höhenmesser, der Höhenänderungen des Eises erfasst, um das tatsächliche Volumen des Eises und dessen Veränderungen zu berechnen.

Noel Gourmelen von der Universität Edinburgh und Earthwave erklärt: „Seine Fähigkeit, die Erosion von Schelfeis durch den darunter liegenden Ozean genau zu kartieren, ermöglichte diese genaue Quantifizierung und Aufteilung des Schelfeisverlustes, enthüllte aber auch faszinierende Details darüber, wie diese Erosion abläuft.“

Mark Drinkwater von der Esa ist zufrieden: „Die Sentinel-1-Satellitenmission im Rahmen des europäischen Copernicus-Programms hat diese Anforderung erfüllt. Zusammen mit den historischen Daten, die von den ESA-Vorgängern ERS-1, ERS-2 und Envisat erfasst wurden, hat die Sentinel-1-Mission unsere Möglichkeiten revolutioniert, eine Bestandsaufnahme der schwimmenden Schelfeisflächen vorzunehmen, die als Indikator für die Massenbilanz und den Zustand des antarktischen Eisschildes dienen.“

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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