Unbekannter Tiwanaku-Tempel in Bolivien entdeckt
Ein neu entdeckter Tempel zeigt: Die Tiwanaku-Kultur war komplexer und vernetzter als bisher angenommen. Hightech macht die Struktur sichtbar.

Steinreihen gaben einen alten Tempel frei, der nach dem einheimischen Namen für dieses Gebiet „Palaspata” genannt wurde. Der Tempelkomplex ist etwa 125 Meter lang und 145 Meter breit – ungefähr so groß wie ein Stadtblock – und umfasst 15 viereckige Einfriedungen, die um einen rechteckigen Innenhof angeordnet sind. Dies ist eine digitale Rekonstruktion des Tempels.
Foto: José Capriles / Penn State. Creative Commons BY-NC-ND 4.0
Im bolivianischen Hochland haben Archäologen einen bisher unbekannten Tiwanaku-Tempel entdeckt. Neue Technologien erlaubten es, unterirdische Strukturen sichtbar zu machen. Palaspata war nicht nur eine Kultstätte, sondern spielte eine Schlüsselrolle im regionalen Austausch. Die Entdeckung verändert das Bild der Tiwanaku-Kultur grundlegend.
Inhaltsverzeichnis
Verborgene Strukturen im Hochland
Südlich des Titicaca-Sees liegt eine abgelegene Hügellandschaft. Dort entdeckte ein Team aus bolivianischen und US-amerikanischen Forschenden eine archäologische Sensation: Einen bislang unbekannten Tempelkomplex der Tiwanaku-Kultur. Das Areal, lokal als Palaspata bezeichnet, war unter Gras und Erde verborgen. Erst moderne Technik machte die Struktur sichtbar – darunter Drohnenaufnahmen, Satellitenbilder und 3D-Photogrammetrie.
„Da die Merkmale sehr schwach sind, haben wir verschiedene Satellitenbilder miteinander kombiniert“, erklärt José Capriles von der Penn State University. „Außerdem haben wir eine Reihe von Flügen mit unbemannten Luftfahrzeugen durchgeführt, um bessere Bilder zu erhalten.“
Tempel, Austausch und Rituale
Die Archäolog*innen fanden eine rechteckige Anlage mit einer zentralen Plaza, umgeben von 15 kleineren, quadratischen Einfriedungen. Viele davon sind auf Sonnenwenden ausgerichtet. Hinweise auf Zeremonien lieferten Keramikfragmente von Keru-Bechern. Diese trichterförmigen Gefäße wurden für rituelle Getränke genutzt – insbesondere für Chicha, ein fermentiertes Maisbier.
Der benötigte Mais wuchs jedoch nicht im Hochland, sondern vermutlich in den weit entfernten Tälern um Cochabamba. Das legt nahe: Palaspata war mehr als ein spirituelles Zentrum. Es war Teil eines ausgedehnten Handelsnetzwerks.
Die Tiwanaku-Kultur: Mehr als Monumente
Tiwanaku, eine der frühesten städtischen Gesellschaften im Andenraum, existierte zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr. Ihr Einfluss reichte weit über das zentrale Hochland hinaus – möglicherweise bis zu 600.000 Quadratkilometer. Ihr Zentrum lag in der Nähe des heutigen Tiahuanaco. Bekannt ist die Kultur vor allem für ihre monumentalen Bauwerke wie die Pyramide Akapana oder die präzise bearbeiteten Steinquader von Pumapunku.
Doch über ihre politische Struktur war bisher wenig bekannt. Der Fund von Palaspata liefert nun neue Hinweise: Der Tempel könnte als rituelle Kontrollstation entlang einer bedeutenden Handelsroute gedient haben – vergleichbar mit den „Tambo“-Stationen der späteren Inka.
Tiwanaku-Kultur auf einen Blick
• Zeitraum: ca. 500–1000 n. Chr.
• Zentrum: Stadt Tiwanaku nahe des Titicacasees
• Ausdehnung: bis zu 600.000 km² (heutiges Bolivien, Peru, Chile)
• Merkmale: Monumentalbauten, Handelsnetzwerke, religiöse Feste
• Bekannte Bauten: Akapana-Pyramide, Kalasasaya-Tempel, Pumapunku-Plattform
• Wichtiger Fund: Palaspata-Tempel nahe Caracollo (entdeckt 2024)
• Ritualgetränk: Chicha (fermentiertes Maisbier)
• Bedeutung: Verknüpfung von Religion, Politik und Handel in einem frühen Andenstaat
Drei Landschaften – ein Knotenpunkt
Palaspata liegt an einem strategischen Ort: Zwischen dem fruchtbaren Gebiet des Titicacasees, dem trockenen Altiplano und den bewaldeten Tälern im Osten. Diese Lage macht den Ort zu einem idealen Umschlagplatz für Güter, Informationen und Glaubenspraktiken.
Das Konzept einer Kultstätte, die gleichzeitig politische und wirtschaftliche Funktionen erfüllt, ist nicht neu – doch in dieser Deutlichkeit bislang selten belegt. Capriles betont: „Die meisten wirtschaftlichen und politischen Transaktionen mussten durch die Gottheit vermittelt werden, da dies eine gemeinsame Sprache war, die die Zusammenarbeit verschiedener Personen erleichterte.“
Siedlung und Bestattungen: Hinweise auf Leben
Neben dem Tempel fanden die Forschenden auch Spuren einer Siedlung: Ocotavi 1. Dort entdeckten sie Reste von Gebäuden, Alltagsgegenständen und eine Vielzahl von Keramiken. Darunter auch Gefäße mit typischem Schwarz-auf-Orange-Dekor – ein Markenzeichen der Tiwanaku-Kultur.
In einem Grab lagen drei Personen mit stark deformierten Schädeln – ein Zeichen für soziale Eliten. Radiokohlenstoffanalysen datieren die Nutzung des Orts auf die Zeit zwischen 630 und 950 n. Chr. Auch Tierknochen – von Lamas, Fischen und Nagetieren – deuten auf eine dauerhaft bewohnte, komplexe Gemeinschaft hin.

Auf der Oberfläche des Tempels wurden zahlreiche Fragmente von Keru-Bechern gefunden. Die Becher wurden bei landwirtschaftlichen Festen und Feierlichkeiten zum Trinken von Chicha, einem traditionellen Maisbier, verwendet und weisen auf die Funktion des Tempels als zentraler Handelsplatz hin. .
Foto: José Capriles / Penn State. Creative Commons
Moderne Technik trifft indigene Erinnerung
Während die wissenschaftliche Entdeckung neu ist, kannten Einheimische die Erhebung schon lange. Für sie war der Hügel stets ein Ort von Bedeutung. Erst durch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden vor Ort konnte das Potenzial der Fundstelle erschlossen werden. Die Stadt Caracollo setzt sich nun für den Schutz und Erhalt des archäologischen Erbes ein.
Justo Ventura Guarayo, Bürgermeister der Gemeinde, sagte: „Die archäologischen Funde in Palaspata sind bedeutend, weil sie einen wichtigen Aspekt unseres lokalen Erbes hervorheben, der bisher völlig übersehen wurde.“
Neue Perspektiven auf ein altes Reich
Der Palaspata-Tempel zeigt: Tiwanaku war keine lockere Allianz kleiner Gemeinden, sondern ein strukturierter Staatsverband. Architektur, Religion und Handel griffen ineinander – und wurden gezielt genutzt, um Macht zu sichern. Die neue Ausgrabung verlagert den Blick weg vom Zentrum am Titicacasee hin zu den Randzonen – und zeigt, wie stark diese Regionen in das System eingebunden waren.
„Es gibt noch so viel zu entdecken, von dem wir nichts wissen und das sich vielleicht direkt vor unseren Augen verbirgt. Man muss nur die Augen öffnen, um zu sehen, was da draußen ist“, resümiert Capriles.
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