Teilchen aus dem All lüften Geheimnisse einer Maya-Pyramide
Kosmische Myonen durchleuchten den Maya-Tempel El Castillo. Forschende kartieren das Innere erstmals ohne Eingriff.
Ein internationales Team nutzt kosmische Strahlung, um verborgene Strukturen im Maya-Tempel El Castillo zu finden.
Foto: Smarterpix / richie0703
Der Blick ins Innere monumentaler Bauwerke stellt die Archäologie vor ein Grundproblem. Jede Bohrung verändert das Original. Jeder Schnitt gefährdet Substanz und Statik. Bei einem der bekanntesten Bauwerke Mesoamerikas suchen Forschende nun einen anderen Weg. Sie setzen auf Teilchen aus dem All.
Im Zentrum des Projekts steht El Castillo, auch als Tempel des Kukulcán bekannt. Die Pyramide prägt das zeremonielle Zentrum von Chichén Itzá. Seit Jahrzehnten vermuten Archäologinnen und Archäologen, dass sich im Inneren mehr verbirgt als die bekannten Kammern. Nun sollen Myonen Klarheit schaffen – ohne einen Stein zu bewegen.
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Ein Kalender aus Stein mit offenem Innenleben
El Castillo entstand zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert n. Chr. Die Pyramide misst rund 55,5 m pro Seite und ragt etwa 30 m in die Höhe. Neun Terrassen stapeln sich übereinander. Jede Seite besitzt eine zentrale Treppe. Zusammen ergeben sie ein präzise geplantes Symbolsystem.
Besonders bekannt ist das Schauspiel zur Tag-und-Nacht-Gleiche. Dann werfen die Stufenkanten Schatten, die wie der Körper einer Schlange wirken. Sie scheinen die Treppe hinabzugleiten. Für die Maya war das kein Zufall, sondern Teil einer religiösen Inszenierung.
Außen ist der Bau gut dokumentiert. Innen gilt das nicht. In den 1930er Jahren legten Archäologinnen und Archäologen einen Tunnel an der Nordseite frei. Er führt zu zwei Kammern. Dort fanden sie eine Chac-Mool-Skulptur und einen rot bemalten Jaguarthron. Weitere Grabungen unterblieben. Das Risiko für die Statik galt als zu hoch.
Hinweise aus der Geophysik, aber keine Gewissheit
Spätere Untersuchungen nutzten elektrische Widerstandsmessungen. Das Verfahren reagiert darauf, wie gut Untergrund elektrischen Strom leitet. Die Daten deuteten auf zusätzliche Hohlräume hin. Zudem bestätigten sie, dass die Pyramide über einem wassergefüllten Hohlraum errichtet wurde.
Dieser Hohlraum steht mit dem regionalen Cenoten-System in Verbindung. Diese natürlichen Senkgruben galten den Maya als heilige Orte. Sie verbanden die Oberwelt mit der Unterwelt und spielten eine zentrale Rolle im Kult um den Regengott Chaac.
Die Hinweise waren spannend. Beweise lieferten sie nicht. Genau hier setzt das neue Projekt an.
Myonen als Werkzeug der Archäologie
Die Forschenden nutzen ein Verfahren namens Muographie. Es funktioniert mit Myonen. Diese subatomaren Teilchen entstehen, wenn kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre auf Luftmoleküle trifft. Sie treffen ständig auf die Erde. Auch dicke Gesteinsschichten stoppen sie kaum.
Das Prinzip ist einfach. Je dichter ein Material, desto mehr Myonen werden abgeschwächt oder gestreut. Detektoren messen, wie viele Teilchen aus welcher Richtung ankommen. Daraus entsteht eine Dichtekarte des Bauwerks. Hohlräume zeigen sich als Abweichungen. Das Verfahren ähnelt einer Röntgenaufnahme – nur ohne künstliche Strahlung.
Detektoren im Tunnel
Geplant ist der Einsatz von zwei speziell angepassten Myonendetektoren. Sie sollen in bestehenden Tunneln auf der Nord- und Südseite installiert werden. Die erste Messphase dauert rund sechs Monate. Zunächst nehmen die Forschenden die bekannten Kammern ins Visier.
„In dieser Feldsaison, die sich über sechs Monate erstrecken wird, hoffen wir, die bekannten Kammern mit hinreichender Sicherheit unterscheiden zu können“, sagt der Kernphysiker Edmundo García Solís von der Chicago State University.
Technik unter schwierigen Bedingungen
Die Detektoren sind für den Einsatz vor Ort konstruiert. Sie müssen in engen Tunneln funktionieren. Dort herrscht eine Luftfeuchtigkeit von fast 100 %. Die Temperatur liegt bei etwa 32 °C. Für empfindliche Elektronik ist das eine Herausforderung.
„Diese Detektoren messen den Dichteunterschied. Das Extrem der Dichteunterschiede ist das Vakuum“, erklärt García Solís. Das hat Folgen für die Auswertung. Sollte es weitere Kammern geben, könnten diese teilweise verfüllt sein. Dann unterscheidet sich ihre Dichte nur wenig vom umgebenden Gestein. In diesem Fall braucht es mehr Messzeit und größere Datenmengen.
Alte Hypothesen auf dem Prüfstand
Mit den Myonendaten verbinden sich mehrere Fragen. Eine betrifft die Baugeschichte. Viele Maya-Tempel entstanden schichtweise. Neue Bauten umschlossen ältere. Möglich ist also ein älterer Tempel im Inneren von El Castillo.
Eine andere Hypothese zielt auf die Nutzung. Einige Forschende halten es für denkbar, dass ein innerer Bau als königliche Grabstätte diente. Solche Bestattungen sind aus anderen Regionen Mesoamerikas bekannt.
„Die Burg ist, wie andere Maya-Tempel auch, das Ergebnis mehrerer Bauphasen“, sagt Guadalupe Espinosa Rodríguez, Direktorin der archäologischen Stätte von Chichén Itzá. Die Muographie könnte diese Annahmen stützen oder widerlegen. Ohne Grabung. Ohne Eingriff.
Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg
Geleitet wird das Projekt vom Instituto Nacional de Antropología e Historia. Beteiligt sind Forschende der Universidad Nacional Autónoma de México sowie mehrere US-amerikanische Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Archäologinnen, Physiker und Ingenieure arbeiten eng zusammen. Die einen liefern die historischen Fragen. Die anderen entwickeln Detektoren, analysieren Signale und übersetzen Messdaten in räumliche Modelle.
Muographie kam bereits bei Vulkanen, Tunneln und einzelnen historischen Bauwerken zum Einsatz. In Mesoamerika zählt El Castillo zu den größten und komplexesten Objekten dieser Art.
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