Tragbare Atomuhr soll Dunkle Materie aufspüren
Das MIT baut die präziseste Uhr der Welt – sie misst Zeit im Takt der Quanten und könnte das Unsichtbare des Universums enthüllen.
Vladan Vuletić mit Mitgliedern seiner Gruppe für experimentelle Atomphysik. Von links nach rechts: Matthew Radzihovsky, Leon Zaporski, Qi Liu, Vladan Vuletić und Gustavo Velez. Das Team will tragbare Atomuhren entwickeln, mit denen sich Dunkle Materie aufspüren lässt.
Foto: Melanie Gonick, MIT
Wenn Sie Ihr Smartphone zücken, um die Uhrzeit zu prüfen oder sich per Navi ans Ziel lotsen lassen, hängt alles von einem unscheinbaren Prinzip ab: der Präzision von Atomuhren. Ohne sie gäbe es kein GPS, keine synchronisierten Netzwerke, keine exakten Finanztransaktionen. Doch die nächste Generation dieser Zeitmesser könnte weit mehr leisten – vielleicht sogar helfen, das Rätsel der Dunklen Materie zu lösen.
Inhaltsverzeichnis
Zeit im Takt der Elektronen
Atomuhren messen Zeit nicht über Zahnräder oder Pendel, sondern über die Schwingung von Elektronen in Atomen. In den Standarduhren von heute kommen Cäsium-133-Atome zum Einsatz. Ihre Elektronen wechseln mehr als 9 Milliarden Mal pro Sekunde zwischen zwei Energieniveaus – jeder dieser Übergänge entspricht einem „Tick“ der Uhr.
Forschende gehen nun einen Schritt weiter: Statt Mikrowellen verwenden sie Licht. Atome wie Ytterbium oder Strontium besitzen Übergänge bei sogenannten optischen Frequenzen – das heißt, ihre Elektronen schwingen bis zu 100 Billionen Mal pro Sekunde. Je höher die Frequenz, desto feiner lässt sich Zeit auflösen.
Doch diese Präzision hat ihren Preis. Schon kleinste Störungen durch Laser, Magnetfelder oder Temperaturschwankungen können das Messergebnis verfälschen. Genau hier setzt eine neue Arbeit von Physiker*innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an.
Ein Trick gegen das Quantenrauschen
Das Team um Vladan Vuletić, Professor für Physik am MIT, hat eine Methode entwickelt, um das sogenannte Quantenrauschen zu unterdrücken – ein unvermeidliches Grundrauschen, das aus den Gesetzen der Quantenmechanik resultiert und die Genauigkeit jeder Messung begrenzt.
In klassischen Atomuhren wird jedes Atom unabhängig gemessen. Dabei schwankt seine Energie minimal, was zu Unsicherheiten führt. Vuletićs Team nutzt stattdessen ein Phänomen namens Quantenverschränkung. In diesem Zustand verhalten sich die Atome nicht mehr einzeln, sondern kollektiv – als wären sie ein einziger, gemeinsamer Taktgeber.
Genauer gesagt erzeugen die Forschenden einen sogenannten Spin-squeezed State. Dabei wird das Quantenrauschen in einer Messrichtung verringert, während es in einer anderen ansteigt. Der Effekt: Die relevante Messgröße – die Frequenz der Atomuhr – lässt sich präziser bestimmen als bei einem Ensemble unabhängiger Atome.
Bereits 2020 zeigte das MIT, dass sich durch diese Verschränkung die Messgenauigkeit deutlich verbessern lässt. Nun hat das Team die Methode verfeinert und auf sogenannte optische Atomuhren übertragen. Der neue Ansatz verdoppelt die Stabilität der Messung und ermöglicht es, winzige Unterschiede in der Taktfrequenz zu erkennen.
„Wir haben festgestellt, dass wir nun einen fast doppelt so kleinen Unterschied in der optischen Frequenz oder der Taktfrequenz der Uhr auflösen können, ohne an die Grenze des Quantenrauschens zu stoßen“, sagt Erstautor Leon Zaporski.
Das Geheimnis der globalen Phase
Den eigentlichen Durchbruch brachte eine Beobachtung, die viele bisher für unbedeutend hielten: die globale Phase. Wenn Laserlicht mit einem verschränkten Atomensemble wechselwirkt, verändert sich die gemeinsame Phase des Systems – eine Art kollektive Schwingung, die Informationen über die Laserfrequenz enthält.
Die Atome kehren nach der Messung zwar in ihren Ausgangszustand zurück, behalten jedoch eine subtile „Erinnerung“ an die Lichtwellen, die sie angeregt haben. Diese Phase lässt sich messen und zur Stabilisierung des Lasers nutzen.
„Man könnte meinen, wir hätten nichts erreicht“, sagt Vuletić. „Aber diese globale Phase enthält Informationen über die Laserfrequenz.“
Das Verfahren, das die Forschenden globale Phasenspektroskopie nennen, ermöglicht es, Laser und Atome perfekt zu synchronisieren. Dadurch wird die Uhr nicht nur stabiler, sondern auch potenziell transportabel.
Vom Labor in die Tasche
Heute sind optische Atomuhren noch aufwendig und stationär. Sie füllen ganze Labore und reagieren empfindlich auf Vibrationen oder Temperaturschwankungen. Die Vision des MIT-Teams: tragbare Präzisionsuhren, die überall einsetzbar sind – von Satelliten über geologische Stationen bis hin zu Weltraummissionen.
Das Ziel ist ehrgeizig, doch der Nutzen wäre enorm. Mobile Atomuhren könnten nicht nur Navigation und Kommunikation revolutionieren, sondern auch neue Anwendungen in der Grundlagenforschung eröffnen.
„Mit diesen Uhren versuchen die Menschen, Dunkle Materie und Dunkle Energie zu entdecken, zu testen, ob es wirklich nur vier Grundkräfte gibt, und sogar zu prüfen, ob solche Uhren Erdbeben vorhersagen können“, sagt Vuletić. „Wir glauben, dass unsere Methode helfen kann, diese Uhren transportabel zu machen und sie genau dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden.“
Zeit als Detektor für Dunkle Materie
Was hat Zeitmessung mit Dunkler Materie zu tun? Nach heutigem Verständnis macht sie rund 85 % der gesamten Materie im Universum aus – sichtbar ist sie jedoch nicht. Sie verrät sich nur durch ihre Schwerkraft.
Viele Physikerinnen und Physiker vermuten, dass Dunkle Materie aus bislang unbekannten Teilchen besteht, die unbemerkt durch uns hindurchfliegen. Falls diese Teilchen die fundamentalen Naturkonstanten – etwa die Feinstrukturkonstante α – geringfügig verändern, könnten ultrapräzise Atomuhren solche winzigen Schwankungen registrieren.
Ein Netzwerk synchronisierter optischer Atomuhren, das an verschiedenen Orten gleichzeitig misst, könnte derartige Abweichungen sichtbar machen. Stimmen zwei Uhren, die an weit voneinander entfernten Orten stehen, plötzlich nicht mehr exakt überein, wäre das ein möglicher Hinweis auf den Einfluss Dunkler Materie.
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Ein Netzwerk der Zeit
In Europa, den USA und Japan entstehen derzeit Initiativen, die genau das anstreben. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) etwa arbeitet am Optical Clock Network, das optische Uhren über Glasfaserleitungen verbindet. Ziel ist es, Frequenzen mit einer Genauigkeit von 10⁻¹⁸ zu vergleichen – das entspricht einer Abweichung von weniger als einer Sekunde in 30 Milliarden Jahren.
Wenn künftig tragbare Uhren hinzukommen, ließe sich dieses Netzwerk auf abgelegene Regionen, Gebirge, Wüsten oder sogar Satelliten ausdehnen. Damit würde die Zeit selbst zu einem Sensor – für Gravitation, tektonische Bewegungen und vielleicht auch für das Unsichtbare zwischen den Sternen.
Optische Atomuhren gelten schon heute als die präzisesten Messinstrumente der Menschheit. Mit der neuen MIT-Methode könnten sie bald nicht nur die Zeit messen, sondern auch helfen, das Universum besser zu verstehen.
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