Pompeji: Neue Fresken enthüllen verbotene Dionysos-Rituale
Neue Fresken in Pompeji zeigen geheime Dionysos-Rituale. Entdecken Sie, was die antike Kunst über verborgene Kultfeiern verrät.

Die gefundenen Fresken sind lebensgroß.
Foto: Silvia Vacca / Archaelogical Park of Pompeii
Die antike Stadt Pompeji ist immer wieder ein Ort spektakulärer Funde. Jetzt wurde ein Bankettsaal freigelegt mit einem nahezu lebensgroßen Freskenzyklus, der Szenen aus den geheimnisvollen und damals verbotenen Riten des Dionysos-Kults zeigt.
Diese kunstvollen Wandmalereien, die aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. stammen, gewähren faszinierende Einblicke in die verborgene Welt der Mysterienkulte. Die Entdeckung lässt Archäologinnen und Archäologen vermuten, dass hier einst bedeutende rituelle Feste stattfanden.
Der Dionysos-Kult und seine verborgenen Rituale
Die Dionysos-Verehrung war in der Antike weit verbreitet, doch ihre Rituale waren oft von Mysterien umhüllt. In den dionysischen Mysterien erhielten Eingeweihte Zugang zu heiligen Geheimnissen, die ihnen nicht nur spirituelle Erleuchtung, sondern auch ein glückliches Leben nach dem Tod versprachen.
Solche Kulte standen jedoch oft in der Kritik, da sie als exzessiv und gesellschaftlich gefährlich galten. Bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. erließ der römische Senat Gesetze zur Einschränkung dieser Praktiken, da Berichte über Orgien, Verbrechen und geheime Verschwörungen kursierten.

Blick von oben auf den freigelegten Saal mit den Dionysos-Fresken.
Foto: Silvia Vacca / Archaelogical Park of Pompeii
Fresken zeigen zentrale Szenen des Kultes
Die neu entdeckten Fresken illustrieren zentrale Szenen dieses Kultes. Sie zeigen einen rituellen Umzug zu Ehren des Weingottes Dionysos. Frauen, die als Bacchantinnen oder Mänaden bekannt sind, werden in unterschiedlichen Rollen dargestellt:
Einige tanzen mit erhobenen Armen in ekstatischen Bewegungen, während andere als Jägerinnen zu sehen sind, die erlegte Tiere auf ihren Schultern tragen oder sich mit zeremoniellen Waffen präsentieren. Junge Satyrn, halb Mensch, halb Ziege, begleiten die Prozession. Einer von ihnen spielt die Doppelflöte, ein anderer führt ein rituelles Weinopfer aus, indem er akrobatisch aus einem Trinkhorn hinter sich in eine Patera, eine flache Opferschale, gießt.
Im Zentrum des Freskos steht eine sterbliche Frau neben einem alten Silen, einem mythologischen Begleiter des Dionysos, der eine Fackel hält. Diese Szene deutet darauf hin, dass es sich um eine Eingeweihte handelt, die durch ein geheimes Ritual in den Kult aufgenommen wird. Die Dionysos-Verehrung basierte auf der Vorstellung, dass der Gott stirbt und wiedergeboren wird, wodurch er seinen Anhängern eine ähnliche Wiedergeburt und ein besseres Jenseits versprach.
Die besondere Technik der „Megalographie“
Die Wandmalereien gehören zur Kunstform der „Megalographie“. Diese spezielle Darstellungsweise, die großformatische Figuren umfasst, ist in der antiken Welt äußerst selten. Bislang war die Villa der Mysterien vor den Toren Pompejis das bekannteste Beispiel für eine derartige Megalographie. Die neu entdeckten Fresken fügen diesem Kunststil eine weitere Facette hinzu und erweitern das Verständnis über die rituelle Bildsprache der Antike.
Eine interessante Besonderheit dieser Darstellungen ist die Inszenierung der Figuren: Sie stehen auf gemalten Sockeln, als wären sie marmorne Statuen, und doch wirken sie durch ihre dynamische Körperhaltung, die leuchtenden Farben und die detailreiche Kleidung fast lebendig. Die Künstlerinnen und Künstler haben hier geschickt mit der Illusion von Dreidimensionalität gearbeitet, um die Szenen noch eindrucksvoller erscheinen zu lassen.

Die Jagd ist ein wichtiges Thema bei den gefundenen Fresken.
Foto: Silvia Vacca / Archaelogical Park of Pompeii
Die Rolle der Jagd in den dionysischen Ritualen
Ein besonderes Detail des neu entdeckten Freskenzyklus ist die Darstellung der Jagd. Neben den tanzenden Bacchantinnen und feiernden Satyrn gibt es einen zweiten, kleineren Fries, der verschiedene Tiere zeigt – sowohl lebendige als auch bereits erlegte. Zu erkennen sind ein junges Rehkitz, ein ausgeweidetes Wildschwein, Hähne, diverse Vögel sowie Fische und Meeresfrüchte. Diese Bildsprache deutet darauf hin, dass die Jagd als Teil der Dionysos-Verehrung interpretiert wurde.
Laut dem Archäologen und Generaldirektor des Archäologischen Parks Pompeji Gabriel Zuchtriegel könnte diese Darstellung eine Verbindung zu den „Bakchen“ des griechischen Dichters Euripides haben. In diesem Drama, das 405 v. Chr. geschrieben wurde, wird geschildert, wie Bacchantinnen in ekstatischer Raserei wilde Tiere reißen und rohes Fleisch verzehren. Diese Szene galt in der Antike als Metapher für den ungezähmten, ekstatischen Aspekt des Dionysos-Kults. Der jetzt entdeckte Freskenzyklus scheint genau dieses Motiv aufzugreifen und könnte somit als eine bildliche Interpretation des Theaterstücks angesehen werden.
Historische Bedeutung und weitere Entdeckungen
Die jetzt freigelegte Megalographie befindet sich in einem Gebäude, das als „Casa del Tiaso“ bezeichnet wird, benannt nach der dionysischen Prozession (Thiasos). Die Malereien stammen aus der Zeit zwischen 40 und 30 v. Chr. und waren beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. bereits rund ein Jahrhundert alt. Kulturminister Alessandro Giuli beschreibt die Entdeckung als historischen Meilenstein: „Der in der Insula 10 der Region IX gefundene Megalograph gibt uns einen weiteren Einblick in die Rituale der Mysterien des Dionysos. Dies ist ein bedeutendes historisches Dokument, das zusammen mit der Villa der Mysterien ein einzigartiges Zeugnis der antiken Mittelmeerwelt bildet.“
Die laufenden Ausgrabungen in der Region IX von Pompeji haben bereits über 50 neue Räume auf einer Fläche von 1.500 m² ans Licht gebracht. Zu den weiteren bedeutenden Funden zählen:
- Ein Empfangsraum mit schwarzen Wänden und Szenen aus dem Trojanischen Krieg
- Ein Sacrarium (Schrein) mit Darstellungen der vier Jahreszeiten und landwirtschaftlicher Allegorien
- Ein luxuriöses Badehaus mit aufwendigen Verzierungen
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