Polynome neu gedacht: Lösung für das älteste Problem der Algebra
Generationen von Mathematikern haben sich an einer allgemeinen Methode zur Lösung polynomischer Gleichungen die Zähne ausgebissen – bis jetzt.

Mathematiker löst ein jahrtausendealtes Algebra-Problem mit neuer Zahlenfolge – ohne Wurzeln, nur mit Logik und Potenzreihen.
Foto: PantherMedia / kapustin_igor
Ein Mathematiker aus Sydney stellt mit der neuen Zahlenfolge „Geode“ eine Methode vor, mit der sich bisher unlösbare Polynomgleichungen berechnen lassen – ganz ohne Wurzeln oder irrationale Zahlen.
Eine Herausforderung aus der Antike
Seit fast 4.000 Jahren versuchen Mathematikerinnen und Mathematiker, ein zentrales Problem der Algebra zu lösen: Wie lassen sich Gleichungen mit höheren Potenzen, sogenannte Polynome, exakt berechnen? Während die Lösungen für quadratische, kubische und sogar quartische Gleichungen schon lange bekannt sind, galt eine allgemeine Methode für Gleichungen fünften oder höheren Grades bislang als unmöglich.
Diese Annahme geht auf Évariste Galois zurück, der bereits 1832 nachwies, dass sich solche Gleichungen nicht durch eine allgemeine Formel mit Wurzeln lösen lassen. Dennoch blieb das Interesse an dem Thema bestehen – sowohl aus theoretischen als auch aus praktischen Gründen.
Ein neuer Weg ohne Wurzeln
Der Mathematiker Prof. Norman Wildberger von der University of New South Wales (UNSW) glaubt, eine neue Lösung gefunden zu haben. Gemeinsam mit dem Informatiker Dr. Dean Rubine hat er einen Ansatz entwickelt, der auf sogenannten Potenzreihen basiert. Diese Methode verzichtet vollständig auf Wurzeln und damit auf sogenannte irrationale Zahlen.
„Man bräuchte eine Festplatte größer als das Universum, um eine irrationale Zahl vollständig zu speichern“, sagt Wildberger. Seiner Ansicht nach führen solche Zahlen zu logischen Problemen, da sie auf einem ungenauen Verständnis von Unendlichkeit beruhen.
Stattdessen setzt seine Methode auf eine Erweiterung kombinatorischer Zahlenfolgen. Die bekanntesten darunter sind die katalanischen Zahlen. Sie zählen etwa die Möglichkeiten, ein Vieleck mit Diagonalen in Dreiecke zu zerlegen. Solche Zahlen finden sich nicht nur in der Geometrie, sondern auch in der Informatik, Spieltheorie und sogar in der Biologie.
Was sind Polynome?
Polynome sind mathematische Ausdrücke, die aus Variablen (meist x), Zahlen (Koeffizienten) und Potenzen bestehen. Sie haben die allgemeine Form:
a₀ + a₁x + a₂x² + a₃x³ + … + anxⁿ
Dabei ist n ein nicht-negativer ganzzahliger Exponent und a₀, a₁, …, an sind reelle oder komplexe Zahlen.
Beispiele für Polynome:
- Quadratisches Polynom: 2x² + 3x – 5
- Kubisches Polynom: x³ – 6x² + 11x – 6
Polynome spielen eine zentrale Rolle in vielen Bereichen der Mathematik und Technik – von der Bewegungsanalyse bis zur Signalverarbeitung.
Die Entdeckung der „Geode“
Wildberger und Rubine haben nun eine neue Zahlenfolge entdeckt, die sie „Geode“ nennen. Diese Zahlen verallgemeinern die katalanischen Zahlen auf höhere Dimensionen. Sie beschreiben, wie komplexe geometrische Strukturen in kleinere Einheiten unterteilt werden können.
„Unsere Innovation besteht in der Idee, dass wir, wenn wir höhere Gleichungen lösen wollen, nach höheren Analoga der katalanischen Zahlen suchen sollten“, so Wildberger. Mit Hilfe dieser neuen Struktur konnten sie sogar klassische Gleichungen wie die kubische Wallis-Gleichung aus dem 17. Jahrhundert erfolgreich berechnen.
Das Verfahren funktioniert über eine schrittweise Annäherung mit Potenzreihen. Dadurch entstehen Näherungslösungen, die sich gezielt verbessern lassen – ganz ohne Wurzeln.
Anwendungen in der Informatik
Auch für die praktische Mathematik ergeben sich neue Perspektiven. Da viele Computerprogramme Gleichungen lösen müssen, könnte die Methode künftig effizientere Algorithmen ermöglichen. Besonders bei Problemen, bei denen herkömmliche Lösungsverfahren zu ungenau oder rechenintensiv sind, verspricht Wildbergers Ansatz Vorteile.
„Dies ist eine Kernberechnung für einen Großteil der angewandten Mathematik“, erklärt er. Anwendungen könnten in der Softwareentwicklung, der Kryptografie oder in der mathematischen Modellierung liegen.
Ein neues Kapitel der Mathematik
Noch ist unklar, wie weit sich die Geode-Zahlen entwickeln lassen. Doch Wildberger ist überzeugt: „Wir gehen davon aus, dass die Untersuchung dieser neuen Geode-Reihe viele neue Fragen aufwerfen und Kombinatoriker über Jahre hinweg beschäftigen wird.“
Was als radikale Ablehnung irrationaler Zahlen begann, könnte der Mathematik neue Werkzeuge an die Hand geben. Für die Algebra eröffnet sich damit ein neuer Blickwinkel – nach vielen Jahrhunderten scheinbarer Sackgassen.
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