Polarlichter über Deutschland: Physik in den schönsten Farben
Sonnensturm bringt Polarlichter über Deutschland: Wie sie entstehen, warum sie Technik stören und was der Sonnenzyklus damit zu tun hat.
Polarlichter sind am frühen Mittwochmorgen auch in Bayern zu sehen. Ursache sind Sonnenstürme, die auf das Magnetfeld der Erde treffen.
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In der Nacht vom 11. auf den 12. November verwandelte sich der Himmel über Deutschland in eine Leinwand aus fließenden Farben. Über Bayern, dem Schwarzwald und selbst im Ruhrgebiet zogen grüne und rötliche Schleier über die Sterne. Wer zwischen vier und fünf Uhr morgens nach oben blickte, konnte Zeuge eines seltenen Schauspiels werden.
„Auch über Baden-Württemberg waren rötliche, pinke und teils grüne Lichteffekte zu sehen“, erzählt Carolin Liefke vom Haus der Astronomie in Heidelberg. Für viele war es das erste Mal, dass sie Polarlichter mit bloßem Auge in Deutschland sehen konnten – ein Ereignis, das sich normalerweise auf hohe Breiten beschränkt.
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Sonnensturm trifft Erde
Der Auslöser war kein Zauber, sondern pure Physik. Auf der Sonne kam es zwischen dem 9. und 11. November zu mehreren intensiven Ausbrüchen, sogenannten Sonnenflares. Einer davon, ein besonders starker der Klasse X5.1, schleuderte eine riesige Wolke geladener Teilchen ins All – einen sogenannten koronalen Massenauswurf (CME).
Diese elektrisch geladenen Teilchen, meist Elektronen und Protonen, rasen mit Millionen Kilometern pro Stunde durchs Sonnensystem. Trifft so eine Wolke auf die Erde, gerät unser Magnetfeld in Bewegung. Normalerweise schützt dieser unsichtbare Schild unseren Planeten, indem er den Teilchenfluss in Richtung der Pole ablenkt. Dort geraten sie in Kontakt mit der oberen Atmosphäre – und lassen den Himmel leuchten.
In jener Novembernacht war der Sturm außergewöhnlich stark. Das NOAA Space Weather Prediction Center registrierte zeitweise die Warnstufe G4, was einem „schweren geomagnetischen Sturm“ entspricht. Fachleute hielten es sogar für möglich, dass die Aktivität kurzzeitig auf G5, die höchste Stufe, kletterte.
Wenn Teilchen tanzen
Was dann folgt, ist ein Naturballett aus Physik und Atmosphäre. Wenn die geladenen Teilchen in Höhen von 80 bis 300 Kilometern auf Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle treffen, geben sie Energie ab. Die Moleküle speichern sie kurz – und schicken sie dann als Licht zurück.
Die Farben verraten, welches Gas beteiligt ist:
- Sauerstoff in etwa 100 Kilometern Höhe erzeugt grünes Licht,
- Sauerstoff in größeren Höhen leuchtet rot,
- Stickstoff sorgt für violette und blaue Töne.
Aus diesen Bausteinen entstehen Bögen, Wellen und fließende Schleier, die sich ständig verändern. Polarlichter sind also keine statischen Erscheinungen – sie fließen, wabern, tanzen.
Clive Dyer vom Surrey Space Centre erklärt: „GLEs dieser Größenordnung sind selten, es gibt sie nur ein- oder zweimal pro Sonnenzyklus.“ Mit GLE ist ein sogenanntes Ground Level Event gemeint – ein Ereignis, bei dem einige Teilchen so energiereich sind, dass sie bis zur Erdoberfläche vordringen.
Die Sonne im Takt
Unsere Sonne folgt einem elfjährigen Rhythmus. In aktiven Phasen häufen sich Sonnenflecken, Eruptionen und Massenauswürfe. Wir befinden uns derzeit mitten in einer solchen Phase. Für Himmelsbeobachter*innen ist das eine gute Nachricht: Die Wahrscheinlichkeit, Polarlichter in Deutschland zu sehen, steigt.
Selbst in den USA leuchtete der Himmel im Süden – in Florida, Texas und Arizona. So weit südlich zeigen sich Polarlichter nur, wenn der Sonnensturm außergewöhnlich stark ist.
Wenn Technik unter Spannung steht
So faszinierend das Schauspiel ist, es hat auch eine technische Seite. Denn während der Himmel bunt schimmert, geraten Satelliten und Navigationssysteme ins Schwitzen.
Das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation beobachtet solche Ereignisse genau. Der Grund: Die Signale von Satelliten müssen beim Weg zur Erde die Ionosphäre durchqueren – eine Schicht voller geladener Teilchen. Wenn sich dort durch Sonnenstürme plötzlich der Elektronengehalt verändert, wird das Signal leicht abgelenkt.
Dieser Elektronengehalt wird in der Fachsprache als Total Electron Content (TEC) bezeichnet. Je nach Aktivität kann er sich innerhalb von Minuten ändern. Die Folge: Positionsfehler in der GPS-Ortung. Selbst winzige Zeitabweichungen können dazu führen, dass das Navigationsgerät den eigenen Standort um einige Meter falsch berechnet.

Polarlichter entstehen durch Sonnenwindteilchen, die mit der Erdatmosphäre interagieren.
Foto: PantherMedia / Thomas Köhler
Gefahr für präzise Satellitennavigation
Für viele Anwendungen ist das kein Problem. Doch in der präzisen Satellitennavigation – etwa bei Landmaschinen, autonomen Fahrzeugen oder Flugzeugen – können solche Abweichungen gefährlich werden.
Besonders kritisch sind sogenannte ionosphärische Störungen, bei denen der Elektronengehalt nicht gleichmäßig verteilt ist. Sie erzeugen ein Rauschen im Satellitensignal – Fachleute sprechen von „Szintillation“. Im schlimmsten Fall bricht das Signal komplett ab.
Auch Funkverbindungen, Stromnetze und selbst Pipelines können in Mitleidenschaft gezogen werden. In Kanada führte 1989 ein massiver Magnetsturm zu einem neunstündigen Stromausfall, weil Transformatoren überlastet wurden.
Magnetsturm oder Sonnensturm?
Oft werden beide Begriffe durcheinandergeworfen, meinen aber Unterschiedliches.
Ein Sonnensturm beschreibt das Geschehen auf der Sonne – die Explosion und den Teilchenauswurf.
Ein Magnetsturm dagegen ist die Reaktion der Erde: Wenn der Sonnenwind unser Magnetfeld trifft, beginnt es zu schwingen. Diese Bewegung lenkt die Teilchen zu den Polen und löst die Polarlichter aus.
Die Stärke solcher Magnetstürme lässt sich messen. Werte über 100 auf der NOAA-Skala gelten als stark – im Jahr 2024 wurde mit 280 ein außergewöhnlicher Wert erreicht. Solche Zahlen erzählen, wie lebendig unser Stern ist.
Polarlichter selbst beobachten
Wer wissen möchte, wann sich der Blick nach Norden lohnt, kann auf die Polarlicht-Vorhersagen der NOAA oder spezialisierte Apps zurückgreifen. Dort wird die aktuelle Sonnenaktivität in Echtzeit angezeigt.
Doch ohne klaren Himmel nützt die beste Prognose nichts. Schon dünne Wolken können die Sicht trüben. Neben der Sonnenaktivität sollte man also auch das Wetterradar im Blick behalten. Carolin Liefke rät: „Die nächsten zwei Nächte kann man durchaus noch mal auf Alarmstellung bleiben.“ Denn manchmal kommt es zu Nachwirkungen – wenn weitere Teilchenwolken das Magnetfeld erreichen, flammen Polarlichter erneut auf.
Tipp für Hobbyastronominnen und -astronomen: Moderne Smartphone-Kameras sind empfindlicher als das menschliche Auge. Was in der Realität zart grün wirkt, erscheint auf dem Foto oft kräftig leuchtend – ein Effekt der längeren Belichtungszeit.
Mythen, Magie und Wissenschaft
Lange bevor Radioteleskope und Satelliten die Sonne beobachteten, suchten Menschen nach Erklärungen für das flirrende Licht. Die Wikinger sahen darin Zeichen Odins – Licht, das gefallene Krieger nach Walhalla führt. Die Sami, das indigene Volk Skandinaviens, glaubten, es seien die Stimmen der Ahnen. Und bei den Inuit tanzen die Seelen der Verstorbenen über den Himmel.
Heute wissen Forschende genau, was passiert, wenn Sonnenstürme das Magnetfeld in Bewegung setzen. Trotzdem bleibt etwas Magisches zurück. Denn auch wenn Physik und Messinstrumente die Ursache erklären – das Gefühl, unter einem leuchtenden Himmel zu stehen, bleibt unvergesslich.
(mit dpa)
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