Was im Glas wirklich passiert 26.08.2025, 17:00 Uhr

Physiker lösen das Geheimnis des perfekten Bierschaums

Von der Brauerei bis zum Tresen: So entsteht die perfekte Krone im Glas – mit Physik, Chemie und einer Prise Zapfkultur. Prost!

Zwei Gläser mit Bier

Die Wissenschaft vom Zapfhahn: Physik und Chemie erklären, warum die Schaumkrone bleibt – und wann sie wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Foto: Smarterpix / IgorKlimov

Millionen von Biertrinkern, Gastronomen und Brauern stellen sich täglich dieselbe Frage: „Wie bekomme ich den perfekten Schaum ins Glas?“ Klar, Technik ist wichtig – aber ohne Physik und Chemie läuft nichts. Genau hier setzen gleich zwei Forschungsteams an. Frisch gezapft aus Zürich und Eindhoven kommt die neueste Studie, schon etwas länger auf dem Markt ist die Arbeit der FAU Erlangen-Nürnberg. Beide zeigen: Die Krone ist mehr als Deko – sie ist Wissenschaft im Glas.

Die Krone als Qualitätsanzeige

Bierschaum besteht aus winzigen Luftblasen, die durch hauchdünne Flüssigkeitshäutchen getrennt werden. Halten die Filme, bleibt die Krone stabil. Reißen sie, ploppt’s – und der Schaum sackt zusammen. Forschende der ETH Zürich und der TU Eindhoven haben in „Physics of Fluids“ direkt auf diese dünnen Filme geschaut – mit Bildgebung und Rheometrie, also Messungen der Fließeigenschaften. Ihr Ziel: im Schaum das zu sehen, was Brauer seit Jahren fühlen.

„Die Idee war, direkt zu untersuchen, was in dem dünnen Film passiert, der zwei benachbarte Blasen voneinander trennt“, sagte Autor Emmanouil Chatzigiannakis. „Und das Erste, was einem einfällt, wenn man an Blasen und Schaum denkt, ist Bier.“ Das Team konnte Proteinaggregate und Grenzflächen sichtbar machen. So ließ sich klären, welche Kräfte die Filme stützen und warum manche Biere länger „stehen“.

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Einfach oder doppelt vergoren – die Schaumfrage

Die Ergebnisse machen klar: Zwischen einfach und doppelt fermentierten Bieren gibt es einen Unterschied wie zwischen Radler und Starkbier. Bei einfach Vergorenem sorgt die Zähigkeit der Grenzfläche dafür, dass der Film länger hält.

Bei doppelt vergorenen Bieren geht’s noch einen Schritt weiter: Hier bauen die Proteine ein regelrechtes 2D-Netzwerk auf, das wie ein Trampolin wirkt – elastisch, dehnbar, stabil. Ergebnis: Die Krone bleibt länger sitzen.

Oder wie Jan Vermant es formuliert: „Das ist eine Inspiration fürs Materialdesign.“ Übersetzt: Was beim Bier funktioniert, könnte auch in der Industrie taugen.

Chemie schafft das Fundament, die Physik baut den Schaum

Natürlich mischt auch die Chemie kräftig mit. Proteine und Glykoproteine bilden das Rückgrat, Hopfenbitterstoffe helfen nach, Beta-Glucane und Metallionen spielen mit. Besonders spannend: Bis zu 20 % der Schaumstabilität hängen vom Malz ab. Ein Stichwort ist die Kolbachzahl – wer sie kennt, kann schon beim Brauen an der Krone feilen.

Beim Öffnen oder Zapfen fällt der Druck, das CO₂ will raus. Winzige Kratzer im Glas oder Staubpartikel sind perfekte Startpunkte für Blasen. Von da an beginnt ein wilder Wettlauf: Blasen steigen auf, verschmelzen, platzen – oder halten stand.

Hier geht es zur Studie aus Zürich und Eindhoven

Zapfen mit System: Simulation trifft Praxis

Praktischer ging es die FAU Erlangen-Nürnberg an. Das Team um Wenjing Lyu zapfte Weißbier einfach mal von unten ins Glas und ließ parallel den Rechner schuften. Grundlage: die guten alten Navier-Stokes-Gleichungen, ergänzt um Wärme- und Stofftransport. Das Ziel: ein reproduzierbarer Ausschank. Denn wer die Parameter kennt, kann Aroma retten, Verschnitt sparen – und Gästen gleichbleibende Qualität servieren.

„Die Simulation von Bierschaum ist eine komplexe Aufgabe, die die Modellierung der physikalischen und chemischen Wechselwirkungen beinhaltet, die während des Prozesses auftreten, darunter Fluiddynamik, Wärme- und Materialübertragung und chemische Reaktionen“, sagt Lyu.

Temperatur, Druck – und die Sache mit der Blasengröße

Die Forschenden testeten verschiedene Temperaturen und Drücke. Überraschung: Eiskalt ist nicht immer besser. Bei 5 °C bricht der Schaum oft schneller ein, bei 10 °C und moderatem Druck (0,5–1 bar) hält er länger durch. Entscheidend ist die Blasengröße: Sind sie gleichmäßig, bleibt die Krone stabil. Bei ungleich großen Blasen setzt die Ostwald-Reifung ein – die Kleinen geben Gas an die Großen, der Schaum sackt ab.

Drei Tipps vom Zapf-Insider

  • Druck richtig einstellen: Zwischen 0,5 und 1 bar bei rund 10 °C gibt’s den besten Kompromiss.
  • Nicht zu kalt: 5 °C schwächen die Krone, wenn der Druck nicht passt.
  • Glas sauber halten: Leicht angeraute, saubere Oberflächen liefern konstante Keimpunkte für schöne Blasenstarts.

Hier geht es zur Studie der FAU Erlangen-Nürnberg

Forschung und Tresen – näher beieinander als gedacht

Die eine Studie zeigt, was die Filme zusammenhält. Die andere zeigt, wie Sie per Temperatur und Druck die Krone formen. Zusammengenommen entsteht ein Handbuch, das Brauereien, Gastronomie und Hobbybrauer nutzen können. Und es bleibt Raum für Genuss. Zapfkultur ist Erfahrung, nicht nur Gleichung. Die Physik liefert Stellschrauben. Den Rest entscheiden Stil, Rezept und der Moment.

Die Autorinnen und Autoren der aktuellen Arbeit hoffen, dass ihre Einsichten den Weg zurück in die Brauhäuser finden. Oder, wie es im Team heißt: Der Weg zur perfekten Krone beginnt im Gärbottich – und endet am Hahn. „Wir können direkt visualisieren, was passiert, wenn zwei Blasen in unmittelbare Nähe zueinander kommen“, sagte Chatzigiannakis. „Wir können die Proteinaggregate der Blasen, ihre Grenzfläche und ihre Struktur direkt sehen.“

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Und was bedeutet das für das nächste Glas? „Der Bierschaum, vor allem seine Stabilität, ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines Bieres“, heißt es in der FAU-Studie. Oder, mit Blick auf die Anlage: „Durch die genaue Simulation des Schäumungsprozesses kann unser Modell dazu beitragen, die Qualität des Endprodukts zu verbessern, die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern“, sagt Lyu.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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