Quantenverschränkung 27.07.2025, 11:25 Uhr

Quantenmechanik: Wie Physiker das Unumkehrbare umkehren

Ein internationales Forschungsteam hat ein quantenmechanisches Analog zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik vorgestellt.

Quantenverschränkung

Etwas mehr als 200 Jahre nachdem der französische Ingenieur und Physiker Sadi Carnot den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik formulierte, hat ein internationales Forscherteam ein analoges Gesetz für die Quantenwelt vorgestellt. Demnach lässt sich Quantenverschränkung rückgängig machen.

Foto: Smarterpix / MP_foto71

Ein Grundpfeiler der modernen Physik ist gefallen – zumindest ein Stück weit. Forschende haben ein Prinzip formuliert, das der Quantenmechanik ein neues Regelwerk verleiht.  Der Kern der Entdeckung: Quantenverschränkung lässt sich unter bestimmten Bedingungen nicht nur erzeugen, sondern auch wieder rückgängig machen.

Möglich macht das eine sogenannte Verschränkungsbatterie – ein Konzept, das auf den ersten Blick technisch klingt, aber grundlegende Fragen aufwirft: Sind die Regeln der Quantenmechanik tatsächlich so unumstößlich, wie lange angenommen?

Was ist Verschränkung – und warum sie uns alle betrifft

Verschränkung zählt zu den rätselhaftesten Phänomenen der Quantenmechanik. Zwei Teilchen – oft Elektronen oder Photonen – können so miteinander verbunden sein, dass die Eigenschaften des einen sofort Rückschlüsse auf das andere zulassen. Selbst wenn sie sich Lichtjahre voneinander entfernt befinden.

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Albert Einstein sprach einst spöttisch von „spukhafter Fernwirkung“. Was er als Beweis für die Unvollständigkeit der Quantenphysik ansah, ist heute ein akzeptiertes Werkzeug in Laboren weltweit. Verschränkung ermöglicht Quantenteleportation, ist Grundlage der Quantenkryptografie und spielt eine zentrale Rolle in Quantencomputern.

Doch warum sollte man sie „umkehren“ wollen?

Die Reversibilität – also die Umkehrbarkeit eines physikalischen Prozesses – ist ein vertrautes Konzept aus der Thermodynamik. Der zweite Hauptsatz besagt: In einem geschlossenen System nimmt die Unordnung (die sogenannte Entropie) zu. Doch es gibt Sonderfälle, in denen Prozesse vollständig reversibel verlaufen – ganz ohne Energieverlust.

Forschende stellten sich nun die Frage: Gibt es ein vergleichbares Prinzip für die Quantenwelt? Und falls ja – wie ließe sich Verschränkung rückgängig machen, ohne die Informationen zu zerstören?

„Die Suche nach einem zweiten Gesetz analog zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist ein offenes Problem in der Quanteninformationswissenschaft“, sagt Tulja Varun Kondra, Mitautor der Studie. Genau dieses Problem hat das Team nun adressiert.

Das Problem mit LOCC – und wie eine Batterie helfen soll

Viele bisherige Versuche, Verschränkung zu manipulieren, basierten auf einem vereinfachten Modell: Zwei Parteien (oft „Alice“ und „Bob“ genannt) dürfen nur lokal auf ihre Teilchensysteme zugreifen. Sie kommunizieren ausschließlich über klassische Kanäle wie Telefon oder Internet. Dieses Modell nennt sich „LOCC“ – kurz für „Local Operations and Classical Communication“.

Der Haken: Unter LOCC ist die Verschränkung irreversibel. Was einmal verändert wurde, lässt sich nicht vollständig wiederherstellen.

Doch Alexander Streltsov, Hauptautor der Studie, stellt klar: „Die Frage ist also, ob wir LOCC auf sinnvolle Weise überwinden und die Reversibilität wiederherstellen können.“

Die Antwort lautet: Ja – mit einer Verschränkungsbatterie.

Wie eine Batterie Quantenzustände speichert

Die Grundidee der Verschränkungsbatterie ist schnell erklärt: Ähnlich wie eine klassische Batterie Energie speichert, speichert dieses Quantensystem Verschränkung. Sie können sich die Batterie als ein zusätzliches Paar verschränkter Teilchen vorstellen, das weder verändert noch verbraucht werden darf. Es dient ausschließlich als Vermittler im Transformationsprozess.

Wenn Alice und Bob mithilfe von LOCC versuchen, einen verschränkten Zustand zu verändern oder umzuwandeln, stoßen sie schnell an physikalische Grenzen. Fügen sie jedoch die Verschränkungsbatterie hinzu, verändert sich die Lage grundlegend. Denn nun steht ihnen ein neues Werkzeug zur Verfügung, das Operationen ermöglicht, die vorher ausgeschlossen waren.

„Was auch immer Alice und Bob tun, sie dürfen den Grad der Verschränkung innerhalb der Batterie nicht verringern“, so die Regel. Doch solange diese Bedingung eingehalten wird, kann das Team Operationen durchführen, die bisher als irreversibel galten.

Reversibilität wird real – aber nur unter Auflagen

In ihrer Studie zeigen die Forschenden, dass sich gemischte Quantenzustände – also Zustände, die aus einer Überlagerung vieler Einzelzustände bestehen – mit der Batterie vollständig reversibel umwandeln lassen. Das bedeutet: Ein System, das einmal manipuliert wurde, kann wieder exakt in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden.

Dieser Nachweis war bislang nicht gelungen. Zwar gab es theoretische Modelle, doch sie blieben spekulativ oder funktionierten nur unter idealisierten Bedingungen.

Der entscheidende Unterschied: Die Verschränkungsbatterie nimmt aktiv am Prozess teil. Sie wird nicht zerstört, aber ihr Zustand verändert sich. So speichert sie quasi den „Aufwand“, der für die Umwandlung nötig war – und kann ihn beim Rückwärtsprozess wieder einbringen.

Über das einzelne Teilchen hinaus gedacht

Besonders spannend ist, dass sich das Konzept nicht auf einfache Systeme beschränkt. Es funktioniert auch für komplexe Quantenzustände mit mehr als zwei Teilchen. Das öffnet die Tür für die Analyse verschränkter Netzwerke, wie sie in Quantencomputern und Kommunikationssystemen zunehmend relevant werden.

Streltsov betont: „Obwohl viele dieser anderen Prinzipien der Reversibilität bereits durch andere Ansätze bestätigt wurden, bietet unsere Technik einen einheitlichen Beweisrahmen.“ Damit erhalten Forschende ein Werkzeug, um die Reversibilität verschiedenster quantenmechanischer Ressourcen nachzuweisen – nicht nur der Verschränkung.

Die Ressourcenbatterie als Erweiterung des Prinzips

Die Idee lässt sich sogar weiterdenken. Warum sollte man sich nur auf Verschränkung beschränken? Der Ansatz der „Ressourcenbatterie“ erlaubt es, jede Form von quantenmechanischer Ressource in den Prozess einzubeziehen – etwa freie Energie oder Kohärenz.

Solche Ressourcen spielen in der Quantenphysik eine vergleichbare Rolle wie Arbeit oder Ordnung in klassischen Systemen. Wenn es gelingt, auch diese Größen mithilfe einer Batterie zu speichern und wieder freizusetzen, wäre ein weiterer Schritt in Richtung kontrollierbarer Quantentechnologie geschafft.

Streltsov formuliert es so: „Wir können eine Batterie haben, die Kohärenz oder freie Energie bewahren soll. Und dann können wir in diesem Rahmen ein reversibles Modell formulieren, in dem wir anstelle der Verschränkung diese bestimmte Ressource unseres Systems reversibel manipulieren.“

Was bedeutet das für die Quantenphysik von morgen?

Die Bedeutung dieser Arbeit geht über eine einzelne Studie hinaus. Sie liefert einen konkreten, mathematisch fundierten Vorschlag, wie sich in quantenmechanischen Systemen der Begriff der Reversibilität neu definieren lässt – ohne auf unrealistische Annahmen zurückzugreifen.

Damit könnten sich grundlegende Prinzipien der Thermodynamik, wie sie Sadi Carnot vor mehr als 200 Jahren formuliert hat, auf die Quantenwelt übertragen lassen. Eine echte Annäherung von makroskopischer und mikroskopischer Welt wird greifbar.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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