Gab es etwas vor dem Urknall? Forscher testen neue Ansätze
Was geschah vor dem Urknall? Neue Simulationen geben Hinweise auf Inflation, Multiversum und zyklische Universen.
Komplexe Berechnungsmethoden könnten kosmische Rätsel lösen. Zum Beispiel auch die Frage beantworten, was vor dem Urknall passiert ist.
Foto: Gabriel Fitzpatrick for FQxI, © FQxI (2025)
Wenn wir in den Sternenhimmel schauen, sehen wir Vergangenheit. Das Licht entfernter Galaxien braucht Milliarden Jahre, um uns zu erreichen. Doch was, wenn wir noch weiter zurückgehen? So weit, dass wir beim Urknall landen – und dann noch einen Schritt darüber hinaus wagen? Genau diese Frage beschäftigt seit Jahrzehnten Kosmologinnen und Kosmologen auf der ganzen Welt.
Lange Zeit hieß es: Die Frage sei unsinnig. Denn der Urknall markiere den absoluten Beginn von Raum und Zeit. Aber Forschende geben sich damit nicht zufrieden. Mit neuen Methoden wollen sie untersuchen, ob es vor dem Urknall etwas gab – vielleicht ein anderes Universum, vielleicht eine Serie von kosmischen Zyklen, vielleicht sogar Spuren eines Multiversums.
Inhaltsverzeichnis
Einsteins Gleichungen am Limit
Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Schwerkraft und die Bewegung von Himmelskörpern. Doch wenn wir die Uhr weit genug zurückdrehen, stoßen wir auf eine Grenze: die sogenannte Singularität. Sie steht für einen Zustand unendlicher Dichte und Temperatur. Hier bricht die Physik, wie wir sie kennen, zusammen.
Kosmolog*innen geraten damit in eine Sackgasse. Denn ihre gewohnten Vereinfachungen – etwa, dass das Universum homogen und isotrop ist, also überall gleich aussieht – funktionieren in dieser Extremsituation nicht mehr. Dasselbe Problem stellt sich auch bei Schwarzen Löchern, wo die Gravitation unendlich stark wird.
Eugene Lim vom King’s College London beschreibt das so: „Man kann um den Laternenpfahl herum suchen, aber man kann nicht weit über den Laternenpfahl hinausgehen, wo es dunkel ist – man kann diese Gleichungen einfach nicht lösen.“
Der Ausweg: Numerische Relativitätstheorie
An dieser Stelle kommt eine Methode ins Spiel, die schon einmal für Durchbrüche gesorgt hat: die numerische Relativitätstheorie. Dabei werden Einsteins Gleichungen nicht exakt, sondern mithilfe von Supercomputern näherungsweise berechnet.
Diese Technik wurde in den 1960er-Jahren entwickelt, um die Kollision Schwarzer Löcher zu verstehen. Später wurde sie für das LIGO-Experiment unverzichtbar, das Gravitationswellen nachweisen konnte. 2005 gelang es erstmals, mit dieser Methode die extremen Vorgänge bei Schwarzen-Loch-Kollisionen realistisch zu simulieren.
Heute wollen Forschende dieselbe Technik nutzen, um das größte Rätsel der Kosmologie anzugehen: Was geschah vor dem Urknall?
Kosmische Inflation: Der rätselhafte Wachstumsschub
Ein besonders kniffliges Thema ist die Inflation – eine extrem kurze Phase, in der sich das Universum unmittelbar nach dem Urknall rasant ausdehnte. Ohne diese Phase ließen sich viele Beobachtungen nicht erklären.
Doch warum das Universum diese „Explosion im Zeitraffer“ durchlief, ist unklar. Um das zu untersuchen, müssten Forschende Einsteins Gleichungen unter Bedingungen anwenden, die weit von den üblichen Annahmen abweichen. Genau hier versagt das herkömmliche Vorgehen.
Lim erklärt: „Wenn man stattdessen davon ausgeht, dass es in einem anderen Zustand begann, hat man nicht die Symmetrie, um seine Gleichungen einfach aufzuschreiben.“ Numerische Simulationen könnten hier weiterhelfen. Sie erlauben es, unzählige mögliche Anfangszustände durchzuspielen – und so zu prüfen, welche davon realistisch sind.
Kosmische Strings und Nachbar-Universen
Neben der Inflation gibt es weitere spannende Szenarien, die sich mit den neuen Methoden erforschen lassen. Eines davon sind sogenannte kosmische Strings – lange, dünne Defekte in der Raumzeit, die wie Narben wirken könnten. Wenn es sie gibt, müssten sie Gravitationswellen aussenden, die vielleicht nachweisbar wären.
Auch das Multiversum steht auf der Liste der offenen Fragen. Manche Theorien nehmen an, dass unser Universum nur eines von vielen ist. Falls Universen kollidieren können, sollten Spuren davon am Himmel sichtbar sein – etwa in Form von „Blutergüssen“ in der kosmischen Hintergrundstrahlung.
Zyklische Universen – eine Wiedergeburt des Kosmos?
Eine weitere Idee lautet: Vor dem Urknall gab es schon ein Universum. Vielleicht stürzt das Universum in regelmäßigen Abständen wieder in sich zusammen, nur um erneut zu entstehen – ein ewiger Kreislauf von Urknall und Kollaps.
Auch dieses Szenario lässt sich nur schwer in Gleichungen fassen. Doch Lim sieht darin ein ideales Beispiel für die neue Methode: „Sprunghafte Universen sind ein hervorragendes Beispiel, weil sie eine starke Gravitation erreichen, bei der man sich nicht auf Symmetrien verlassen kann.“
Ohne Supercomputer geht es nicht
Alle diese Simulationen verschlingen enorme Rechenleistung. Nur mit den größten Supercomputern lassen sich die Gleichungen unter solchen Extrembedingungen bearbeiten. Je schneller diese Maschinen werden, desto mehr Modelle können Forschende testen.
Lim und sein Team wollen deshalb eine Brücke schlagen: Kosmologen sollen von den Methoden der numerischen Relativitätstheorie profitieren. Umgekehrt sollen Spezialisten aus der Relativitätstheorie kosmologische Fragestellungen stärker in den Blick nehmen.
„Wir hoffen, dass sich tatsächlich eine Schnittmenge zwischen Kosmologie und numerischer Relativitätstheorie entwickelt“, sagt Lim. „Und Kosmologen, die einige der Fragen lösen möchten, die sie bisher nicht beantworten können, können die numerische Relativitätstheorie nutzen.“
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