Ein unscheinbarer Batzen Materie lässt Astrophysiker jubeln
Ein winziger Klumpen im All verrät sich durch seine Schwerkraft – und liefert neue Hinweise auf die Dunkle Materie. Forschende sind begeistert.
Allein die Delle verrät die Materie. Ein winzigen Klumpen im All hat das Licht einer fernen Radiogalaxie gestört.
Foto: Smarterpix / style67
Manchmal braucht es nur einen winzigen Klumpen im All, um etwas Großes ins Rollen zu bringen. Ein unscheinbarer Batzen Materie hat das Licht einer fernen Radiogalaxie minimal gestört – kaum messbar, aber doch genug, um ein unsichtbares Objekt zu verraten.
Dieses Etwas sendet kein Licht aus. Es verrät sich nur durch seine Schwerkraft. Und genau das macht es so spannend: Es könnte ein Puzzleteil im Rätsel der Dunklen Materie sein.
Nach den Berechnungen steckt in dem Objekt etwa eine Million Sonnenmassen, verteilt auf einen Bereich von rund 80 Parsecs – das sind etwa 260 Lichtjahre. Die Messung gilt als erstaunlich genau und statistisch eindeutig. Möglich wurde sie dank eines weltweiten Netzwerks aus Radioteleskopen, die gemeinsam ein Bild mit unfassbarer Schärfe erzeugen – bis hinunter zu wenigen Millibogensekunden.
Inhaltsverzeichnis
Wie Masse das Licht krümmt
Im Weltraum kann Masse Licht ablenken. Forschende sprechen dann von einer Gravitationslinse. Das Prinzip funktioniert wie bei einer Glaslinse – nur spielt hier die Schwerkraft die Hauptrolle.
Eine große Galaxie im Vordergrund wirkt wie eine Linse und verzerrt das Licht einer weit entfernten Quelle dahinter. Manchmal entstehen dabei elegante Lichtbögen oder doppelte Bilder. Und wenn sich in der Nähe dieser Galaxie noch kleinere Massen befinden, dann hinterlassen sie feine Spuren – winzige Knicke oder Lücken in diesen Bögen.
Genau so wurde auch das neue Objekt entdeckt: als kleine „Delle“ in einem ohnehin schon verzerrten Bild. Die Forschenden nutzten eine spezielle Bildanalyse-Technik („gravitational imaging“) und überprüften das Ergebnis anschließend mit einem zweiten, unabhängigen Modell.
Die perfekte Bühne: eine Linse, eine Quelle – und ein superscharfes Radiobild
Die Entdeckung gelang im Linsensystem JVAS B1938+666. Eine Galaxie in etwa sieben Milliarden Lichtjahren Entfernung lenkt dabei das Licht einer noch weiter entfernten Quelle ab.
Beobachtet wurde bei einer Frequenz von 1,7 Gigahertz mit der sogenannten Very Long Baseline Interferometry (VLBI). Das ist ein internationales Netzwerk aus Radioteleskopen, die gemeinsam wie ein einziges Riesenteleskop funktionieren – mit einer „Basislinie“, die so groß ist wie die Erde selbst.
Beteiligt waren unter anderem das VLBA, die EVN und das Observatorium in Green Bank. Die resultierende Auflösung: rund 5 Millibogensekunden – so, als würde man eine Euromünze auf dem Mond erkennen wollen. Nur so lassen sich winzige Störungen in den Lichtbögen ausmachen.
• Parsec (pc): Längeneinheit in der Astronomie. 1 pc entspricht etwa 3,26 Lichtjahren.
• σ (Sigma): Maß für die statistische Sicherheit einer Messung. Je höher, desto unwahrscheinlicher ist Zufall.
• Subhalo: Kleiner Klumpen Dunkler Materie, der um eine Galaxie kreist.
„Eine beeindruckende Leistung …“
Die Fachzeitschrift Nature Astronomy zitiert gleich zwei Forschende: „Es ist eine beeindruckende Leistung, ein Objekt mit so geringer Masse in einer so großen Entfernung zu entdecken“, sagt Chris Fassnacht, Professor an der University of California, Davis. „Solche Funde helfen uns, die Natur der Dunklen Materie besser zu verstehen.“
„Angesichts der Empfindlichkeit unserer Daten hatten wir erwartet, mindestens ein dunkles Objekt zu finden“, ergänzt Devon Powell vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Unsere Entdeckung passt zur sogenannten Cold Dark Matter Theory, die erklärt, wie Galaxien entstehen. Jetzt wollen wir wissen, ob es mehr solcher Objekte gibt – und ob ihre Zahl zu den Theorien passt.“
Wie schwer – und wie sicher ist die Messung?
Das Team berechnete die sogenannte m80-Masse – also die Gesamtmasse innerhalb eines Radius von 80 Parsec. Das Ergebnis: (1,13 ± 0,04) × 10⁶ Sonnenmassen. Die Entdeckung gilt als hochsignifikant: 26σ, bei einer Unsicherheit von gerade einmal 3,3 Prozent.
Sogar die Position ließ sich auf Bruchteile eines Parsecs bestimmen – das ist außergewöhnlich genau für ein Objekt, das Milliarden Lichtjahre entfernt ist.
Was könnte das sein?
Das Objekt leuchtet nicht. Also bleibt nur die Schwerkraft als Hinweis. Und die deutet auf zwei Möglichkeiten hin:
- Entweder handelt es sich um einen kompakten Klumpen Dunkler Materie,
- oder um eine extrem kleine, lichtschwache Zwerggalaxie.
Andere Optionen – etwa ein Sternhaufen oder ein Schwarzes Loch mittlerer Masse – konnten die Forschenden weitgehend ausschließen.
Um sicherzugehen, bräuchte man extrem tiefe Aufnahmen im sichtbaren oder infraroten Licht. Doch das ist schwierig: Die helle, gelinste Hintergrundquelle überstrahlt fast alles in ihrer Umgebung.
Was die Entdeckung für Dunkle-Materie-Theorien bedeutet
Für Physikerinnen und Physiker ist so ein Fund wie ein Steinchen, das hilft, das große Puzzle der Dunklen Materie zu vervollständigen. Entscheidend ist, wie viele solcher „Subhalos“ man im Universum findet – also kleiner Klumpen im Halo einer Galaxie.
Im aktuellen System liegt die Wahrscheinlichkeit, mindestens ein Subhalo mit einer Masse zwischen 10⁶ und 10⁷ Sonnenmassen zu entdecken, bei rund 65 %, wenn man der Cold Dark Matter (CDM)-Theorie folgt.
Bei „wärmeren“ Varianten der Dunklen Materie sinkt die Chance deutlich – auf 36 % oder sogar nur 14 %, je nach angenommenem Teilchen. Der Fund passt also noch zu mehreren Modellen.
Interessant ist die innere Dichte: Sie liegt etwas über dem, was Simulationen für CDM-Subhalos vorhersagen. Ein Hinweis darauf, dass Dunkle Materie vielleicht doch etwas anders funktioniert, als bisher gedacht.
Warum das wichtig ist
Dunkle Materie spielt eine zentrale Rolle im Aufbau des Universums. Ohne sie gäbe es keine Galaxien, keine Galaxienhaufen – vielleicht nicht einmal Sterne, wie wir sie kennen.
Doch im Detail passt das Standardmodell nicht immer: Manche Galaxien sind zu klein, zu glatt oder zu kompakt, um sich leicht erklären zu lassen. Und sichtbare Zwerggalaxien, die Hinweise liefern könnten, sind rar.
Hier kommen Gravitationslinsen ins Spiel. Sie zeigen Masse – auch dort, wo kein Licht ist. Mit modernen VLBI-Beobachtungen können Forschende inzwischen Strukturen im Bereich von wenigen Millionen Sonnenmassen untersuchen. Damit blicken sie tiefer ins Dunkle als je zuvor – und öffnen ein neues Fenster in die feine Struktur der Dunklen Materie.
Wie es weitergeht
Das Team arbeitet bereits an weiteren Datensätzen. Ziel: mehr solcher Objekte finden, ihre Zahl statistisch erfassen und ihre Struktur besser verstehen.
Je größer die Stichprobe, desto klarer wird, welche Theorie der Dunklen Materie am besten passt – kalt, warm oder vielleicht sogar selbstwechselwirkend.
Die Methode funktioniert. Jetzt braucht es nur noch eines: viel Beobachtungszeit – und Geduld.
Ein Beitrag von: