Das Myon schweigt: Standardmodell weiterhin unangetastet
Myon-Messung bestätigt Standardmodell: Neue Daten und Theorie stimmen exakt überein. Ein Triumph für die Teilchenphysik.

Die über Jahre vermutete Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment beim magnetischen Moment des Myons ist vom Tisch. Neue Rechnungen mit Gitter-QCD und extrem genaue Messwerte aus dem Fermilab zeigen eine Übereinstimmung.
Foto: Ryan Postel, Fermilab
In der Welt der Teilchenphysik spielt das Myon eine besondere Rolle. Dieses kurzlebige Elementarteilchen, das dem Elektron ähnelt, jedoch rund 200-mal schwerer ist, stand lange Zeit im Zentrum einer wissenschaftlichen Kontroverse: Stimmt seine Reaktion auf Magnetfelder mit den Vorhersagen des Standardmodells überein? Eine neue, deutlich präzisere Messung gibt darauf nun eine klare Antwort.
Inhaltsverzeichnis
Das magnetische Moment als Prüfstein
Myonen besitzen wie Elektronen ein magnetisches Moment. Es beschreibt, wie stark das Teilchen auf ein Magnetfeld reagiert. Dieses Verhalten ist empfindlich gegenüber selbst feinsten Einflüssen aller bekannten fundamentalen Kräfte: elektromagnetisch, schwach und stark. Genau deshalb eignet sich das Myon besonders gut als Testobjekt für das Standardmodell der Physik.
Doch genau hier lag das Problem: Über viele Jahre hinweg stimmten die theoretisch berechneten Werte für das magnetische Moment des Myons nicht mit den experimentellen Messungen überein. Die Abweichung betrug mehr als vier Standardabweichungen. Das weckte Erwartungen auf neue Physik jenseits des Standardmodells.
Myonen sind instabile Elementarteilchen mit negativem elektrischen Ladung, ähnlich wie Elektronen, jedoch etwa 200-mal schwerer. Sie entstehen z. B. durch kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre und leben nur rund 2,2 Millionstel Sekunden. Wegen ihrer Masse reagieren sie empfindlich auf fundamentale Wechselwirkungen – deshalb eignen sie sich besonders gut für Tests des Standardmodells der Teilchenphysik.
Neue Theorie trifft auf neue Daten
Die scheinbare Diskrepanz motivierte internationale Forschungsgruppen dazu, sowohl Theorie als auch Experiment zu verfeinern. In der Theorie gelang dies durch den verstärkten Einsatz sogenannter Gitter-QCD-Rechnungen. Dabei werden die Wechselwirkungen von Quarks und Gluonen auf einem Raum-Zeit-Gitter simuliert, ohne dass experimentelle Daten in die Rechnung einfließen müssen. Diese Methode liefert heute Vorhersagen mit zehn Nachkommastellen Genauigkeit.
Ein Team unter Beteiligung von Prof. Anton Rebhan (TU Wien) war federführend an der neuen theoretischen Berechnung beteiligt. Auch deutsche Forschende wirkten daran mit. Unter anderem steuerten Mitglieder des Exzellenzclusters PRISMA+ der Universität Mainz wichtige theoretische Komponenten bei.
Gitter-QCD (Gitter-Quantenchromodynamik) ist eine Methode zur numerischen Lösung der Quantenchromodynamik, also der Theorie der starken Wechselwirkung. Dabei wird der Raum-Zeit-Kontinuum auf ein diskretes Gitter gelegt, um komplexe Prozesse zwischen Quarks und Gluonen mit Supercomputern simulieren zu können. Gitter-QCD kommt ohne experimentelle Eingaben aus und ermöglicht theoretisch fundierte Vorhersagen mit hoher Präzision.
Die neue Messung des Fermilab
Parallel dazu sammelte die Myon g-2 Kollaboration am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) in den USA über sechs Jahre hinweg Daten zur Wechselwirkung von Myonen mit Magnetfeldern. Insgesamt wurden 308 Milliarden Myonen vermessen. Der zentrale Messwert, das sogenannte anomale magnetische Moment, konnte mit einer Unsicherheit von lediglich 127 Teilen in einer Milliarde bestimmt werden.
Dr. Martin Fertl von der JGU Mainz war mit seinem Team für die exakte Vermessung des Magnetfelds zuständig. Seine Arbeitsgruppe entwickelte dafür hochsensitive Magnetometer, die entlang des Speicherrings installiert wurden. Auch in Zeiten eingeschränkter Mobilität, etwa während der Corona-Pandemie, sorgten die Mainzer Forschenden dafür, dass das Experiment durchgehend betrieben werden konnte.
G-2: Die Bedeutung der kleinen Differenz
Das Experiment untersucht den g-Faktor des Myons. Im einfachsten Fall sollte dieser exakt den Wert 2 besitzen. Doch Quanteneffekte verschieben den Wert geringfügig. Die Differenz (g-2) wird daher als Prüfgröße genutzt. Das magnetische Moment ist also ein Fenster in die Welt der virtuellen Teilchen, die für Sekundenbruchteile im Quantenvakuum entstehen und wieder vergehen.
Die neu ermittelte theoretische Vorhersage lautet:
a(µ) = 0{,}001 165 920 33 ± 0{,}000 000 000 62
Das experimentelle Ergebnis:
a(µ) = 0{,}001 165 920 705 ± 0{,}000 000 000 148
Diese beiden Werte stimmen innerhalb der Messunsicherheiten gut überein. Das bedeutet: Das Standardmodell wird durch die neue Datenlage nicht widerlegt, sondern bestätigt.
Weiter offene Fragen
Dennoch bleiben Unsicherheiten bestehen. Die theoretische Vorhersage ist im Vergleich zum Experiment noch weniger präzise. Eine künftige Herausforderung liegt darin, auch hier die Unsicherheiten weiter zu reduzieren. Zudem bleibt das Rätsel bestehen, warum die frühere, datengetriebene Methode andere Vorhersagen lieferte als die heutigen Gitterrechnungen.
Prof. Hartmut Wittig von der JGU Mainz fasst es so zusammen: „Wenn diese Diskrepanz geklärt ist und wir eine präzise Theorie mit ähnlicher Genauigkeit wie das Experiment haben, dann stellt sich die Frage nach der Gültigkeit des Standardmodells neu. Es bleibt also spannend.“
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