1,97 Femtometer genau: So exakt war Kernphysik noch nie
Muonisches Helium-3 liefert neuen Referenzwert: Forschende messen den Kernradius mit bisher unerreichter Präzision von 1,97007 Femtometern.

PSI-Forschende um den Physiker Aldo Antognini haben den Ladungsradius von Helium-3 mithilfe von myonischem Helium erstmals mit bislang unerreichter Präzision vermessen.
Foto: Scanderbeg Sauer Photography
Ein internationales Forschungsteam am Paul Scherrer Institut (PSI) hat den Radius des Atomkerns von muonischem Helium-3 mit einer Genauigkeit von 1,97007 Femtometern bestimmt. Grundlage war ein einzigartiges Experiment mit extrem langsamen Myonen und einem hochspezialisierten Lasersystem. Die neuen Ergebnisse liefern wichtige Vergleichswerte für die theoretische Modellierung der Atomstruktur und setzen einen neuen Standard für Präzision in der Kernphysik.
Inhaltsverzeichnis
- Präzision im Billionstel-Meter-Bereich
- Warum ein Myon statt eines Elektrons?
- Die Rolle des Lasers im Vakuum
- Einzigartige Myonenquelle in der Schweiz
- Muonisches Helium-3 – ein leichtes Atom mit großem Potenzial
- Bedeutung für Theorien und Modellrechnungen
- Blick in die Zukunft: neue Experimente geplant
Präzision im Billionstel-Meter-Bereich
Der Radius eines Atomkerns liegt weit unterhalb der menschlichen Vorstellungskraft. Doch gerade diese winzigen Größen sind entscheidend für unser physikalisches Verständnis der Materie. Ein internationales Team von mehr als 40 Forschenden hat nun den Kernradius von muonischem Helium-3 auf 1,97007 Femtometer genau bestimmt – eine Genauigkeit, die bisher unerreicht war. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Am PSI führten die Forschenden das anspruchsvolle Experiment durch. Im Zentrum steht dabei sogenanntes muonisches Helium-3 – eine spezielle Variante des Heliumatoms, bei der die Elektronen durch ein Myon ersetzt sind. Dieses Myon ist etwa 200-mal schwerer als ein Elektron und umkreist den Atomkern in deutlich engeren Bahnen. Dadurch wird die Wechselwirkung zwischen Myon und Kern deutlich intensiver.
Warum ein Myon statt eines Elektrons?
Das Myon eignet sich besonders gut zur Vermessung des Atomkerns. Seine höhere Masse bringt es in unmittelbare Nähe zum Kern. Das hat zur Folge, dass sich die Wellenfunktionen von Myon und Kern stark überlagern. Physikalisch ausgedrückt: Das Myon „spürt“ die Verteilung der positiven Ladung im Kern sehr genau.
Der sogenannte Ladungsradius – also der Bereich, über den sich diese positive Ladung erstreckt – bleibt auch dann gleich, wenn statt Elektronen Myonen den Kern umkreisen. Genau diesen Radius wollte das Team um PSI-Forscher Aldo Antognini messen. Und zwar so genau wie noch nie.
Die Rolle des Lasers im Vakuum
Kernstück der Messung ist ein selbst entwickeltes Lasersystem. Es feuert einen präzisen Lichtimpuls ab, sobald ein Myon die Vakuumkammer erreicht. Damit das funktioniert, installierten die Forschenden einen hauchdünnen Foliendetektor vor dem Versuchsaufbau. Er erkennt das eintreffende Myon und triggert den Laser.
Ziel des Lasers: Die Frequenz finden, bei der das Myon kurzzeitig in einen höheren Energiezustand übergeht. Diese sogenannte Resonanzfrequenz ist ein indirekter, aber sehr exakter Indikator für den Ladungsradius des Kerns. Wird das Myon angeregt, fällt es innerhalb von Billionstel Sekunden wieder in den Grundzustand zurück – unter Abgabe von Röntgenstrahlung. Diese Strahlung gibt Aufschluss über den erfolgten Übergang.
Einzigartige Myonenquelle in der Schweiz
Damit das Experiment überhaupt möglich wird, braucht es eine große Zahl besonders langsamer negativer Myonen. Solche Myonen erzeugt weltweit nur die Protonenbeschleunigeranlage des PSI. Pro Sekunde entstehen dort rund 500 Myonen mit einer Energie von etwa einem Kiloelektronenvolt – ideal für die empfindlichen Messungen.
Die PSI-Anlage ist damit weltweit einzigartig. Nur sie kann negative Myonen in dieser Menge und Energie bereitstellen. Ohne diesen technischen Vorsprung wäre das Experiment nicht realisierbar gewesen.
Muonisches Helium-3 – ein leichtes Atom mit großem Potenzial
Helium-3 unterscheidet sich vom bekannten Helium-4 dadurch, dass es nur ein Neutron im Kern besitzt. Das macht es zu einem besonders leichten und einfach aufgebauten Atom. Gerade diese Einfachheit ist für die Kernphysik von Interesse. Denn einfache Systeme erlauben genauere theoretische Berechnungen – eine wichtige Voraussetzung, um experimentelle Daten mit Modellen abzugleichen.
Antognini und sein Team haben bereits in der Vergangenheit ähnliche Messungen durchgeführt, unter anderem an muonischem Wasserstoff und Deuterium. Diese früheren Ergebnisse hatten für Diskussionen gesorgt, da sie deutlich von anderen Methoden abwichen. Inzwischen wurden sie jedoch mehrfach bestätigt.
Bedeutung für Theorien und Modellrechnungen
Die nun gemessenen Radien dienen als Referenzwerte für sogenannte Ab-initio-Modelle. Solche Theorien versuchen, die Eigenschaften von Atomkernen allein aus den fundamentalen Naturgesetzen zu berechnen – ohne experimentelle Anpassungen.
Vergleiche mit klassischen Heliumatomen, bei denen ein oder zwei Elektronen vorhanden sind, ermöglichen strenge Tests der Quantenelektrodynamik (QED). Diese beschreibt, wie geladene Teilchen über den Austausch von Lichtteilchen, also Photonen, miteinander wechselwirken.
Wenn sich Theorie und Experiment decken, stärkt das das Vertrauen in die QED. Zeigen sich Abweichungen, könnten diese auf neue physikalische Effekte oder gar Grenzen des Standardmodells hindeuten.
Blick in die Zukunft: neue Experimente geplant
Antognini und sein Team planen bereits weitere Experimente. Im Fokus steht dabei die sogenannte Hyperfeinaufspaltung – also winzige Energieunterschiede innerhalb eines Atoms, die mit dem Spin und Magnetismus des Kerns zusammenhängen.
Zunächst ist ein weiteres Experiment mit muonischem Wasserstoff geplant, später soll auch muonisches Helium erneut untersucht werden. Dafür ist jedoch eine deutlich stärkere Lasertechnologie erforderlich. Diese wird aktuell am PSI und an der ETH Zürich weiterentwickelt.
„Viele Menschen, die in der Kernphysik arbeiten, sind sehr daran interessiert und warten gespannt auf unsere Ergebnisse“, sagt Antognini.
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