Das Ende der Reibung: Quantengas ignoriert Thermodynamik
Forschende der TU Wien erzeugen ein Quantengas, in dem Reibung und Widerstand verschwinden. Masse & Energie fließen perfekt. Neue Wege in der Quantenphysik.
Frederik Møller, Philipp Schüttelkopf und Jörg Schmiedmayer von der TU Wien. Sie haben ein Quantengas erzeugt, in dem Reibung und Widerstand verschwinden.
Foto: TU Wien
In der Physik beschreiben wir viele Arten des Transports: Ob es der elektrische Strom durch einen Kupferdraht ist oder die Wärme, die durch ein Metallstück fließt. Bei all diesen Prozessen spielt der Widerstand eine zentrale Rolle. Er entsteht, weil die sich bewegenden Teilchen ständig mit anderen Atomen oder Molekülen kollidieren. Diese Zusammenstöße führen zu Reibung, der Strom verlangsamt sich oder klingt mit der Zeit ab.
Forschende der TU Wien konnten jetzt jedoch ein System beobachten, das sich diesen Regeln widersetzt. Sie erzeugten ein ultrakaltes Quantengas, in dem Energie und Masse mit nahezu perfekter Effizienz transportiert werden. Selbst nach unzähligen Kollisionen zwischen den Atomen bleibt der Fluss stabil und ungemindert. Das Transportverhalten scheint den fundamentalen Gesetzen gewöhnlicher Materie zu widersprechen.
Inhaltsverzeichnis
Zwei Welten des Transports
Um das Phänomen einzuordnen, ziehen die Forschenden den Unterschied zwischen zwei grundlegenden Formen von Transportphänomenen heran. Ballistischer Transport ist der intuitivere Vorgang. Hier bewegen sich Teilchen frei; in der doppelten Zeit legen sie auch die doppelte Distanz zurück. Stellen Sie sich eine Pistolenkugel vor, die sich entlang einer geraden Linie bewegt.
Demgegenüber steht der diffusive Transport. Er wird durch viele zufällige Kollisionen verursacht. Wärmeleitung ist das bekannteste Beispiel dafür: Treffen heiße Teilchen auf kühlere, tauschen sie nach und nach Energie und Impuls aus, bis sich die Temperaturen angeglichen haben. Dieser Prozess verläuft nicht linear. Um die doppelte Distanz zurückzulegen, benötigt der diffusive Transport in diesem Fall typischerweise die vierfache Zeit.
Ein perfekter Quanten-Leiter entsteht
Das Team der TU Wien, unter anderem mit Frederik Møller vom Atominstitut, hat einen speziellen Aufbau gewählt. Sie sperrten Tausende von Rubidium-Atomen mithilfe magnetischer und optischer Felder ein. Die Atome konnten sich nur entlang einer einzigen Linie bewegen. Diesen Zustand nennt man ein ultrakaltes Quantengas.
Bei der Untersuchung des Atomstroms beobachteten die Forschenden das Ungewöhnliche. „Indem wir den Atomstrom untersucht haben, konnten wir sehen, dass Diffusion praktisch vollständig unterdrückt ist“, erklärt Møller. Das Gas verhält sich dadurch wie ein perfekter Leiter. Obwohl eine große Zahl von Kollisionen zwischen den Atomen stattfindet, können Masse und Energie frei fließen, ohne im System Energie abzugeben oder zu dissipieren.
Das Geheimnis des Kugelstoßpendels
Wie ist es möglich, dass die Kollisionen keinen Widerstand erzeugen? Die Antwort liegt in der Beschränkung auf eine Dimension. Die Forschenden vergleichen das ungewöhnliche Verhalten mit einem Kugelstoßpendel – dem bekannten Schreibtischspielzeug.
Bei diesem Pendel überträgt die angestoßene Kugel ihren Impuls direkt durch die gesamte Reihe hindurch. Nur die Kugel am gegenüberliegenden Ende schwingt aus. Der Impuls scheint direkt weitergegeben worden zu sein, ohne Verluste im System zu erzeugen.
Im Experiment verhalten sich die Rubidium-Atome ganz ähnlich: Sie können nur entlang dieser einen Richtung zusammenstoßen. Møller präzisiert das Prinzip: „Ihre Impulse werden nicht gestreut, sondern einfach zwischen den Kollisionspartnern ausgetauscht. Der Impuls jedes einzelnen Atoms bleibt erhalten – er kann nur weitergegeben werden, niemals verloren gehen.“
Ähnlich wie im Pendel kann sich Bewegung in diesem atomaren „Draht“ ohne Dämpfung fortpflanzen. Impuls und Energie durchqueren das Gas über große Distanzen. In normaler Materie würden diese Größen schnell verschwinden und sich auf viele Teilchen verteilen.
Neue Wege für die Thermodynamik
Møller sieht in dieser Entdeckung einen wichtigen Schritt. „Diese Ergebnisse zeigen, warum eine solche Atomwolke nicht thermalisiert – warum sie ihre Energie nicht nach den üblichen Gesetzen der Thermodynamik verteilt“, sagt er.
Die Forschenden erhoffen sich nun neue Erkenntnisse darüber, wie Widerstand auf der fundamentalen Quantenebene überhaupt entsteht oder unter bestimmten Bedingungen vollständig verschwindet. Das Studium solcher Phänomene unter perfekt kontrollierten Bedingungen könnte die Tür zu neuen, verlustfreien Technologien öffnen.
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