Offshore-Windkraft 14.09.2012, 11:52 Uhr

Schwimmende Windkraftanlagen noch in der Testphase

Windkraftanlagen sollen schwimmen lernen. Denn für den Offshore-Einsatz finden sich nur selten so flache Gewässer wie in Nord- und Ostsee, in denen die „Mühlen“ auf festem Boden stehen können. Ab 50 m Wassertiefe gilt der feste Fundamentbau als unwirtschaftlich. Ein Grund, warum zurzeit erste Testläufe mit schwimmenden Fundamenten für Windkraftanlagen auf See laufen.

Testanlagen geplant: Windkraftanlagen sollen schwimmen lernen.

Testanlagen geplant: Windkraftanlagen sollen schwimmen lernen.

Foto: Energiekontor

Der erste Test war erfolgreich. Seit 2009 liefert die Offshore-Windkraftanlage Hywind kontinuierlich Strom – nicht irgendwo an Land, sondern draußen im Nordatlantik vor der norwegischen Südwestküste.

Während die deutsche Offshore-Windindustrie sich langsam in die relativ flache Nordsee vorantastet, wagte der norwegische Energiekonzern Statoil mit Siemens den Sprung ins kalte, vor allem aber tiefe Wasser: Im Herbst 2009 installierte Statoil mit einer 2,3-MW-Turbine von Siemens die erste serienmäßige Windkraftanlage der Welt auf einer im Ozean schwimmenden Struktur.

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Obwohl im Herbst 2011 ebenfalls vor Norwegen mit „Sway“ eine weitere Testanlage – im verkleinerten Versuchsmaßstab von 1:6 – des gleichamigen Konsortiums bei Sturm buchstäblich baden ging, scheinen schwimmende Windkraftanlagen in Mode zu kommen. Mit gutem Grund: „Je tiefer das Wasser, desto stärker ist der Wind darüber“, bringt es Jochen Bard, Abteilungsleiter „Meeresenergie“ am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel, auf den Punkt.

Windkraftanlagen in tiefer See sind nur mit schwimmenden Strukturen realisierbar

Windkraftanlagen lassen sich nur bis zu einer Wassertiefe von maximal 50 m fest mit dem Meeresboden verbinden. „Bei größeren Tiefen wäre der Aufwand für derartige Gründungsstrukturen viel zu hoch“, sagt Bard. Solche relativ flachen und dann noch küstennahen Gewässer sind – abgesehen von Nord- und Ostsee – weltweit aber sehr selten. „Wenn es um die Nutzung der Offshore-Windenergie geht, führt also kein Weg an schwimmenden Strukturen vorbei“, schlussfolgert der Kasseler Experte.

Dabei müssen die Anlagen gar nicht mal weit draußen auf hoher See installiert werden – Hywind ist gerade einmal 20 km von der südnorwegischen Hafenstadt Stavanger entfernt, schwimmt aber bereits auf 200 m tiefem Wasser. „Ein Abstand von bis zu 200 km vor der Küste ist durchaus machbar“, meint Bard, darüber hinaus sei der Anschluss ans Landstromnetz viel zu aufwendig.

Raue Einsatzbedingungen auf See schrecken Bard nicht: „Wir haben ja längst große Erfahrungen mit schwimmenden Strukturen, die sogar noch viel härtere Belastungen aushalten müssen“, sagt der Experte und verweist auf die Öl- und Gasförderung, die oft von riesigen sogenannten Halbtauchern aus erfolgt.

Die Auftriebskörper dieser schwimmenden Strukturen befinden sich sehr weit unter der Wasseroberfläche und damit weitgehend außerhalb der Wellenbewegung dadurch liegt die gesamte Konstruktion auch bei extremem Seegang sehr ruhig im Wasser. Über Ballastwasser lässt sich zudem der Tiefgang beeinflussen, so dass die Einheiten gegebenenfalls auch in flacheres Wasser geschleppt werden können – was die Windradmontage deutlich erleichtern würde.

Noch müssen diese Strukturen den besonderen Erfordernissen der Windkraftnutzung angepasst werden. Windkraftanlagen sind kopflastig – die Kopfmasse einer heutigen 5-MW-Anlage beträgt 450 t oder mehr. Hinzu kommt, dass die Anlagen wegen der erforderlichen Rotordurchmesser von zurzeit etwa 160 m auf sehr hohen Türmen montiert sind. Zusätzlich muss das Gesamtkonstrukt die wechselnden Kräfte aus den Bewegungen des Rotors aushalten.

Stahlseile verhindern das Abtreiben schwimmender Windkraftanlagen

Für Hywind haben die Statoil-Ingenieure den 65 m hohen Turm mit der 135 t schweren Windenergieanlage auf einen Stahlzylinder gestellt, der mehr als 100 m tief ins Wasser ragt. Damit die Konstruktion nicht einfach abtreibt, ist sie mit drei Stahlseilen am Meeresboden verankert. „Die anspruchsvollste technische Herausforderung steckte in der Stabilisierung des gesamten Systems“, sagt die Projektmanagerin von Statoil Wind Energy, Kristin Aamondt.

In dem Stahlzylinder befindet sich Ballast aus Steinen und Wasser; Sensoren messen die Wellenbewegung und wirken ihr durch ein Umpumpen des Ballastwassers entgegen. Wellenhöhen von rund 4 m kann das System vertragen, ohne nennenswerte vertikale Bewegungen zu vollführen. Seit der Indienststellung läuft die Anlage nahezu störungsfrei sie lieferte 2011 rund 11 GWh Strom.

Kristin Aamondt geht davon aus, dass solche Anlagen gut geeignet sind für eine dezentrale Stromversorgung im Küstenbereich: „Ab einer Wassertiefe von rund 30 m scheint der Bau solcher schwimmenden Windkraftanlagen sogar günstiger zu sein als der eines Windrades, das fest auf dem Meeresboden steht“, resümiert die Norwegerin.

Mittlerweile gibt es eine Reihe weiterer Forschungsvorhaben. Bard leitet das größte europäische Projekt HiPRWind unter diesen Programmen, zu dem sich das IWES mit acht europäischen Partnern aus Industrie und Wissenschaft zusammengeschlossen hat.

HiPR steht für High Power, High Reliabilty – hohe Leistung und hohe Zuverlässigkeit. In den Arbeitspaketen des Fünf-jahresprogramms geht es um die Entwicklung der Schwimmkörper genauso wie um die Frage, wo und wie solche Strukturen in den erforderlichen Dimensionen gebaut werden können.

Weitere Arbeitspakete thematisieren die speziell für den Hochseeeinsatz konzipierten Turbinen- und Rotorstrukturen sowie die Kontroll- und Steuertechnik. Dass die Untersuchungen nur an einer 1,5-MW-Anlage vorgenommen werden, hat nichts mit Bescheidenheit zu tun: Das Projekt soll im Maßstab 1:10 Erkenntnisse für den Bau und den Einsatz von schwimmenden 10-MW-Anlagen bringen. „Angesichts des Kostenaufwandes für die Offshore-Windenergienutzung müssen die Anlagen so leistungsfähig wie möglich sein“, sagt Bard.

Für die Plattform verfolgen die Projektteilnehmer derzeit drei Konzepte: Ein System nach dem Halbtaucherprinzip von Bohrinseln ließe sich in einem Hafen vormontieren, ist durch den hohen Materialaufwand aber relativ teuer.

Eine kostengünstige Alternative wäre das von Statoil angewandte Stahlzylinderkonzept doch diese Konstruktion muss bei höherem Seegang extreme vertikale Bewegungen vollziehen, um nicht von den Wellen verschlungen zu werden.

Japan will 20 km vor Fukushima schwimmende Windkraftanlagen testen

Kompromiss könnte eine abgespeckte Halbtaucherlösung sein. Sie erfordert weniger Materialeinsatz und besitzt mehr Auftrieb. Dadurch setzt diese „tension leg platform“ ihre Verankerungen extrem unter Spannung und verhindert so ein zu starkes Aufschwimmen im Seegang. 20 Mio. € kostet das Vorhaben, das vor der portugiesischen Küste realisiert und zu 50 % von der EU finanziert wird.

Neben den unterschiedlichen Forschungsansätzen gibt es bereits verschiedene kommerzielle Projektskizzen für schwimmende Windkraftwerke. Das schwedische Konsortium Hexicon plant eine sechseckige schwimmende Plattform mit 480 m Durchmesser, an der sechs Windkraftanlagen und 30 Wellenturbinen mit einer Gesamtleistung von 54 MW installiert werden sollen.

Statoil plant einen Windpark vor der US-amerikanischen Küste. Und auch dort, wo mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima die Diskussion um neue Energiekonzepte richtig Vortrieb bekam, soll bald Windkraft für Strom sorgen. Ein Konsortium aus nahezu allen führenden japanischen Industriekonzernen will im Pazifik 20 km vor den Reaktorruinen spätestens ab 2015 mit schwimmenden Windkraftanlagen experimentieren.

 

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Heumer

    Der Autor hat mehr als zehn Jahre als Redakteur und Redaktionsleiter für verschiedene Tageszeitungen gearbeitet. Seit 1998 ist er freiberuflich mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Technik und Wissenschaft für Magazine, Agenturen, Tageszeitungen und fachlich geprägte Medien tätig.

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