Stromnetze 04.02.2011, 19:51 Uhr

Europäische Stromnetze werden zur Herausforderung

Schwache Netze hemmen den Ausbau erneuerbarer Energien in Europa. Zu Engpässen werden vor allem die Kuppelstellen an den Staatsgrenzen. Widerstände vor Ort und eine strikte Regulierung setzen einem zügigen Netzausbau Grenzen.

Als Erste bekamen es Windenergieanlagen-Betreiber in Norddeutschland zu spüren, die ihre Turbinen immer öfter herunterregeln müssen. Allein in Schleswig-Holstein passten 2009 etwa 50 Mio. kWh Windstrom nicht mehr in die Hochspannungsebene des Verteilnetzes.

Für die Photovoltaik beginnt das Netz zum Hemmnis zu werden. „Kapazitätsengpässe im Verteilnetz führen derzeit zum Scheitern von Projekten“, beklagte Karsten Glöser vom Solar-Projektentwickler Juwi im September vergangenen Jahres. Manch größere Photovoltaikanlagen, die schon in Betrieb sind, müssen in einigen Regionen zeitweise vom Netz getrennt oder abgeregelt werden.

Engpässe im Stromnetz sind am ehesten auf der 110-kV- und auf der 20-kV-Ebene zu erwarten. Über den Umfang solcher Einschränkungen sind bisher keine aussagekräftigen Untersuchungen bekannt geworden. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) befasst sich ausschließlich mit dem 380-kV-Netz.

Besser als die Verteilnetze sind die großräumigen europäischen Übertragungsnetze untersucht. Es gibt ein halbes Dutzend aktuelle Studien dazu. Für die Zeit bis 2020 hat ENTSO-E, ein Zusammenschluss von 42 europäischen Übertragungsnetzbetreibern, einen Zehnjahresplan vorgelegt, der in der Branche oft mit der Abkürzung „TYNDP“ für „Ten-year network development plan“ bezeichnet wird und Projekte von europäischer Bedeutung auflistet.

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Der Zehnjahresplan der ENTSO-E sieht vor, von den rund 300 000 km des Stromnetzes in Europa 6900 km für eine höhere Leistung zu ertüchtigen und sie um 35 300 km neue Verbindungen zu ergänzen, was Kosten von 23 Mrd. € bis 28 Mrd. € verursachen werde. Von den für Ausbaumaßnahmen damit insgesamt vorgesehenen 42 200 km entfallen allein 20 000 km auf die Integration erneuerbarer Energie.

Ein besonderes Problem ist der Stromaustausch über die mit wenigen Ausnahmen schon lange überlasteten Grenzkuppelstellen, der zum Teil seit Jahren über Auktionen rationiert werden muss. Die Elektrizitätsübertragung an Staatsgrenzen und im benachbarten Hinterland könnte nach einer jüngst vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vorgelegten Studie schon in wenigen Jahren zum Flaschenhals für den deutschen Ausbau der Windenergie werden.

Konkret geht es dabei um den Stromaustausch mit norwegischen Speicherwasserkraftwerken, die ohne oder mit geringen Umbaumaßnahmen große Mengen an Windstrom von der norddeutschen Küste und von Nordsee-Windparks zwischenspeichern könnten.

Derzeit können über Dänemark rund 1500 MW ausgetauscht werden. Durch die geplanten Seekabel „Norger“ und „Nordlink“ vergrößert sich die Kapazität bis 2018 auf etwa 4300 MW. Schon 2017 allerdings wären nach der SRU-Studie mehr als 8000 MW nötig. 2020 müssten es bereits rund 16 000 MW sein, und im Jahr 2050 rechnen die Sachverständigen je nach Stromnachfrage mit 42 000 MW bis 62 000 MW notwendiger Übertragungsleistung.

Das wäre jedoch nur halb so viel wie die Kapazität, die erforderlich ist, um nach den Vorstellungen des „Desertec“-Projekts Solarstrom aus Nordafrika mit Hochspannungsgleichstrom-Freileitungen und Seekabeln durch das Mittelmeer nach Europa zu übertragen. Der Desertec-Zeitplan beginnt mit zwei 5000-MW-Verbindungen im Jahr 2020, zu denen alle zehn Jahre sechs weitere Verbindungen hinzukommen sollen.

Ein großer Teil des Desertec-Stroms müsste über Spanien und Frankreich fließen. Einen Vorgeschmack auf die mit einem solch massiven Netzausbau in dieser Region verbundenen Anstrengungen bekam der Ex-EU-Kommissar Mario Monti. Die EU-Kommission bestellte ihn als „europäischen Koordinator“ und schickte Monti in die Region, um die festgefahrenen Verhandlungen über eine Freileitung zwischen Frankreich und Spanien voranzubringen.

Tatsächlich brachte der gebürtige Italiener Monti die örtlichen Bürgermeister in Frankreich und Spanien nach Gesprächen dazu Ja zu sagen. Wenn auch nicht zu einer Freileitung, sondern zu 60 km Erdkabel, EU-Anteil an den Mehrkosten 250 Mio. €. Diese Erfahrung zeigt für Marian Klobasa vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), „dass es hilfreich sein könnte, auf der EU-Ebene einen Koordinator für grenzüberschreitende Projekte zu etablieren“. Klobasa arbeitet für das ISI am EU-Projekt Susplan (s. Kasten) mit, das Zukunftsszenarien für eine europäische Energieinfrastruktur entwirft.

Eine weitere Möglichkeit, um den lokalen Widerstand gegen den Ausbau des Stromnetzes zu mildern, sieht Fraunhofer-Forscher Klobasa in Ausgleichszahlungen, wie sie zum Beispiel bei Vorhaben in Frankreich vorgesehen sind. Dort kommen bis zu 10 % des Projektbudgets den örtlichen Gemeinden oder Regionalverwaltungen zugute.

Noch einen Schritt weiter gehen die Expertenvorschläge zum 380-kV-Projekt „Salzburgleitung 2“. An die Anliegergemeinden sollen insgesamt 14 Mio. € gezahlt werden. Die betroffenen Anrainer erhalten direkt – je nach Abstand zur geplanten Leitung – 2000 € bis 8000 € je Gebäude. Bei einer Trassenlänge von 143 km entfallen auf 1 km ca. 100 000 € an Ausgleichszahlungen, etwa 12 % der Investitionskosten.

Mögliche Investoren stört nicht nur die Frage der Akzeptanz. Peter Barth, Leiter Netzentwicklung beim Übertragungsnetzbetreiber Amprion, weist auf die Bundesnetzagentur hin. Die könne sich auf ein EU-weites Benchmarking berufen und unter Verweis auf niedrigere Stückkosten etwa für Freileitungsmasten in Portugal die Refinanzierung einer Ausbaumaßnahme in Deutschland verweigern. ALEXANDER MORHART

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  • Alexander Morhart

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