Effektive solare Stromversorgung dank Elektroautos und smarter Netze
Die Netzanbindung für Elektroautos, kurz Vehicle to Grid, ist in Deutschland eine Herausforderung. Es geht innovativer, das zeigen Beispiele aus aller Welt.

Symbolbild für die Verbindung von Elektromobilität und Solarstrom. Die dafür nötige Netzanbindung für Elektroautos, kurz Vehicle to Grid, ist in Deutschland eine Herausforderung. Es geht innovativer, das zeigen Beispiele aus aller Welt.
Foto: PantherMedia / BiancoBlue
Mehr Elektroautos, bessere Batterien und digitale Verknüpfung sind eine große Chance, um das gesamte Stromnetz leistungsfähiger zu machen. In einigen Ländern der Welt sind intelligente Netze schon Realität. Deutschland aber ringt noch darum, den Anschluss zu gewinnen; im eigenen Interesse. Energie- und Mobilitätswende smart zu verheiraten, das wäre endlich eine positive Nachricht aus Deutschland. Wie es geht, zeigt ein Blick zu unseren Nachbarn.
Frankreich macht Deutschland vor, wie Vehicle to Grid funktionieren kann
Wer sich in unserem Nachbarland Frankreich einen Renault 5 oder Alpine A 290 zugelegt hat, kann damit ein ganzes Elektroauto-Leben unterwegs sein, ohne je für den Ladestrom zu bezahlen. Der Besitzer dieser Kompaktwagen muss nur eine spezielle AC-Ladestation (AC: Wechselstrom) installieren und mit dem Serviceanbieter Mobilize den passenden Vertrag abschließen – schon kann der Gratisstrom fließen.
Möglich wird diese Europapremiere, weil Auto, öffentliches Stromnetz und alle Anschlüsse dazwischen intelligent und in alle Richtungen kommunikativ sind – und der Gesetzgeber für dieses „Vehicle to Grid“ (V2G) die passenden Rahmenbedingungen setzt. Das bidirektionale Laden ermöglicht es den Franzosen, Strom nicht nur zu laden, sondern auch ins Netz zurückzuspeisen. Für rund 15 Stunden Verbindung am Tag bekommen sie Fahrstrom für 10.000 km geschenkt. Denn ihre E-Autos werden zu „mobilen Kraftwerken“, so Thomas Raffeiner. Der Chef von The Mobility House zeigt auf dem Messeverbund The Smarter E vom 7. bis 9. Mai in München die Lösung – und möchte sie bald auch in Deutschland anbieten. Doch das dürfte nicht ganz so einfach werden.
Einbindung von Elektromobilität ist ein Megathema für die Solarbranche
Die nahtlose und bidirektionale Einbindung von Elektrofahrzeugen in das Stromnetz ist ein Topthema der The Smarter E – und Schwerpunkt des Spezialbereiches Power2Drive Europe 2025. In Halle C6 gibt es dazu sogar die Sonderschau „Bidirektionales Laden“. Dutzende Aussteller – von Dienstleistern wie XCharge Europe, EcoG oder Dekra über Autohersteller wie Renault und Mercedes bis zu Stromkonzernen oder Forschungsinstituten – sowie ein eigener Kongressbereich beschäftigen sich mit Stand und Zukunft von V2G. Zur rechten Zeit: Denn die Zahl der Stromer wächst weltweit deutlich. Immer mehr sind inzwischen durch bidirektionale Onboard-Lader technisch bereit, ihre Ladung intelligent mit dem Netz auszutauschen.
Die Möglichkeiten sind für Netzbetreiber und Kunden mit Elektroauto groß: Frank Spennemann, Ladetechnikexperte bei Mercedes, erläutert, dass Elektroautos als Notstromquelle dienen könnten, vor allem in Gebieten mit häufigen Stromausfällen. In Japan ist dies schon seit Jahren möglich. Toyota-Brennstoffzellen-Busse sind dort fest Krankenhäusern oder Polizeistationen zugeordnet, die sie im Ernstfall aus ihren Akkus versorgen können. Nissan- oder Mercedes-Fahrer (s. u.) haben seit mehr als einem Jahrzehnt die Möglichkeit, den Privathaushalt bei Stromausfall aus dem Akku zu versorgen.
China startet Großtest zu bidirektionalem Laden in Schanghai
In China werden dieses Jahr in den Großräumen Shanghai und Peking 500.000 Stromer mit V2G-Funktion im Einsatz sein – und eine Rückspeisung von 200.000 kWh jährlich ermöglichen. BYD und Catl entwickeln dazu LFP-Batterien (LFP: Lithium-Eisenphosphat) mit mehr als 6000 Ladezyklen für das häufige Hin und Her im Akku.
Die staatliche chinesische Grid Corporation testet ein Blockchain-basiertes Abrechnungssystem für Mikrotransaktionen. In China Science Fact – in Deutschland noch Science Fiction. Aber Techniker Spennemann rechnet vor, dass ein Mercedes EQS mit seiner 110-kWh-Batterie einen durchschnittlichen europäischen Haushalt über eine Woche lang mit Strom versorgen könnte.
Laut einer aktuellen Studie von Eurelectric und EY könnten Elektroautos auch den Versorgern helfen, „den weiter steigenden Anteil von Wind- und Solarstrom zwischenzuspeichern, so die Stromnetze zu stabilisieren und überschüssigen Ökostrom besser nutzbar zu machen“. Überschüssiger Ökostrom, der etwa bei starkem Wind oder viel Sonne anfällt, wird in den Fahrzeugen zwischengespeichert und kann bei Bedarf, zum Beispiel in den Abendstunden, wieder ins Netz eingespeist werden. Bis 2030 könnte die europäische Elektroautoflotte laut Studie eine Speicherkapazität von 114 TWh bereitstellen und damit „30 Mio. Haushalte mit Strom versorgen oder 4 % des europäischen Strombedarfs decken“.
Warum der Großtest zu bidirektionalem Laden in Frankreich und nicht in Deutschland stattfindet
Auch für die Autobesitzer lohnt sich bidirektionales Laden: Wer sein Elektroauto wie die französischen Renault-Kunden als Energiepuffer nutzt, kann laut Studie jährlich „zwischen 450 € und 2900 € an Stromkosten sparen“. Um das volle Potenzial auch hierzulande zu nutzen, seien „klare Preissignale, ein verbesserter Zugang zu den Flexibilitätsmärkten und interoperable Daten im gesamten Ökosystem der Elektromobilität notwendig“.
The-Mobility-House-Chef Raffeiner hätte seinen Test liebend gern auch zuerst in Deutschland umgesetzt. Doch hier waren einige Hürden bisher schwer überwindbar. Hauptproblem: Das Netz in Deutschland ist global gesehen rückständig bei der Vorbereitung auf V2G und die nötige Abrechnungstechnik. So folgte auf Frankreich erst Großbritannien.
Auch deutsche Hersteller können bidirektionales Laden – in Japan
Mercedes bietet bereits seit mehreren Jahren bidirektional ladefähige Fahrzeuge in Japan an. Dort hat sich vor 15 Jahren ein Industriekonsortium mit Rückendeckung des Gesetzgebers auf Chademo als gemeinsamem Standard festgelegt. Für den europäischen Markt und darüber hinaus gilt der relevante Standard ISO 15118–20, der vor etwa 1,5 Jahren veröffentlicht wurde. Aktuell arbeiten alle Automobil- und Wallboxhersteller an der Umsetzung dieses Standards für die nächste Generation von Elektrofahrzeugen.
Aber erst in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich laut Mercedes-Techniker Spennemann klären, ob sich AC- oder DC-basiertes bidirektionales Laden durchsetzt. Momentan setzen etwa 80 % der Hersteller auf DC (DC: Gleichstrom), da hier die Wallbox die Einhaltung der Netzvorgaben übernimmt. Bei AC muss diese Leistung zwischen Auto und Wallbox aufgeteilt werden, was komplexer ist.
Deutschland Entwicklungsland bei Smart-Meter-Versorgung
Noch komplexer wird es vor allem in Deutschland, wenn der Staat ins Spiel kommt. Durch die sogenannte doppelte Besteuerung fallen bei Strom, der im Auto gespeichert und wieder ins Netz eingespeist wird, zweimal Abgaben an. Das macht die Technologie finanziell unattraktiv. Eine Aufgabe für die neue Regierung; darüber dürften sich wohl fast alle Aussteller und Besucher der The Smarter E einig sein.

Deutschland ist nicht smart: In der Grafik mit den Anteilen der mit Smart Meter ausgestatteten Haushalte in der EU, Norwegen und Großbritannien im Jahr 2021 ist Deutschland gar nicht dargestellt. Es sind einfach zu wenig. Grafik: VDI nachrichten/Gudrun Schmidt/ACER, CEER 2022.
Zudem ist Deutschland bei der Stromversorgung teilweise ein digitales Entwicklungsland (s. Grafik). Deutschland hinkt beim Smart-Meter-Roll-out hinterher. China hat fast 100 % aller Haushalte mit intelligenten Zählern versorgt. Die Einführung begann früh und wurde durch staatliche Vorgaben und massive Investitionen der beiden großen Netzbetreiber vorangetrieben. Auch Länder wie Schweden, Dänemark und Italien haben fast alle Haushalte umgerüstet. In Estland, Spanien, Finnland, Luxemburg und Norwegen liegt die Durchdringung bei mindestens 98 %, viele andere EU-Staaten sind bei weit über 80 %.
In fünf Jahren will Deutschland bei Smart Metern auf den Stand von Estland, Italien und China
In Deutschland sind weniger als 2 % der Messstellen mit Smart Metern ausgestattet. Seit 1. Januar gilt eine Einbaupflicht für Smart Meter für Haushalte mit einem Stromverbrauch ab 6000 kWh/ Jahr sowie für Betreiber von Photovoltaikanlagen ab 7 kW Nennleistung. Ab 2032 soll dann auch Deutschland den Ausbaustand bei intelligenten Stromzählern erreichen, den Esten, Chinesen oder Italiener schon heute haben.
Viel Gesprächsbedarf also auf der Leitmesse The Smarter E – und noch mehr Handlungsbedarf für Deutschlands in Sachen V2G. Tipp für Interessierte: Mit Geschäftsmodellen für die Netzintegration von Elektrofahrzeugen beschäftigt sich im Rahmen der Konferenz im Messevorfeld eine Experten-Session.
Ein Beitrag von: