Interview: Infineon-Vorstand 18.11.2011, 12:04 Uhr

„Für die Energiewende brauchen wir Leistungselektronik“

Das Geschäftsjahr 2011 brachte Infineon ein Rekordergebnis. Wesentlich dazu beigetragen haben Leistungshalbleiter für die Automobil- und Industrieelektronik. Im Gespräch mit den VDI nachrichten erläutert Reinhard Ploss, im Infineon-Vorstand u. a. für die Entwicklung zuständig, wie sich das Unternehmen für den künftigen Wettbewerb in diesem Segment neu aufstellt.

VDI nachrichten/INGENIEUR.de: Infineon hat kürzlich bekannt gegeben, den bisherigen Bereich Industrial und Multimarket aufzuspalten. Können Sie kurz erläutern, warum die Spaltung Sinn macht und welche neuen Bereiche entstehen?

Ploss: Der Bereich Industrial und Multimarket ist mit seinen Schwerpunkten Antriebstechnik und Stromversorgung in den vergangenen Jahren stark gewachsen – vor allem dank der verstärkten Nachfrage nach höherer Energieeffizienz. Die neue Organisation setzt einen klaren Fokus auf die individuellen Märkte, die technologisch und im Hinblick auf die internationale Ausrichtung deutlich herausfordernder geworden sind. Voraussetzung für weiteren Erfolg ist ein ausgeprägtes Verständnis für die künftigen Anforderungen unserer Kunden. Asien, und hier besonders China, bieten ein enormes Marktpotenzial für Infineon. Diese Fokussierung ist die Voraussetzung, um den eingeschlagenen Wachstumspfad erfolgreich weitergehen zu können.

Wird denn das bestehende Geschäft da nicht einfach nur auf zwei Bereiche aufgeteilt?

Ploss: Nein. Wettbewerb und Technologie sind in den vergangenen Jahren immer herausfordernder geworden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen unserer Kunden. Mit diesem Schritt wollen wir unsere Applikationskompetenz ausbauen, um unsere Kunden noch gezielter mit neuen Lösungen unterstützen zu können. Darüber hinaus wollen wir technologisch die optimierte Ansteuerung von Leistungsbauelementen vorantreiben und hier erfolgreich unser Know-how einbringen. So befasst sich die neue Division Industrial Power Control (IPC) vereinfacht gesagt mit allen Anwendungen, die hohe Ströme beherrschen müssen: von riesigen Generatoren bis zu kleinen Elektromotoren, Windkraft und Solarenergie. Da sind wir mit unseren IGBT-Bausteinen weltweit technologisch führend. Der zweite neue Geschäftsbereich, Power Management und Multimarket (PMM), bündelt das Geschäft mit Chips für energieeffiziente Stromversorgungen und Hochfrequenzanwendungen. Diese werden vor allem in Konsumgütern wie Fernsehern, Spielkonsolen, PCs, mobilen Endgeräten sowie in Computerservern eingesetzt.

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Bei Speichern und Prozessoren gilt das Mooresche Gesetz: Alle 18 Monate verdoppelt sich die Zahl der Transistoren. Was ist denn in der Leistungselektronik ein vergleichbarer Antriebsfaktor für neue Entwicklungen?

Ploss: In der Leistungshalbleiter-Technologie ist der Fortschritt weniger durch immer feinere Strukturen gekennzeichnet als vielmehr durch dreidimensionale Architekturen. Wir wollen künftig auch die unterschiedlichen physikalischen Effekte auf der vertikalen Ebene des Chips kontrollieren können, nicht nur horizontal. Damit können wir die Schaltgeschwindigkeit erhöhen und die Stromverluste pro cm2 Chipfläche reduzieren.

Dabei hilft zum Beispiel auch die Dünnscheibentechnik. Hier ist es inzwischen möglich, den Chip von der Vorder- und der Rückseite des Wafers her zu prozessieren und damit seine elektrischen Eigenschaften optimal zu gestalten. Das ist für jede unserer diskreten Leistungsarchitekturen, aber auch in vielen Leistungs-ICs der Schlüssel zu einer höheren Effizienz.

Es geht darum, die Energiedichte zu steigern, das heißt um Strom pro cm2, den wir schalten können. Dazu kommen weitere Anforderungen: Betrieb bei höheren Temperaturen, höhere Schaltgeschwindigkeiten und damit weniger Verluste und weniger Investitionen in passive Bauelemente. Und last but not least: die optimierte Ansteuerung der Leistungsbauelemente. Mit einer intelligenten, digitalen Ansteuerung, sind wir in der Lage, unsere Bausteine noch effizienter auszunutzen. Leistung will kontrolliert sein.

Wie lange lassen sich denn hier Fortschritte mit dem altbekannten Material Silizium erzielen? Was gibt es für Alternativen?

Ploss: Wir beherrschen das Silizium bereits ziemlich gut. Es gibt jedoch immer noch Verbesserungspotenzial in allen Silizium-basierten Leistungshalbleiter-Technologien wie Niedervolt- und Hochvolt-MOSFETs und IGBTs. Irgendwann stoßen wir aber an physikalische Grenzen. Daher werden künftig auch neue Materialien wie Silziumcarbid und Galliumnitrid zum Einsatz kommen. Als langjähriger, weltweit führender Anbieter von Leistungshalbleitern sind wir hier gut aufgestellt und auch in der Lage, unterschiedliche Entwicklungen parallel anzugehen und technologisch eine große Bandbreite abzudecken.

Wo sehen Sie in Zukunft die vielversprechendsten Märkte für Ihre Produkte?

Ploss: Mit unseren Produkten und Systemlösungen zielen wir auf drei Wachstumsfelder mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Relevanz: Energieeffizienz, Mobilität und Sicherheit. Nehmen Sie das Thema Energieeffizienz. Damit die Energiewende gelingt, muss elektrische Energie möglichst verlustfrei ins Netz gespeist und transportiert und der Verbrauch intelligent gesteuert werden. Das erfordert Smart Grids und Smart Meter. Und die funktionieren nur mit Leistungshalbleitern und ICs – ein enormer Wachstumsmarkt für uns in den kommenden Jahren.

Auch das Thema Sicherheit spielt in einer zunehmend vernetzten Welt eine immer wichtigere Rolle: Intelligente Stromnetze und Stromzähler sind vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Die Absicherung solch kritischer Infrastrukturen ist für uns ein wichtiger Wachstumsmarkt im Bereich Chipcard & Security.

In Asien wird vieles davon bestimmt schneller eingeführt werden. Dort entstehen viele neue Städte, die gleich mit moderner und energieeffizienter Infrastruktur ausgestattet werden. In Europa müssen bestehende Netze erneuert und Stromzähler ausgetauscht werden. Darüber hinaus müssen auf politischer Ebene schnellstmöglich Normen und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ein anderes großes Thema ist derzeit die Elektromobilität …

Ploss: Auch ein wichtiger Wachstumsmarkt. Hier kommt uns unsere langjährige Technologie- und Fertigungskompetenz für IGBTs zugute. Wir sind in einer sehr guten Position: Neben einem japanischen Anbieter sind wir derzeit der einzige bedeutende IGBT-Lieferant für Elektroautos. Wir arbeiten mit fast allen großen Herstellern zusammen, aber es verlässt sich kein Automobilhersteller nur auf einen Lieferanten.

Wie wichtig sind denn in der Leistungselektronik die eigene Fertigung und eigene Technologien? Oder kann man sich auch da auf Foundries verlassen?

Ploss: Für uns gilt folgender Grundsatz: Produkte, die sich über unser spezifisches Know-how in der Fertigung differenzieren, das heißt über die Chip- oder Gehäusetechnologie oder besondere Fertigungsverfahren, produzieren wir selbst. Produkte, die sich über andere Faktoren differenzieren, lassen wir fertigen. Das gilt zum Beispiel für alle CMOS-Produkte, also die hochintegrierten digitalen ICs.

Ein schönes Beispiel für innovative Fertigungstechnologie ist unsere erfolgreiche Entwicklung von 300-mm-Dünnwafern für Leistungshalbleiter. Kürzlich ist es unseren Ingenieuren gelungen, darauf die weltweit ersten Chips, das sogenannte „First Silicon“, zu produzieren. Sie weisen dasselbe Verhalten auf wie die bisher auf 200-mm-Wafern erstellten Leistungshalbleiter. Damit ist uns ein Quantensprung in der Fertigungstechnologie gelungen.

Sie sehen also im Bereich Leistungselektronik positiv in die Zukunft?

Ploss: Ja, denn hier gibt es noch viele spannende und anspruchsvolle Aufgaben. Für die Energiewende brauchen wir intelligente Leistungselektronik – in Windkraft- und Solaranlagen, bei der Elektromobilität und vielem mehr. Da bieten sich große Chancen, denn international sind deutsche Unternehmen bereits sehr erfolgreich unterwegs im Bereich Umwelttechnik und Industrietechnik. Ich bin da sehr zuversichtlich für die Zukunft. Was noch fehlt, ist eine größere Technikbegeisterung in unserer Gesellschaft. Themen wie Energiesparen, Elektroautos und umweltfreundliche Technologien sind spannend für junge Leute. Diese Begeisterung muss man aufgreifen und in die richtige Richtung lenken.

Ein Beitrag von:

  • Jens D. Billerbeck

    Jens D. Billerbeck

    Leiter Content Management im VDI Verlag. Studierte Elektrotechnik in Duisburg und arbeitet seit seiner Schulzeit jounalistisch. Nach Volontariat und Studienabschluss Redakteur der VDI nachrichten u. a. für Mikroelektronik, Hard- und Software, digitale Medien und mehr.

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