Höchstes 3D-Druck-Gebäude der Welt: Der Weiße Turm von Mulegns
Der Weiße Turm bei Mulegns ist das höchste 3D-gedruckte Gebäude der Welt – ein Projekt zwischen digitaler Baukunst und alpiner Identität.

Höchstes 3D-Druck-Bauwerk der Welt: Der Weiße Turm von Mulegns ist Forschungsprojekt und Kunstwerk.
Foto: picture alliance/KEYSTONE/Gian Ehrenzeller
Mulegns liegt am Julierpass in der Schweiz. Heute leben dort nur noch elf Menschen. Doch seit Mai 2025 richtet sich der Blick von Architektur- und Technikinteressierten weltweit auf diesen abgelegenen Ort. Der Grund: der sogenannte „Tor Alva“, ein rund 30 Meter hoher weißer Turm – gedruckt aus Beton. Es ist das höchste 3D-gedruckte Bauwerk weltweit.
Das Projekt ist ein Gemeinschaftswerk der ETH Zürich und der Kulturstiftung Origen. Letztere will mit dem Bau kulturelle Impulse setzen und das Dorf aus seiner Isolation holen. Der Turm steht zunächst für fünf Jahre und soll dann demontiert und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden.
Inhaltsverzeichnis
Mehr als ein Symbol – ein Forschungsturm
Technisch betrachtet ist der Weiße Turm ein Pilotprojekt. Ziel war es, das Potenzial digitaler Fertigung für den Bau zu erforschen. Der architektonische Entwurf stammt von Michael Hansmeyer. Verantwortlich für die Umsetzung war das Team um ETH-Professor Benjamin Dillenburger vom Lehrstuhl für Digitale Bautechnologien.
Er sieht im robotergestützten Bauen eine Chance für die Bauindustrie. Die Roboter druckten insgesamt 2500 Schichten Beton und verarbeiteten dabei rund 250 km an Betonstrukturen. Die ornamentale Gestaltung wurde nicht manuell entworfen, sondern mithilfe von Algorithmen generiert. Ornament und Tragstruktur sind identisch – ein zentraler Aspekt digitaler Baukunst.
Betonrezeptur für höchste Anforderungen
Eine besondere Herausforderung lag in der Materialentwicklung. Der Beton musste weich genug sein, um komplexe Strukturen zu modellieren, aber zugleich schnell erhärten, damit die Form bestehen bleibt. ETH-Professor Robert J. Flatt entwickelte dafür eine spezielle Mischung. Kurz vor dem Druck mischen sich zwei Additive hinzu, die dem Turm sein tropfenartiges Relief verleihen.
Auch die Bewehrung – also die Verstärkung des Betons – wurde neu gedacht. Bislang war es kaum möglich, tragende 3D-Betonelemente zu fertigen. In Mulegns kamen zwei Roboter parallel zum Einsatz: Einer druckte den Beton, der andere setzte ringförmige Armierungselemente ein. Ergänzend wurden vertikale Bewehrungsstäbe integriert.
Produktion im Hochgebirge
Die rund 32 gedruckten Säulen entstanden in einer temporären Feldfabrik in Savognin. Anschließend wurden sie per Schwertransport nach Mulegns gebracht. Dort ersetzte der Turm eine alte Garage und steht heute auf einem statisch verstärkten Fundament.
Die ETH legte großen Wert darauf, das Projekt sichtbar zu machen. Deshalb entstand der Turm nicht an einem abgeschotteten Ort, sondern dort, wo er gebaut wird: am Julierpass.

3D-Druck ermöglicht kunstvolle und filigrane Bauwerke aus Beton.
Foto: picture alliance / Cover Images/Benjamin Hofer and Birdviewpicture/Nova Fundaziun Origen
Digital entwerfen, robotisch fertigen
Das eingesetzte Fertigungsverfahren ist ein Extrusionsdruck. Das bedeutet, dass der Beton lagenweise ohne Schalung aufgetragen wird. Gedruckt wurde mit einem Roboterarm, der auf einer Schiene montiert ist und Bauteile bis zu 10 m Länge herstellen kann.
Anders als bei anderen Projekten – etwa dem gedruckten Wohnhaus in Beckum – ist hier kein starrer Druckrahmen notwendig. Das bringt mehr Flexibilität beim Design. Zudem ermöglicht eine kleinere Düse feinere Strukturen. Die ETH erreichte so eine Auflösung von bis zu 5 mm je Schicht.
Architektur mit Geschichte
Der Turm erinnert gestalterisch an eine kunstvolle Torte – eine Anspielung auf die Emigrationsgeschichte der Bündner Zuckerbäcker, die aus dieser Region stammen. Seine Form öffnet sich nach oben, wird filigraner und endet in einer Kuppel. Diese setzt sich aus mehreren sphärischen Segmenten zusammen, die ebenfalls gedruckt und ohne Schalung montiert wurden.
Der Innenraum des sechsgeschossigen Baus ist als Veranstaltungsort konzipiert. Eine Aussichtsterrasse gibt es nicht – den besten Blick bietet der obere Saal selbst. Ein Aufzug ist aufgrund der beengten Platzverhältnisse nicht vorgesehen, alternative Lösungen zur Barrierefreiheit werden geprüft.
Thermisch und logistisch durchdacht
Trotz seiner offenen Säulenstruktur muss der Turm den klimatischen Bedingungen in 1500 m Höhe standhalten. In den oberen Etagen sorgt eine durchgehende Verglasung für Wärmeschutz. Unten wurde eine doppelschalige Wandstruktur gedruckt und mit Dämmmaterial verfüllt.
Langfristig forscht die ETH an Beton mit verbesserten Dämmeigenschaften – für Mulegns kamen diese Lösungen aber zu spät. Auch die Frage, ob künftig Treppen und andere Bauteile mitgedruckt werden, hängt vom weiteren Projektverlauf ab.
Nicht alle können sich mit dem Turm anfreunden
Das Projekt war nicht unumstritten. Einige Anwohnende empfanden den Turm als fremd. Die Mehrheit in der Gemeinde Surses unterstützte jedoch das Vorhaben. Die notwendige Zonenänderung wurde genehmigt, und die Stiftung Origen wurde von Behörden und Spenderinnen sowie Spendern getragen.
4,4 Mio. Franken betrugen die Baukosten. Die Stiftung sucht weiterhin Unterstützung, um die letzten 500.000 Franken zu decken.
Der Weiße Turm als Bau-Zukunft
Das Bauwerk ist mehr als ein kulturelles Symbol. Es zeigt, welche Möglichkeiten der digitale Betonbau bietet – von der Materialentwicklung über die Algorithmik bis zur robotischen Fertigung.
ETH-Präsident Joël Mesot bringt es auf den Punkt: „Der Turm vereint neuestes Wissen aus der Forschung mit dem Know-how von Firmen und Fachleuten.“
Ein Beitrag von: