Vorgespannte Carbonbeton-Brücke feiert Deutschland-Premiere
Erstmals wurde in Deutschland eine Brücke aus vorgespanntem Carbonbeton gebaut. Ist das die Lösung, um unsere maroden Brücken auf Vordermann zu bringen?

Die Brücke aus vorgespanntem Carbonbeton ist dank Modulbauweise schnell errichtet, außerdem sehr leicht, wiederverwendbar und nicht korrosionsgefährdet.
Foto: Sascha Stüber
Brücken prägen unsere Infrastruktur – doch viele davon sind sanierungsbedürftig. Rostende Stahlbewehrungen, Spannungsrisskorrosion und aufwendige Instandhaltungen stellen die Bauämter vor große Herausforderungen. In Oldenburg geht man nun einen neuen Weg: Die Stadt setzt auf Carbonbeton – genauer gesagt auf vorgespannten Carbonbeton, kurz CPC.
Die Geh- und Radwegbrücke im Stadtteil Drielake ist ein erster Prototyp und wurde erstmals in Deutschland auf diese Weise gebaut. Sie basiert auf einem Konzept, das klassische Stahlbewehrungen durch vorgespannte Carbonfasern ersetzt. Das Ziel: langlebigere Bauwerke mit geringerem Materialeinsatz und reduziertem CO₂-Ausstoß.
Inhaltsverzeichnis
Was ist CPC – und was macht ihn besonders?
CPC steht für „Carbon Prestressed Concrete“ – eine Kombination aus Beton und vorgespannten Kohlenstofffasern. Anders als bei Stahlbeton ersetzt Carbon die klassische Stahlbewehrung. Das Material ist leichter, korrosionsbeständig und extrem zugfest. Die Vorspannung bringt zusätzliche Tragfähigkeit und sorgt dafür, dass sich die dünnen Betonelemente unter Belastung nicht verformen.
Die Brücke in Oldenburg ist nur sieben Zentimeter dick, wiegt insgesamt rund sieben Tonnen und wurde vollständig ohne Stahl gefertigt. Stattdessen sind im Inneren dünne, vorgespannte Carbonlitzen eingebettet. Diese wurden in einem Betonfertigteilwerk in Essen (Oldenburg) verarbeitet. Nach dem CNC-gesteuerten Zuschnitt der Formstücke konnte die Brücke innerhalb weniger Wochen vor Ort montiert werden.
Der Einsatz von CPC bringt gleich mehrere Vorteile:
- Ressourcenschonung: Die Platten sind bis zu 80 % dünner als herkömmlicher Stahlbeton.
- Korrosionsfreiheit: Carbon rostet nicht, auch bei Feuchtigkeit.
- Hohe Lebensdauer: Brücken mit CPC können 100 Jahre oder länger halten.
- Reduzierter CO₂-Fußabdruck: CPC lässt sich recyceln und verursacht bis zu 75 % weniger Emissionen.
Doch der größte Vorteil liegt in der Sicherheit: Da kein Stahl vorhanden ist, entfällt das Risiko der Spannungsrisskorrosion – ein Problem, das viele Spannbetonbrücken älterer Bauart betrifft.
„Innovative und nachhaltige Lösungen wie CPC sind entscheidend für eine nachhaltigere und ressourceneffizientere Zukunft der Baubranche“, sagt Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland. „Ihnen kommt damit eine Schlüsselrolle zu, die notwendige zügige Sanierung der Infrastruktur in Deutschland im Einklang mit umfassendem Klimaschutz zu gestalten. Das Projekt der Stadt Oldenburg und Holcim Deutschland zeigt eindrucksvoll, wie die öffentliche Hand und die Bauwirtschaft diesen Weg gemeinsam beschreiten.“
Wie funktioniert Spannbeton?
Um den Unterschied zu CPC zu verstehen, lohnt ein Blick auf die klassische Spannbetonbauweise. Spannbeton ist eine spezielle Form des Stahlbetons. Dabei werden Stahldrähte oder -litzen im Beton vorgespannt. Das heißt: Sie werden unter Zugspannung gesetzt und dann mit dem Beton vergossen oder verankert. Beim Aushärten bleibt die Spannung im System erhalten.
Diese Vorspannung wirkt wie eine innere Gegenkraft. Sie ermöglicht es dem Beton, hohe Zugkräfte aufzunehmen, die er allein nicht bewältigen könnte. Der Vorteil: Tragfähige, große Bauteile mit vergleichsweise geringem Materialeinsatz. Genau deshalb wird Spannbeton bei Brücken, Parkhäusern oder Staudämmen eingesetzt.
Es gibt zwei Methoden:
- Vorspannung mit Verbund (nachträgliches Spannen): Die Spannglieder werden nach dem Betonieren durch Hüllrohre geführt und dann gespannt.
- Vorspannung ohne Verbund (Vorspannen vor dem Betonieren): Die Litzen werden auf einem Spannbett gestreckt, der Beton wird darüber gegossen, danach werden die Enden gelöst – die Spannung bleibt im Bauteil.
Stahlbeton vs. Spannbeton: Der Unterschied
Der Hauptunterschied liegt in der Spannung der Bewehrung. Beim Stahlbeton liegt die Bewehrung lose im Beton. Erst wenn das Bauteil belastet wird, kommt sie zum Einsatz. Sie fängt die entstehenden Zugkräfte auf. Der Beton übernimmt die Druckkräfte.
Beim Spannbeton hingegen werden die Zugkräfte schon vor dem ersten Lastfall berücksichtigt. Die Bewehrung ist bereits vorgespannt. Dadurch entstehen im Beton gezielt Druckspannungen, die den späteren Zugbeanspruchungen entgegenwirken. Das Bauteil wird steifer, tragfähiger und verformt sich weniger.
Doch: Die verwendeten Stähle sind empfindlich gegenüber Korrosion – vor allem bei Feuchtigkeit und Wasserstoffeinfluss.
Die Schattenseite des Spannbetons: Spannungsrisskorrosion
Spannbeton galt lange als robust. Doch inzwischen zeigt sich: Viele Spannstähle aus den 1960er- und 70er-Jahren sind anfällig für sogenannte wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion (SpRK). Dabei dringt Feuchtigkeit in kleinste Risse ein, Wasserstoff entsteht und schwächt die Stahlstruktur. Die Folge: Spannstähle reißen ohne Vorwarnung.
2024 stürzte in Dresden die Carolabrücke ein – ein tragisches Beispiel für genau diesen Effekt. Prof. Steffen Marx von der TU Dresden erklärt: „Die Ermittlungen ergaben als Grund für das Unglück eine sogenannte wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion. Sie führte in Verbindung mit der Materialermüdung durch die verkehrliche Beanspruchung zu einem Versagen zahlreicher Spannglieder.“
In Sachsen stehen aktuell 19 Brücken ähnlicher Bauart unter Beobachtung. Doch auch in Westdeutschland wurde dieselbe Spannstahl-Technologie verbaut. Hunderte Bauwerke sind betroffen – mit unklarem Sicherheitsstatus.
Lesen dazu auch: Einsturz der Carolabrücke: Zu den Ursachen und ihren Folgen
Carbonbeton als Alternative?
Vor diesem Hintergrund rückt CPC in den Fokus. Die Carbonlitzen im Beton sind unempfindlich gegenüber Wasserstoff, Sauerstoff und Korrosion. Sie benötigen keine dicken Betondeckungen, was Gewicht spart. Und weil Carbon eine höhere Zugfestigkeit als Stahl aufweist, kann die Konstruktion deutlich schlanker ausfallen.
Zudem lässt sich CPC leicht vorfertigen. Das reduziert die Bauzeit – und ermöglicht eine bessere Planung bei Sanierungen. Die Brücke in Oldenburg ist ein Pilotprojekt. Doch sie zeigt: Es geht auch anders. Mit weniger CO₂, weniger Aufwand und weniger Risiko.
Stadtbaurätin Christine-Petra Schacht sieht dieses Projekt mit großem Interesse: „Wir freuen uns, dass diese besondere Brücke bei uns in Oldenburg steht. Die leichtere Bauweise fügt sich gut in die ökologischen und nachhaltigen Ziele ein, die sich die Stadt Oldenburg mit dem Klimaschutzkonzept 2035 gesetzt hat. Durch den deutlich geringeren Materialeinsatz gehen wir Schritt für Schritt in diese Richtung weiter“, sagt sie.
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