KI hilft, Mensch am Abzug: Deutsche Kamikazedrohne schießt scharf
Stark Defence will tausende Kamikazedrohnen für die Bundeswehr liefern. Was hinter dem Projekt steckt – und wie KI die Kriegsführung verändert.
Mitarbeiter der Firma Stark Defence, die nicht erkannt werden möchten, demonstrieren in einem Waldstück in der Nähe des Sprengplatzes in Bayern den Aufbau ihrer Drohnenwaffe «Virtus».
Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Die Bundeswehr steht vor einem Technologiesprung, der lange diskutiert wurde, nun aber konkret wird. Kamikazedrohnen, offiziell als „Loitering Munition“ bezeichnet, sollen künftig eine feste Rolle in der deutschen Verteidigung spielen.
Im Zentrum steht dabei ein Berliner Unternehmen, das in kurzer Zeit vom Start-up zum ernsthaften Rüstungsanbieter aufgestiegen ist: Stark Defence. Was dabei auffällt: Die Systeme setzen zwar auf künstliche Intelligenz (KI), ziehen aber eine klare Grenze. Die Entscheidung über Leben und Tod soll weiterhin beim Menschen liegen. In Bayern wurde nun ein erster scharfer Schuss abgegeben.
Inhaltsverzeichnis
- Ein Waffentyp verändert die Gefechtsführung
- Virtus: Ein System mit Ukraine-Erfahrung
- KI an Bord, Verantwortung beim Menschen
- Abschreckung durch Masse statt Einzelwaffen
- Der scharfe Schuss in Bayern
- Produktion in neuen Dimensionen
- Konkurrenz belebt das Geschäft
- Drohnenschwärme im Testbetrieb
- Neue Einheiten für eine neue Waffe
- Abwehr rückt in den Fokus
Ein Waffentyp verändert die Gefechtsführung
Kamikazedrohnen sind keine neue Erfindung. Neu ist jedoch ihre Verbreitung und ihr taktischer Stellenwert. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie stark diese Waffen klassische Gefechtsfelder verändern. Kleine, günstige Fluggeräte ersetzen dort zunehmend teure Lenkwaffen oder bemannte Systeme.
Die Technik dahinter ist vergleichsweise simpel: Eine Drohne startet, kreist über einem Gebiet und wartet. Erst wenn ein Ziel identifiziert ist und der Befehl kommt, greift sie an. Anders als Marschflugkörper kann sie abbrechen, neu ansetzen oder das Ziel wechseln. Das spart Kosten und erhöht die Flexibilität.
Nach Einschätzung westlicher Militärs gehen in der Ukraine inzwischen große Teile der bestätigten Abschüsse auf das Konto solcher Systeme. Der Grund liegt auf der Hand. Sie sind schwer zu orten, schnell einsatzbereit und in großer Stückzahl verfügbar.
Virtus: Ein System mit Ukraine-Erfahrung
Das Modell, das aktuell im Fokus der Bundeswehr steht, trägt den Namen Virtus. Entwickelt wurde es von Stark Defence gemeinsam mit den ukrainischen Streitkräften. Der Einsatz unter realen Gefechtsbedingungen floss direkt in die Weiterentwicklung ein.
Virtus bleibt laut Hersteller mehr als eine Stunde in der Luft. Die Reichweite liegt bei rund 100 Kilometern. Die Geschwindigkeit kann bis zu 250 km/h erreichen. Der Gefechtskopf bringt etwa fünf Kilogramm auf die Waage. Das reicht, um gepanzerte Ziele ernsthaft zu beschädigen oder außer Gefecht zu setzen.
Die Bundeswehr testet das System derzeit intensiv. Dabei geht es nicht nur um Flugleistungen oder Reichweite. Entscheidend ist auch die Frage, wie sich die Drohne in bestehende Führungs- und Kommunikationssysteme einfügt.
KI an Bord, Verantwortung beim Menschen
Ein zentrales Merkmal von Virtus ist der Einsatz von KI. Die Software hilft bei der Navigation, wertet Sensordaten aus und unterstützt bei der Zielerkennung. Die finale Entscheidung trifft jedoch weiterhin ein Mensch. Stark Defence betont diesen Punkt immer wieder. Der Angriff erfolgt erst nach einem expliziten Befehl. Vollautonome Waffensysteme, die selbstständig töten, sollen es nicht sein.
Firmenchef Uwe Horstmann formuliert das Ziel: „Der Bediener gibt den finalen Befehl zum Angriff.“ Das ist nicht nur eine technische Festlegung. Es ist auch ein politisches Signal. Deutschland bewegt sich damit innerhalb der NATO-Linie, die autonome Waffensysteme ohne menschliche Kontrolle kritisch sieht.
Abschreckung durch Masse statt Einzelwaffen
Horstmann denkt jedoch deutlich größer als in Stückzahlen von einigen Hundert Systemen. Sein Plan ist eine industrielle Skalierung. „Innerhalb eines Jahres können wir tausende komplett zertifizierte Systeme mit Gefechtskopf liefern. Die Ambition ist, zehntausende Systeme zu liefern“, sagte er bereits im Herbst.
Der Gedanke dahinter ist strategisch. Abschreckung entsteht nicht mehr nur durch wenige, sehr teure Plattformen. Sie entsteht zunehmend durch Masse. Wer weiß, dass ein Gegner im Ernstfall auf zehntausende Drohnen zurückgreifen kann, kalkuliert anders.
Horstmann erläutert: „Ziel für Deutschland und die Nato ist eine wirksame Abschreckung und ein Beitrag, dass Deutschland hoffentlich nie in eine Kriegssituation kommt.“
Der scharfe Schuss in Bayern
Wie ernst es Stark Defence mit der Einsatzreife meint, zeigte sich kurz vor Weihnachten auf einem Sprengplatz in Bayern. Dort testeten Stark Defence und der Gefechtskopf-Spezialist TDW erstmals scharfe Gefechtsköpfe für Virtus unter deutschen Bedingungen.
TDW gehört zum Rüstungskonzern MBDA und gilt als Spezialist für Wirksysteme. Der Test sollte vor allem eines klären: Reicht die Durchschlagskraft aus?
Nach Angaben der beteiligten Unternehmen durchdrang der Gefechtskopf mehr als 800 mm Panzerstahl. TDW-Geschäftsführer Andreas Seitz ordnet das Ergebnis ein: „Was wir da gesehen haben, wird auch für die Bundeswehr von massiver Bedeutung sein, weil das die Waffen sein werden, die eben in Masse dann auch zum Einsatz kommen würden im Bündnis- und Verteidigungsfall.“
Produktion in neuen Dimensionen
Mit dem erfolgreichen Test rückt die industrielle Frage in den Vordergrund. TDW bereitet sich darauf vor, die Produktion massiv hochzufahren. Seitz spricht offen über die Dimensionen:
„Wir stellen uns jetzt darauf ein, dass wir viele tausend Stück herstellen können im Jahr.“
Langfristig denkt das Unternehmen sogar in Zehntausenden oder Hunderttausenden Gefechtsköpfen. Voraussetzung dafür sind standardisierte Formate. Ziel ist ein einheitlicher NATO-Standard, der unterschiedliche nationale Lösungen ersetzt.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Stark Defence ist nicht allein im Rennen. Auch andere Anbieter wollen die Bundeswehr beliefern. Dazu zählen das KI-Unternehmen Helsing und der Rüstungskonzern Rheinmetall.
Die Bundeswehr setzt bewusst auf Wettbewerb. Verschiedene Systeme werden parallel getestet. Die Truppe warnt jedoch davor, aus ersten Ergebnissen vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Die Anforderungen sind hoch, die Einsatzszenarien komplex.
Drohnenschwärme im Testbetrieb
Wie komplex diese Szenarien sind, zeigte ein Versuch auf dem Truppenübungsplatz Altmark in Sachsen-Anhalt. Dort testete die Bundeswehr einen sogenannten Aufklärungs- und Wirkungsverbund.
Mehrere Aufklärungsdrohnen, Kamikazedrohnen unterschiedlicher Hersteller und eine KI-gestützte Führungssoftware arbeiteten zusammen. Gesteuert wurde alles über ein zentrales Kommando- und Kontrollsystem der Bundeswehr.
Das Ergebnis bewertete die Truppe als Erfolg. Die Drohnen flogen ohne Sprengkopf und zerschellten im Ziel. Dennoch sprach die Bundeswehr von einem „wichtigen Meilenstein für die Gefechtsführung der Zukunft“.
Neue Einheiten für eine neue Waffe
Die organisatorischen Folgen sind bereits absehbar. Der Inspekteur des Heeres, Christian Freuding, plant eigene Einheiten für den Einsatz von Kamikazedrohnen. „Wir haben Testungen begonnen, im fairen Wettbewerb, und wollen bis 2027 die erste Batterie mittlerer Reichweite einsatzbereit machen; bis 2029 fünf weitere“, sagte Freuding im November. Eine Batterie entspricht in etwa der Stärke einer Kompanie.
Parallel arbeitet Stark Defence an einer umfassenden Systemarchitektur. Das Missionsführungssystem „Minerva“ soll künftig Luft-, Boden- und Seesysteme miteinander verbinden.
Auf einer NATO-Übung in Portugal präsentierte das Unternehmen unbemannte Boote aus der Vanta-Familie, die sich mit Minerva koppeln lassen. Denkbar sind Einsätze, bei denen Drohnen Ziele aufklären, Boote Positionen sichern und Bodensysteme angreifen – koordiniert über eine gemeinsame Software.
Abwehr rückt in den Fokus
Mit der Verbreitung von Kamikazedrohnen wächst auch der Bedarf an Abwehrsystemen. Stark Defence arbeitet nach eigenen Angaben ebenfalls an Lösungen zur Drohnenabwehr.
Horstmann beschreibt das Spektrum so: „Vom privaten Drohnenüberflug bis zur anfliegenden Shahed-Alternative.“ Und er ergänzt: „Ich glaube nicht, dass es rein mit Störung gehen wird, sondern ich glaube, es wird auch mit kinetischer Bekämpfung funktionieren müssen.“
(mit Material der dpa)
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