Emmy Noether steckt in jeder mathematischen Anwendung
Emmy Noether – der Name sagt den meisten nichts. Dabei war sie ein Genie. Sie hatte es in der Männerwelt – wie so viele gute Frauen – nur sehr schwer. Im April vor 90 Jahren starb sie im Exil in den USA.

Emmy Noether erhielt nach Schwierigkeiten im dritten Anlauf 1919 die Habilitationserlaubnis. Eine Professur bekam sie trotzdem nicht, nur einen gering dotierten Lehrauftrag.
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Es sei unbegreiflich, dass Emmy Noethers Genialität bis in die 1990er-Jahre meist negiert wurde, wundert sich Stefan Müller-Stach, Professor an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. „Ihre Bedeutung wird erst heute in angemessener Weise wahrgenommen.“ Dabei sei sie auf gleicher Höhe wie David Hilbert und Hermann Weyl gewesen. Sie leistete höchst relevante und zukunftsweisende Beiträge zu den Grundprinzipien der Physik, der Quantenmechanik und der Algebra. Man müsse sich im Nachhinein bei ihr entschuldigen, meint Müller-Stach.
Als Emmy Noether am 23. 3. 1882 zur Welt kam, hatte sie das Pech, in eine Gesellschaft hineingeboren zu werden, die Frauen immer noch ungeeignet für die Wissenschaft hielt. In weiten Teilen Deutschlands waren Frauen von Gymnasien und Universitäten ausgeschlossen. Ihr Vater, der Erlangener Mathematikprofessor Max Noether, förderte sie jedoch wie ihre drei jüngeren Brüder. Emmy Noether konnte nur auf Umwegen an die Universität: Mit 15 schrieb sie sich ins Lehrerseminar ein, mit 18 legte sie 1903 die Prüfung ab und hatte damit eine Eintrittskarte als Gasthörerin.
Emmy Noether musste unentgeltlich arbeiten
Als 1903 auch Mädchen in Bayern Abitur machen durften, bereitete sie sich mit Bruder Fritz vor – und beide bestanden im gleichen Jahr das Abitur. Nur vier Jahre später, 1907, promovierte sie bei Paul Gordan „Über die Bildung der Formensysteme der ternären biquadratischen Form“ mit summa cum laude. Dennoch war sie nur geduldet, bekam keine Stelle, arbeitete unentgeltlich an der Universität und vertrat ihren kranken Vater.
Ihre Veröffentlichungen in mathematischen Journalen und Vorträge bei der Deutschen Mathematiker-Vereinigung erweckten das Interesse der bekannten Mathematik-Professoren David Hilbert und Felix Klein und sie erwirkten 1915 einen Ruf für Emmy Noether nach Göttingen, dem damals weltweiten Zentrum der mathematischen Forschung, natürlich wieder ohne Bezahlung.

Die Erkenntnisse von Emmy Noether bilden die Basis für die moderne Mathematik. Die Mathematikerin erhielt erst spät Anerkennung für ihre Leistung.
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Dennoch stürzte sie sich mit Feuereifer in neue mathematische Forschung, wie die Relativitätstheorie. Hilbert und Klein ermutigten sie 1915 zu einem Habilitationsgesuch, das abgelehnt wurde. Klein schalt seine akademischen Kollegen: „Es ist ein Vorurteil, dass das Weib einer geistigen Arbeit nicht gewachsen sei und wissenschaftlich nicht produktiv sein könne.“ Doch die Herren der Universität taten sich schwer.
Derweil veröffentliche Noether weiter und erhielt 1919, im dritten Anlauf, endlich die Habilitationserlaubnis. Eine Professur bekam sie trotzdem nicht, nur einen gering dotierten Lehrauftrag. Emmy Noether lebte weiter in einer kleinen Dachmansarde und ernährte sich hauptsächlich von Pudding. Lediglich die kleine Erbschaft ihres 1921 verstorbenen Vaters sicherte die prekäre Existenz.
Ihr Lebensinhalt war die Mathematik. Gänzlich uneitel und herzensgut sei sie gewesen, berichten ihre Schüler, die als Noether-Knaben in die Geschichte der Mathematik eingingen, obwohl auch einige Frauen darunter waren. Im Eifer des Vortrags lösten sich oft ihre Haare und die sackartigen Kleider verrutschten, doch sie entwickelte davon unbeeindruckt ihre Inhalte. „Sie dozierte spontan, ohne vorgefertigtes Konzept“, erklärt Müller-Stach. „Im Gegensatz zu Hilpert, der sich oft verstrickte und verwirrt den Faden verlor.“ Das gab es bei Emmy Noether nie, sie ging mit einer Problemstellung in die Vorlesung und entwickelte die Lösung im Diskurs.
1933 wurde ihr als Jüdin von den Nazis die Lehrerlaubnis entzogen. Doch sie verlegte kurzerhand ihre Vorlesungen in die Natur oder in ihre Dachstube, wo neben geistiger Nahrung auch riesige Puddingschüsseln warteten. Im Herbst 1933 floh sie aus Deutschland nach Pennsylvania, USA, wo sie als Gastdozentin am Bryn Mawr College ihre erste voll bezahlte Stelle einnahm, zusätzlich zu Vorlesungen am Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, an dem auch Einstein und Weyl lehrten.
Erst in den 1960er-Jahren wurden ihr Werk und ihre Person wieder entdeckt
Doch lange konnte sie die späte Anerkennung nicht genießen: Am 14. April 1935 starb sie an den Folgen einer Krebsoperation. Die Welt hatte ein mathematisches Genie verloren. Albert Einstein würdigte Noether „als das bedeutendste schöpferische mathematische Talent“ und Hermann Weyl ehrte sie bei der Beerdigung auf dem Campus des Bryn Mawr Colleges mit den Worten: „Die Algebra hat ein anderes Gesicht bekommen durch dein Werk.“
Dennoch geriet sie in Vergessenheit. Erst in den 1960er-Jahren entdeckte der amerikanische Pionier der Teilchenphysik, Murray Gell-Mann, das Noether-Theorem von 1918 und stellte fest, wie ihr Biograf Lars Jaeger schreibt, dass sich damit „grundlegende Eigenschaften der Strukturen in der Quantenphysik beschreiben lassen“.
Heute, so der Mainzer Mathematiker Müller Stach, sei klar, dass sie die Basis gelegt hat. „Man kann mit Fug und Recht sagen, das Emmy Noether in jeder mathematischen Anwendung steckt, ob Quantenmechanik, Spin-Theorie oder den Standardmodellen der Teilchenphysik.“ Beim Festplattenbau, bei der Tumorbehandlung durch Bestrahlung, überall wo mathematische Gruppen eine Rolle spielen, käme, so Müller-Stach, „Emmy Noether durch die Hintertüre.“ Sie wird heute nicht umsonst „Mutter der modernen Algebra“ genannt. Als späte Wiedergutmachung der wissenschaftlichen Welt sind heute zahlreiche Förderpreise für junge Wissenschaftlerinnen nach ihr benannt.
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