Recht auf Unerreichbarkeit im Urlaub: Muss ich ans Telefon gehen?
Abends schnell eine Nachricht schreiben, im Urlaub die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter anrufen, weil eine Frage aufgetaucht ist. Moderne Kommunikationsmittel machen es möglich, dass wir im Arbeitsleben ständig erreichbar sind. Notwendig ist das meistens nicht und gesetzlich gilt: Eine ständige Erreichbarkeit ist kein Muss.
Smartphone, Notebook und Co. machen nicht nur ein mobiles Arbeiten möglich, sondern sorgen auch für eine ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieses Phänomen hat in den letzten Jahren durchaus weiter zugenommen. Die Corona-Pandemie und die lange Zeit im Homeoffice für zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben diesen Zustand eher noch verstärkt. Schon vor etlichen Jahren reagierten große Unternehmen darauf und die Betriebsräte setzten dort entsprechende Regelungen durch: Sie entlasten die Mitarbeitenden, da diese eben nicht unbedingt ständig erreichbar sein müssen. Schließlich können Sie Ihren Feierabend, Ihre Freizeit an den Wochenenden sowie Ihren Urlaub völlig frei gestalten.
Ihre Arbeitszeiten sind durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelt. Es sieht eine tägliche Arbeitszeit von in der Regel acht bis maximal 10 Stunden vor. Danach gilt es, eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden einzuhalten. Hinzu kommt, dass Kontakte und Tätigkeiten außerhalb der festgelegten Arbeitszeiten grundsätzlich als Arbeitszeit zu bewerten sind. Etwas anders verhält es sich, wenn zu Ihrer Arbeit auch eine Rufbereitschaft gehört. Sie ist klar als ständige Erreichbarkeit definiert.
Im Urlaub immer häufiger für Job erreichbar
Gemäß einer aktuellen Umfrage von YouGov im Auftrag des Technologieunternehmens Slack gaben 37 Prozent der Büroangestellten, die einen Sommerurlaub machen, an, während dieser Zeit für ihren Arbeitgeber erreichbar zu sein. Dies entspricht einem Anstieg um 6 Prozentpunkte im Vergleich zu einer ähnlichen Umfrage vor einem Jahr.
Interessanterweise ist der häufigste Grund für die Erreichbarkeit nicht die Erwartungshaltung des Vorgesetzten, sondern der eigene Antrieb. 80 Prozent der Befragten, die erreichbar waren, nannten dies als Grund für ihr Verhalten. Danach folgten wichtige Aufgaben und Projekte mit 76 Prozent, erst danach kam die Erwartungshaltung des Arbeitgebers.
Unter den Erreichbaren sind 28 Prozent jeden Tag ihres Urlaubs für Vorgesetzte und Kollegen erreichbar, während weitere 12 Prozent an mehr als sieben Tagen erreichbar sind. Die eigene E-Mail wird von den Erreichbaren sogar noch häufiger überprüft: 73 Prozent tun dies mindestens täglich. Selbst von denen, die behaupten, nicht erreichbar zu sein, schalten nicht alle komplett ab: Hier überprüfen 16 Prozent noch mindestens täglich ihre dienstlichen E-Mails. „Eigentlich ist die Sache von der rechtlichen Seite her sehr einfach und klar: Urlaub ist arbeitsfrei“, sagte der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Alexander Bredereck gegenüber der dpa. „Ich bin nicht verpflichtet, im Urlaub irgendwelche Tätigkeiten zu verrichten, eine Telefonnummer zu hinterlassen, unter der ich erreichbar bin, oder meine Mails zu checken.“ Das gelte auch für Führungskräfte.
Gewerkschaftsbund (DGB) sieht es kritisch
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußert Kritik gegenüber der ständigen Erreichbarkeit. „Menschen sind keine Maschinen, alle brauchen Ruhezeiten“, kommentierte Vorstandsmitglied Anja Piel. Dabei betonte sie, dass Mitarbeiter, die ihre Auszeiten zur Erholung nutzen, sowohl gesünder als auch leistungsfähiger sind. Ständige Erreichbarkeit kann krank machen. Das könnte sich in Erschöpfung, Schlafstörungen und im schlimmsten Fall sogar Herz-Kreislauferkrankungen äußern. Trotzdem existieren in zahlreichen Unternehmen inoffizielle Regeln bezüglich der Erreichbarkeit während Auszeiten. „Manche Beschäftigte geben dem Druck nach, im Urlaub und in der Freizeit zu arbeiten“, zitiert die dpa ihre Worte. Dabei betonte Piel: „Besser als ungeregelter Druck sind Betriebsvereinbarungen, die Erreichbarkeit in der Freizeit klar und unmissverständlich für alle regeln.“
Bin ich verpflichtet, ans Telefon zu gehen, wenn ich frei habe?
Diese Frage lässt sich weder grundsätzlich mit ja noch mit nein beantworten, denn es kommt auf die Situation an. Es gibt zum Beispiel sogenannte zwingende Notwendigkeiten, die eine Arbeitgeberin oder einen Arbeitgeber dazu veranlassen können, Sie während Ihrer Freizeit zu kontaktieren. Diese Situation ist allerdings sehr eng gefasst, es darf kein anderer Ausweg möglich sein und es muss eine Art Existenzbedrohung der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers beziehungsweise des Unternehmens vorliegen, bei der nur Sie allein helfen können. Damit besteht in diesem speziellen Fall durchaus ein Recht auf Erreichbarkeit in der Freizeit.
Einen ähnlichen Fall gibt es auch, wenn Sie zum Beispiel krankgeschrieben sind: In der Firma entsteht eine Notsituation. Nur Ihr Wissen und die Informationen, über die Sie verfügen, stellen die einzige Möglichkeit dar, diese abzuwenden. Bei einer solchen Ausnahme darf die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber Kontakt zu Ihnen aufnehmen.
Erreichbarkeit im Urlaub und nach Feierabend
Der Urlaub dient Ihrer Erholung. Das sieht das Bundesurlaubsgesetz vor – gilt allerdings nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, nicht für zusätzlich im Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbarte Urlaubstage. Erwartet Ihre Arbeitgeberin oder Ihr Arbeitgeber eine ständige Erreichbarkeit, steht dies in klarem Widerspruch zum eigentlichen Zweck des Urlaubs. Auch wenn Sie zum Beispiel ein Smartphone von der Firma erhalten haben, ist damit noch lange nicht das Recht verbunden, Sie im Urlaub oder in der Freizeit zu kontaktieren. Es gibt allerdings Ausnahmen, zum Beispiel Notsituationen wie oben bereits beschrieben.
Für Führungskräfte gilt die Erholung im Urlaub gleichermaßen und somit sind sie ebenfalls durch diese gesetzlichen Vorschriften geschützt. Da mit ihren Tätigkeiten in der Regel auch viel Verantwortung verbunden ist, können sie allerdings frei entscheiden, ob Mitarbeitende sie in ihrem Urlaub oder nach Feierabend anrufen dürfen. Eine Verpflichtung zur Erreichbarkeit in der Freizeit besteht aber auch für sie nicht.
Wie lange muss ich für meinen Arbeitgeber erreichbar sein?
Grundsätzlich müssen Sie überhaupt nicht außerhalb der festgelegten Arbeitszeiten für Ihre Arbeitgeberin oder Ihren Arbeitgeber erreichbar sein. Es sei denn, Sie haben eine Rufbereitschaft. Sollte es in Ihrer Firma üblich sein, dass Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden auch in Ihrer Freizeit zu Ihnen Kontakt aufnehmen, ist es ratsam, mit allen Parteien Zeiten zu vereinbaren, in denen Sie erreichbar sind und wann nicht.
Ist telefonische Erreichbarkeit Arbeitszeit?
Ist die telefonische Erreichbarkeit mit einer Rufbereitschaft verbunden, gilt sie auf jeden Fall als Arbeitszeit. Darüber hinaus definiert das Arbeitszeitgesetz sogenannte arbeitsbezogene Kontakte und Tätigkeiten außerhalb festgelegter Arbeitszeiten ebenfalls grundsätzlich als Arbeitszeit. Sobald Sie also etwas für Ihre Firma tun, können Sie diese Zeit zum Beispiel auf einem Arbeitszeitkonto gutschreiben lassen. Die ständige Erreichbarkeit ist aber weitgehend nicht reguliert und es gibt keine allgemein verbindliche Definition im Sinne einer Rechtsgrundlage. Es obliegt Ihnen, hier individuelle Absprachen mit Ihrer Arbeitgeberin oder Ihrem Arbeitgeber zu treffen, um das für beide Seiten bestmöglich zu regeln.
Vor- und Nachteile einer ständigen Erreichbarkeit
Nicht jede Arbeitnehmerin oder jeder Arbeitnehmer empfindet die ständige Erreichbarkeit als Problem oder fühlt sich dadurch unter Druck gesetzt. Manchmal lassen sich kurzfristig auftretende Schwierigkeiten mit einem kurzen Telefonat schnell und einfach lösen. Allerdings sollte sich jeder dabei auch fragen: Kann dieses Problem nicht möglicherweise bis zum nächsten Arbeitstag warten? Ist es wirklich so dringend? Vielen Menschen fehlt der klare Blick auf diese Dinge. Die ständige Erreichbarkeit sorgt dafür, dass Sie Wichtiges von Unwichtigem kaum noch unterscheiden können.
Wenn diese ständige Erreichbarkeit zur Gewohnheit wird, kann das durchaus auch negative Folgen haben:
- Bei Ihnen entsteht der Eindruck, Sie haben nie Feierabend. Ständig müssen Sie damit rechnen, dass die Chefin oder Chef noch anruft. Ihr Stresslevel ist permanent erhöht, Sie können sich kaum erholen.
- Indem Sie ständig erreichbar sind, kreisen Ihre Gedanken fast nur noch um die Arbeit – auch in Ihrer Freizeit. Es entsteht ein enormer Druck, der Ihnen jegliche Energie raubt. Das kann unter Umständen dazu führen, dass Ihnen bei der Arbeit Fehler unterlaufen.
- In letzter Konsequenz kann es durch dauerhafte Erreichbarkeit zu einem Burnout kommen. Ihre Arbeit alleine steht im Mittelpunkt, alles andere, Familie, Freunde, Hobbys kommen zu kurz. Damit ist kein mentaler Ausgleich mehr möglich.
Welche Rechte & Pflichten gibt es?
Für Sie als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer besteht grundsätzlich das Recht, sich in Ihrer Freizeit und Ihrem Urlaub ungestört erholen zu können. Wie beschrieben gelten nur in Notfällen besondere Ausnahmen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind sowohl an das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) als auch an das Arbeitsschutzgesetz (ArbSChG) gebunden. Der Rahmen ist damit klar gesteckt.
Doch neben Rechten und Pflichten geht es in einem Job auch darum, vertrauensvoll miteinander zu arbeiten. Sicherlich wird keine Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer den Anruf der Chefin oder des Chefs am Abend ablehnen. Bleiben es Ausnahmen, lässt sich dies wahrscheinlich tolerieren. Eventuell steht gerade ein großes und wichtiges Projekt kurz vor dem Abschluss oder es sind zahlreiche Kolleginnen und Kollegen erkrankt, sodass ein dezimiertes Team die Arbeit stemmen muss. Dabei entstehen schneller Fragen oder Probleme, die einen solchen Anruf rechtfertigen. Entscheidend ist, wie Sie selbst damit umgehen. Sie wissen nun, dass Sie nicht zu einer ständigen Erreichbarkeit verpflichtet sind. Hilfreich ist es, sich gut abzugrenzen. Denn wer innerhalb eines normalen Arbeitstages Top-Leistung erbringen soll, benötigt Ruhephasen – das muss auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern klar sein.
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