Kranke Mitarbeitende im Visier: Tesla geht einen schmalen Grat zwischen Kontrolle und Vertrauen
Angesichts des hohen Krankenstands in der Tesla-Fabrik in Grünheide hat die Werkleitung ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen. Man hat beschlossen, unangekündigte Besuche bei krankgemeldeten Mitarbeitenden durchzuführen, um Auffälligkeiten zu überprüfen.
Bei einer Betriebsversammlung am 19. September 2024 sollen Werkleiter André Thierig und Personalchef Erik Demmler gesagt haben, unangekündigte Besuche bei Mitarbeitern, die sich krankgemeldet haben, durchzuführen. Dies berichtet das Handelsblatt (Paywall) unter Verweis auf einen Mitschnitt der Versammlung.
„Nichts mit einem Generalverdacht zu tun“
Laut Personalchef Demmler hätten diese Besuche „nichts mit einem Generalverdacht zu tun“. Die Werkleitung habe sich einfach mal 30 Mitarbeiter ausgesucht, die entsprechende Auffälligkeiten gezeigt hätten, darunter viele, die sich schon lange im Krankenstand befänden, aber auch zahlreiche Erstbescheide erhalten hätten. Was man vorgefunden habe, sei sehr gemischt gewesen.
Es wurde zudem von den verschiedenen Reaktionen der Mitarbeitenden berichtet. So sei einer der Mitarbeitenden bei bereits stattgefundenen Besuchen mit einer Tüte Schmerzmittel aus der Apotheke erschienen, während ein anderer die Chefs zu einem Kaffee eingeladen habe. Einige Mitarbeiter hätten ihm jedoch die Tür vor der Nase zugeschlagen, während andere mit der Polizei gedroht hätten.
Unzufriedenheit über eine vermeintlich zu große Faulheit in der Belegschaft
Bereits im Juli 2023 äußerte Werksleiter André Thierig auf einer Betriebsversammlung seine Unzufriedenheit über eine vermeintlich zu große Faulheit in der Belegschaft. Er erklärte, man werde es nicht dulden, dass einige für andere, die keine Lust hätten, zur Arbeit zu kommen, hart arbeiten müssten. Thierig betonte, in seiner Fabrik sei kein Platz für Personen, die morgens nicht aus dem Bett kämen.
Die Zahlen sind bedenklich: Im August 2024 lag der Krankenstand bei 17 Prozent, was bedeutet, dass zeitweise mehr als 2.000 der insgesamt 12.000 Mitarbeiter krankheitsbedingt nicht arbeitsfähig waren.
Im Sommer 2024 beschloss die Werkleitung, geringfügige Fehlzeiten finanziell zu belohnen.
Bonus von bis zu 1.000 Euro
Um die hohe Anzahl an Krankmeldungen zu verringern, hat Tesla am Standort Grünheide beschlossen, die Anwesenheit der Mitarbeiter zusätzlich zu belohnen. Wer selten fehlt, kann am Ende des Jahres mit einer finanziellen Prämie rechnen. So plant Tesla, Mitarbeitern, die selten krank sind, einen Bonus von bis zu 1.000 Euro zu gewähren.
„Ich muss ehrlich sagen, wir haben mit uns gerungen. Warum soll man jemanden für Anwesenheit belohnen?“, zitiert das Handelsblatt Worte des Werksleiters André Thierig. Thierig sagte, dass es auch Mitarbeiter gebe, die sehr selten fehlen und dafür belohnt würden.
Das Programm solle laut Thierig zunächst ein Jahr getestet werden. In der Pilotphase würden sie mit hundert Mitarbeitern starten und das Programm einen Monat lang ausprobieren. Wenn es gut funktioniere, werde es auf alle Angestellten ausgeweitet.
Die Teilnahme soll freiwillig sein. Wer mitmacht, kann durch lange Anwesenheitszyklen verschiedene Statusstufen erreichen. An jede Statusstufe ist am Jahresende ein Anwesenheitsbonus gekoppelt. Laut Thierig erhält derjenige, der den Gold-Status erreicht, eine Prämie von 1.000 Euro.
„Wer krank ist, kriegt nichts“
„Als ich diesen fragwürdigen Ansatz letztens über das Tesla-Werk in Grünheide gelesen habe, war ich schockiert“, schreibt Carsten Maschmeyer, Startup-Investor in einem Post bei Linkedin. Und wahrscheinlich ist er nicht alleine damit. Denn dreht man die Nachricht um – bekommt man eine ganz andere Aussage. Frauen und ältere Mitarbeiter werden dadurch diskriminiert. Dabei geht Maschmeyer noch weiter: „Kranksein wird damit sanktioniert. Wer krank ist, kriegt nichts“, stellt er fest. Die Folgen für solch eine Entscheidung liegen dabei auf der Hand. „Für mich steht aber fest: Mit dieser Prämienpolitik wird das genaue Gegenteil erreicht. So werden sich Mitarbeitende trotz Krankheit zur Arbeit schleppen. Die Folgen? Mehr Ansteckungen, sinkende Arbeitsqualität, weniger Produktivität. Langfristig gesehen werden Mitarbeitende sogar schneller wieder erkranken, wenn sie sich nicht auskurieren“.
Gesundheit dürfe nicht durch monetäre Anreize gefährdet werden. Unternehmen sollten stattdessen auf präventive Gesundheitsmaßnahmen setzen, wie flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Möglichkeiten und Sportangebote. Der Starinvestor betonte, dass auch im Home-Office nicht krank gearbeitet werden dürfe, da krank eben krank bedeute und die Gesundheit Vorrang habe – für alle Mitarbeitenden, egal wo und wann.
Glück haben, nicht krank zu werden
Mit seinem Post hat Maschmeyer viel Unterstützung bekommen. Andere Nutzer haben ebenfalls Kritikpunkte hervorgehoben. Sie bemängelten, dass durch diese Prämie implizit suggeriert werde, kranke Mitarbeiter würden sich vor der Arbeit drücken. Die Auszahlung einer Prämie solle die Mitarbeiter offenbar dazu bewegen, sich trotz Krankheit zur Arbeit zu begeben. Dies unterstelle generell Unehrlichkeit. Wenn die Geschäftsleitung von Tesla davon ausginge, dass Krankheiten zufällig auftreten, wäre es unlogisch, den Mitarbeitern eine Prämie dafür zu zahlen, dass sie einfach nur Glück gehabt haben und nicht krank geworden sind.
Gesundheit fördern
In der Diskussion werden auch andere Vorteile genannt, die dazu beitragen könnten, die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern. Es wird vorgeschlagen, dass Unternehmen lieber in Fitness-Center-Mitgliedschaften, Sportkurse oder Eintrittskarten für Schwimmbäder investieren sollten. Außerdem könnten Anreize geschaffen werden, damit Mitarbeiter mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, oder kostenlose Fortbildungen zum Thema Ernährung und Kochen angeboten werden. „Prämien für seltenes Kranksein sind für mich der falsche Weg. Vielmehr sollten Unternehmen auf ein gesundes Arbeitsumfeld achten und ihre Mitarbeitenden unterstützen, gesund zu bleiben – ohne falsche Anreize zu setzen und Druck auszuüben“, resümiert der Investor in einem Kommentar.
Krankheitsausfälle im Jahr 2023
Nach einer Analyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit lagen die Krankheitsausfälle bei der Arbeit im Jahr 2023 zum zweiten Mal in Folge auf einem stark erhöhten Niveau. Laut den eigenen Daten der Krankenkasse fehlten Beschäftigte durchschnittlich 20 Tage im Job. Der Krankenstand erreichte erneut einen Rekordwert von 5,5 Prozent, wie bereits im Jahr 2022. Das bedeutet, dass im Schnitt an jedem Tag des vergangenen Jahres 55 von 1000 Beschäftigten krankgeschrieben waren.
Kassenchef Andreas Storm kommentierte noch im Januar der Deutschen Presse-Agentur: „Auch wenn das Ergebnis nach den Erkältungswellen im Frühjahr und Herbst nicht überraschend kommt, ist es für die Wirtschaft alarmierend.“
Die starken Abwesenheiten haben die Arbeitsabläufe vieler Unternehmen und Behörden erheblich beeinträchtigt, besonders in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels, der die Personalressourcen immer weiter belastet. Insbesondere Langzeitkrankheitsfälle stellen dabei das größte Problem dar. Es brauche eine „Offensive für das betriebliche Gesundheitsmanagement“.
Doch so oder so „Kranksein darf nicht bestraft werden“, und mit seinem Post hat Carsten Maschmeyer genau diesen Punkt getroffen.
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