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Faser-Technologie 11.07.2023, 11:56 Uhr

Bauelemente mit Carbon- oder Naturfasern „wickeln“

Extrem belastbar und mit geringerem Materialeinsatz als im Stahl- und Betonbau herzustellen waren die Carbonfaser-Fassadenelemente des futuristisch anmutenden Texoversum in Reutlingen. Auch Naturfasern wie Flachs sind geeignet, um mithilfe von Polyurethanharz solche Fassaden oder andere Bauelemente zu fertigen, die ästhetisch ein Ausrufezeichen setzen.

Natur als Vorbild: Ähnlich wie etwa Spinnennetze sind auch die für Bauwerke verwendbare Faserstrukturen sehr leichtgewichtig, aber zugleich hoch belastbar, und kommen mit einem sehr geringen Materialeinsatz aus. Foto: FibR

Natur als Vorbild: Ähnlich wie etwa Spinnennetze sind auch die für Bauwerke verwendbare Faserstrukturen sehr leichtgewichtig, aber zugleich hoch belastbar, und kommen mit einem sehr geringen Materialeinsatz aus.

Foto: FibR

Mit dem Texoversum hat die Hochschule Reutlingen ein europaweit einzigartiges Ausbildungs- und Innovationszentrum für die Textilindustrie in Betrieb genommen. Die fast 2000 Quadratmeter große textilartige Fassade des neuen Gebäudes sorgt auch architektonisch für Aufsehen: Sie verbindet auf reizvolle Weise die Innovationskraft dieser Branche mit der 160-jährigen Tradition des Textilstandorts Reutlingen.

Aus Carbonfasern gewickelte Bauteile mit Kunststoffharz fixiert

 Die Fassade des Texoversum ist nur ein Beispiel für eine ganz neue Technologie, die das Bauwesen komplett revolutionieren könnte. Die raffinierte Konstruktion wurde am Computer entworfen und basiert auf Carbonfasern, die von Robotern gewickelt werden.

Ähnlich wie Netzwerke in der Natur, etwa in Spinnennetzen, Käferflügeln oder Palmenblättern, sind auch die Faserstrukturen sehr leichtgewichtig, aber zugleich hoch belastbar, und kommen mit einem sehr geringen Materialeinsatz aus. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern erleichtert auch Transport und Montage der Bauelemente.

Roboter wickeln die am Computer entworfenen Konstruktion aus Carbonfasern.

Foto: FibR

Herstellungsverfahren auch für Dachkonstruktionen und Stützen geeignet

Miterfinder der Technologie ist der Architekt Prof. Moritz Dörstelmann, dessen Unternehmen FibR auch die Fassade des Texoversum realisiert hat. Im Gegensatz zu herkömmlichen Stahl- und Betonkonstruktionen komme man mit weniger Material aus, denn: „Die Roboter verarbeiten nur so viele Fasern, wie für die Festigkeit der jeweiligen Konstruktion benötigt werden. Dadurch sparen wir auch große Mengen an CO2-Emissionen ein.“

Vorteilhafte Anwendungen der Technologie sieht Dörstelmann auch in Dachkonstruktionen, Stützen und nicht zuletzt im Innenausbau.

 Fasern werden in Polyurethanharz-Matrix eingebettet

Für die nötige Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Verbunds sorgt das aliphatische Polyurethanharzsystem Desmocomp von Covestro, in dem die Fasern wie in einer Matrix eingebettet werden. „Das Harz ist sehr beständig gegen Witterungseinflüsse und die energiereiche UV-Strahlung der Sonne und eignet sich deshalb sehr gut für Außenanwendungen“, erläutert Pejman Norastehfar, Architekt und Fachmann für Bauanwendungen im Segment Coatings and Adhesives bei Covestro. Weitere Pluspunkte im Baubereich seien seine hohe Chemikalien- und Flammbeständigkeit.

Das Texoversum der Hochschule Reutlingen ist ein Referenzobjekt für eine neue Technologie, die das Bauwesen revolutionieren könnte: Die Bauteile der Fassade wurden aus Fasern gewickelt, die mit einem Polyurethanharzsystem fixiert wurden.

Foto: FibR

Multifunktionale Fassadenkonstruktion

Im Texoversum übernimmt die gesponnene Fassade gleich mehrere wichtige Funktionen: Sie verleiht dem Gebäude eine einzigartige Optik und stabilisiert die umlaufenden Balkone. Zudem dient sie als Geländer und sorgt für die nötige Beschattung der dahinterliegenden Glasfront.

Das Gebäude bietet rund 3000 Quadratmeter Fläche für Werkstätten, Labore, eine Textilsammlung, Unterrichtsräume und Besprechungen. Die Kosten für die Errichtung des Texoversum in Höhe von 18,5 Millionen Euro wurden vom Arbeitgeberverband Südwesttextil übernommen, zu dessen Mitgliedern auch die FibR GmbH in Kernen östlich von Stuttgart gehört.

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Von Covestro / Karlhorst Klotz