Zum E-Paper
Holzbau 19.10.2020, 10:30 Uhr

Neuer Kirchturm aus regionalen Materialien

Bereits von Weitem ist der hölzerne Turm der Dorfkirche St. Georg von Bleibach zu sehen. Aus der Nähe ist erkennbar, dass es sich um einen dreieckigen Glockenturm handelt mit einer statisch anspruchsvollen Konstruktion. Regionale Baumaterialien und innovative Behandlungsmethoden des Holzes waren beim Bau im Einsatz.

Die Dorfkirche St. Georg hat nach 500 Jahren einen Kirchturm erhalten. Prägendes Material ist Holz. Foto: Oliver Kern

Die Dorfkirche St. Georg hat nach 500 Jahren einen Kirchturm erhalten. Prägendes Material ist Holz.

Foto: Oliver Kern

Mehrere Epochen prägen die Dorfkirche St. Georg in Bleibach im Schwarzwald. Der gotische Bau wurde um moderne Elemente ergänzt, die zusammen ein harmonisches Gebäude bilden. Doch eines fehlte der Kirche: ein Turm. Bisher hingen die vier Glocken der Kirche im Dach des gotischen Chors. Doch das Läuten führte zu Rissen im Kreuzgewölbe. Damit die Risse nicht weiter wachsen, wurde der Bau eines Turms beschlossen. Hierfür entwarf Architektur³ einen frei stehenden 33 Meter hohen Turm. Dieser gleicht einem Campanile. Die dynamischen Lasten der schwingenden Glocken werden dabei von der Holzkonstruktion aufgenommen. Vorgefertigte Brettsperrholzwände aus Weißtanne wurden für die konstruktiven Teile wie Wände, Decken und Treppen verwendet. Diese Materialwahl ist nicht nur eine nachhaltige Lösung, weil die Weißtanne aus der Umgebung im Schwarzwald stammt, sie hat auch besonders gut geeignete Eigenschaften. So zeichnen sich die Brettsperrholzwände aus Weißtanne dadurch aus, dass sie eine hohe Steifigkeit besitzen. So können die dynamischen Lasten über das Fundament abgetragen werden. Das Quellen des Holzes wird durch die miteinander verklebten Längs- und Querlagen des Massivholzes reduziert. Für die Fassade und Dacheindeckung des Turms kam eine Innovation zum Einsatz: Accoya. Das acetylierte Holz ist durch eine chemische Modifikation mit Essigsäureanhydrid besonders dauerhaft. Zudem ist es resistent gegen Schädlinge und Pilze. Dadurch eignet es sich für den Außenbereich.

Inspiration für den Turm durch den Bestand

Mit dem neuen Turm ist die Baugeschichte von St. Georg nach über 500 Jahren vorerst abgeschossen. Der gotische Chor stammt aus dem Jahr 1514, das Beinhaus aus 1720 und das moderne Kirchenschiff wurde 1978 errichtet. Der Grundriss des Kirchenschiffs spielt mit der geometrischen Form, das im christlichen Glauben für die Dreifaltigkeit steht. Hier kann man die Inspiration der Architekten für die dreieckige Grundrissform des Turms erkennen. Die Idee zur Materialwahl kam ihnen durch das Holztragwerk des modernen Kirchenzeltes. Die Ausformung des Turmkopfes findet man auch im Kirchenbau wieder. Hier ist es die äußere Erscheinung des Kirchenschiffs, dass durch die fallenden Linien des Dachs geprägt ist. Somit entwarfen die Architekten zwar einen neuen Bau, doch gliederten ihn durch seine Form und das Material behutsam in das Ensemble ein.

Kirchturm, Glockenturm, Aussichtsplattform und Brutstätte in einem

Der 33 Meter hohe dreieckige Turm ist nicht nur ein Glockenturm. Auf einer Höhe von circa 14,50 Metern befindet sich eine Aussichtsplattform. Durch Schiebeläden ist hier die Aussicht in den Schwarzwald möglich. Oberhalb von der Plattform befindet sich der neue Glockenstuhl. Und darüber gibt es eine weitere Etage. Im Turmhelm wurde mit Brutvorrichtungen an Vögel und Fledermäuse gedacht. 6,59 Meter umfassen die Schenkel des gleichseitigen Dreiecks. Sowohl die Konstruktion des Turmes als auch die innen liegenden Treppenstufen, Treppenwangen und Podeste sind aus Weißtanne errichtet. Ein massiver Stahlbetonsockel bildet das Fundament der Holzkonstruktion. Die hinterlüftete Fassadenkonstruktion ist aus Accoya-Holz realisiert. Akustische Gründe haben die Architekten dazu bewogen, auf der Höhe des Glockenstuhls senkrechte Lamellen aus Accoya-Holz anzuordnen. Für eine bessere Schallausbreitung sind waagerechte Bretter mit schmalen Fugen ausgebildet. Zweimal wurde das Gebäude mit dem Iconic Award 2020 ausgezeichnet, für das architektonische Konzept und die innovative Materialwahl.

Das könnte Sie auch interessieren:

Holzbau trifft auf Industrie 4.0

Besucherzentrum trotzt Beben, Wind und Schnee

Holzbau und Massivbau stehen im Vergleich

Von Katharina Marchal / www.architektur3.de