Wie neue E-Motoren Seltene Erden überflüssig machen
Kontaktlose Erregung, Reluktanzprinzip und digitale Fertigung: So verändert sich der Elektromotor von morgen. Frei von Seltenen Erden.
Noch sind in vielen Elektroautos Seltene Erden verbaut. Wir schauen uns an, mit welchen Konzepten sich die Metalle aus E-Motoren verbannen lassen.
Foto: Smarterpix / Naypong
Elektromotoren sind das Herz der modernen Mobilität. Sie treiben Autos, Schiffe und Maschinen an – leise, effizient und zuverlässig. Doch hinter der sauberen Fassade steckt ein Problem: Viele, aber nicht alle dieser Motoren enthalten Seltene Erden.
Metalle wie Neodym oder Praseodym machen sie stark und kompakt, bringen jedoch ökologische und geopolitische Abhängigkeiten mit sich. Ihre Förderung erfordert große Mengen an Chemikalien, belastet Böden und Gewässer, und die Raffinadeproduktion ist stark auf wenige Länder konzentriert – allen voran China.
Mit der wachsenden Nachfrage nach Elektromobilität steigt der Druck auf die Industrie, alternative Lösungen zu entwickeln. Unternehmen wie ZF, Mahle oder Valeo setzen inzwischen auf Motoren, die ganz ohne Permanentmagnete auskommen. Ein Überblick über den Stand der Technik.
Inhaltsverzeichnis
- Rohstoffe, Risiken und Verantwortung
- Der Weg zu magnetfreien Motoren
- Die kontaktlos erregte Synchronmaschine
- Mahle und ZF treiben kontaktlose Systeme in die Serie
- Reluktanzmotoren im Aufwind
- Der alte Bekannte: Asynchronmaschine
- Eine bessere Ökobilanz schon bei der Herstellung
- Fertigung wird digital und flexibel
- Recycling bleibt unverzichtbar
Rohstoffe, Risiken und Verantwortung
Elektroantriebe gelten als Symbol der Verkehrswende. Gleichzeitig hängt ihre Herstellung von Rohstoffen ab, die nur in wenigen Regionen vorkommen. Besonders China kontrolliert große Teile der weltweiten Verarbeitungskapazitäten für Seltene Erden. Das macht Hersteller verwundbar: Schon kleine politische Spannungen oder Exportbeschränkungen können Preise und Lieferketten stark beeinflussen.
ZF hat darauf reagiert. „Auch unsere Lieferanten von Produkten, die Seltene Erden enthalten, verpflichten sich, dass sie sich an die von ZF definierten Standards für Umweltschutz und Menschenrechte halten“, sagt Olga Schick-Scheider, Head of Supply Chain Sustainability bei ZF.
Doch selbst mit strengeren Vorgaben bleibt das Grundproblem bestehen. Recyclingprojekte wie SUSMAGPRO sollen künftig helfen, Magnetmaterialien in Europa zurückzugewinnen, wenn erste Generationen von E-Fahrzeugen und Windkraftanlagen ausgedient haben. Die naheliegendere Lösung ist jedoch, ganz auf Magnete zu verzichten – und genau hier beginnt eine der spannendsten Bewegungen in der Antriebstechnik.
Der Weg zu magnetfreien Motoren
Neue Elektromotoren setzen auf Konzepte, die das Magnetfeld nicht mit Seltenen Erden, sondern durch elektrische Erregung und präzise Steuerung erzeugen. Statt Permanentmagneten kommen elektrisch erregte Rotoren oder die sogenannte Reluktanzwirkung zum Einsatz. In beiden Fällen entsteht das Magnetfeld durch gezielten Stromfluss und moderne Leistungselektronik.
Damit diese Systeme effizient arbeiten, braucht es hochentwickelte Inverter, die Feldstärke und Drehmoment millisekundengenau anpassen. Parallel verändert sich die Fertigung: Hairpin-Wicklungen, modulare Statoren und digitale Zwillinge beschleunigen die Industrialisierung. Das Ergebnis sind Antriebe, die unabhängig von knappen Rohstoffen funktionieren und schon in der Produktion eine deutlich bessere CO₂-Bilanz aufweisen.
Die kontaktlos erregte Synchronmaschine
Einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet die Universität Stuttgart. Am Institut für Elektrische Energiewandlung erforscht das Team um Professorin Nejila Parspour seit Jahren die induktiv elektrisch erregte Synchronmaschine (iEESM). Sie kommt ohne Permanentmagnete aus, da das Magnetfeld im Rotor über elektrische Wicklungen erzeugt wird.
Der entscheidende Fortschritt liegt in der kontaktlosen Energieübertragung: Der Strom gelangt berührungslos über ein induktives System in die Rotorwicklung. Schleifringe, die sonst Verschleiß und Wartungsaufwand verursachen, werden überflüssig.
„Diese Maschine kann in allen Fahrzeug- und Leistungsklassen eingesetzt werden – vom Kleinwagen über Lkw und Elektroschiffe bis hin zu Schienenfahrzeugen und Industrie-Robotern“, erklärt Parspour. „Aktuell liegt unser Fokus auf dem Pkw-Segment, um dort permanentmagneterregte Synchronmaschinen abzulösen.“
Mehr als Theorie
Erste Patente sind bereits an regionale Zulieferer vergeben. Für Dr. Max Hoßfeld vom InnovationsCampus Mobilität der Zukunft (ICMZ) zeigt das, „dass die Forschung den Schritt aus dem Labor in die industrielle Wertschöpfung schafft. Unsere Innovationen stärken den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg und verringern die Abhängigkeit von globalen Rohstoffrisiken.“
Das Prinzip lässt sich einfach beschreiben: Der Stator erzeugt ein rotierendes Magnetfeld, der Rotor bildet über seine erregte Wicklung ein Gegenfeld. Der Strom wird induktiv, also ohne Kontakt, in die Welle übertragen. Dadurch entsteht das Drehmoment – ohne Magnete, ohne Reibung, mit präziser Kontrolle über die Feldstärke. Das System bleibt über ein breites Drehzahlband effizient, auch bei hohen Geschwindigkeiten.
Mahle und ZF treiben kontaktlose Systeme in die Serie
Was in der Forschung begann, hält inzwischen Einzug in die Serienentwicklung. Mahle hat mit dem sogenannten Mahle Contactless Transmitter (MCT) ein System zur kontaktlosen Energieübertragung im Rotor entwickelt.
Laut Hersteller erreicht der Motor einen Gesamtwirkungsgrad von über 95 % und kommt komplett ohne Seltene Erden aus. Gemeinsam mit Valeo entstand daraus die E-Achse iBEE, die laut Unternehmensangaben bis zu 350 kW leistet und im Produktionsprozess einen um mehr als 40 % geringeren CO₂-Fußabdruck aufweist als herkömmliche Magnetmotoren.
Auch ZF verfolgt dieses Ziel. Der dort entwickelte In-Rotor Inductive-Excited Synchronous Motor (I²SM) überträgt Energie direkt in die Rotorwelle. Nach Unternehmensangaben spart das Bauraum und reduziert Verluste um bis zu 15 % gegenüber konventionellen Systemen.
Reluktanzmotoren im Aufwind
Neben den fremderregten Maschinen gewinnen Reluktanzmotoren an Bedeutung. Die Synchrone Reluktanzmaschine (SynRM) verzichtet vollständig auf Magnete und Wicklungen im Rotor. Eine spezielle Geometrie mit Flussbarrieren sorgt dafür, dass der Rotor stets dem Weg des geringsten magnetischen Widerstands folgt. So entsteht Drehmoment – mit minimalem Materialeinsatz.
Im industriellen Umfeld sind diese Motoren längst etabliert. Hersteller wie ABB bieten SynRM-Antriebe der höchsten Effizienzklasse IE5 an. Für den Automotive-Bereich arbeitet das Forschungsprojekt ReMoS 2 daran, die Leistungsdichte weiter zu erhöhen – etwa durch Rotoren mit Faserverbundverstärkung für höhere Drehzahlen.
Eine interessante Variante sind Ferrit-unterstützte Reluktanzmotoren. Sie nutzen preiswerte Ferritmagnete statt seltener Neodymlegierungen und erreichen nahezu die Effizienz von Permanentmagnetmotoren. Der Aufbau ist robust, kostengünstig und ideal für langlebige Anwendungen mit geringem Wartungsbedarf.
Der alte Bekannte: Asynchronmaschine
Auch die Asynchronmaschine (ASM) bleibt eine relevante Alternative. Sie kommt ohne Seltene Erden aus, nutzt ein induziertes Magnetfeld im sogenannten Käfigläufer und gilt als äußerst robust. Dank moderner Regelungstechnik konnte die Effizienz in den letzten Jahren deutlich verbessert werden.
Im Pkw-Bereich ist sie seltener geworden, weil sie im Teillastbereich weniger effizient arbeitet. Für Nutzfahrzeuge, Nebenantriebe und industrielle Anwendungen bleibt sie jedoch eine kostengünstige und bewährte Lösung – zumal sie recyclingfreundlich aufgebaut ist.
Eine bessere Ökobilanz schon bei der Herstellung
Der ökologische Vorteil magnetfreier Motoren zeigt sich bereits in der Produktion. Die Herstellung von Permanentmagneten ist energieintensiv und mit erheblichen Emissionen verbunden. Wer darauf verzichtet, reduziert den CO₂-Fußabdruck spürbar.
Nach Herstellerangaben senken Mahle und Valeo die Emissionen in der Produktion ihrer neuen Motoren um mehr als 40 %.
Hinzu kommt: Fremderregte und Reluktanzmaschinen können das Magnetfeld aktiv an den Lastzustand anpassen. Das verbessert die Energieeffizienz im Betrieb. Nach Bewertungskriterien der ISO 14040/44, also über den gesamten Lebenszyklus, ergibt sich damit eine doppelte Verbesserung – geringere Emissionen bei der Herstellung und geringerer Energieverbrauch im Einsatz.
Fertigung wird digital und flexibel
Die Serienfertigung wird zunehmend digital, flexibel und energieeffizient. Das Projekt HaPiPro² an der RWTH Aachen entwickelt Fertigungslinien, die Hairpin-Statoren für verschiedene Fahrzeugklassen schnell umrüsten können.
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) simuliert das Projekt AgiloDrive2 mithilfe digitaler Zwillinge komplette Produktionsprozesse, bevor reale Anlagen entstehen. Das spart Material, Energie und Entwicklungszeit – und verbessert gleichzeitig die Qualitätssicherung.
Für Hersteller bedeutet das: kürzere Umrüstzeiten, geringere Kosten und eine Fertigung, die sich dynamisch an neue Motorkonzepte anpassen lässt.
Recycling bleibt unverzichtbar
Auch wenn magnetfreie Konzepte an Bedeutung gewinnen, sind weltweit Millionen Motoren mit Permanentmagneten im Einsatz. Deren Rückgewinnung bleibt ein zentrales Nachhaltigkeitsthema.
Das EU-Projekt SUSMAGPRO baut in Europa eine Infrastruktur auf, um Magnetmaterialien aus Altgeräten zurückzugewinnen. In Laborversuchen werden bereits Rückgewinnungsraten von bis zu 90 % erreicht, industrielle Verfahren liegen aktuell noch darunter.
ZF beteiligt sich aktiv an dieser Kreislaufstrategie. „Designs zu optimieren, um kritische Seltenerdmaterialien bestmöglich zu nutzen, magnetfreie Designs einzusetzen, wo sie sinnvoll sind, und sicherzustellen, dass Seltenerdmetalle am Ende der Lebensdauer eines Produkts nicht verloren gehen, trägt zu einer nachhaltigen Zukunft bei“, erklärt Dr. David Moule von ZF.
Magnetfreie Motoren haben hier einen klaren Vorteil: Sie bestehen überwiegend aus Stahl, Kupfer und Aluminium – Materialien, die sich deutlich leichter trennen und recyceln lassen.
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