Luftfahrt 07.10.2025, 10:30 Uhr

Fluglotsen würfeln nicht – oder doch?

Wetterkapriolen und Planänderungen – auf das Personal im Tower prasselt ein wahrer Datenregen ein. Ohne Stochastik würden hier alle nass. Genauigkeit ist eine Illusion, sagt die Deutsche Flugsicherung deshalb. Und plädiert für den Mut zur Stochastik.

Im Tower regnet es Daten: Wetter, Flugbetrieb, Entscheidungen. Warum die Deutsche Flugsicherung auf Stochastik statt Genauigkeit setzt.
Foto: picture alliance/dpa | Axel Heimken

Im Tower regnet es Daten: Wetter, Flugbetrieb, Entscheidungen. Warum die Deutsche Flugsicherung auf Stochastik statt Genauigkeit setzt.

Foto: picture alliance/dpa | Axel Heimken

Das Personal im Tower hat sich mit so vielen Variablen rumzuschlagen, dass nur eines hilft: Wahrscheinlichkeit statt Präzision. Um sich nicht im Wirrwarr an Informationen, spontan eintretenden Situationen und unvorhergesehenen Planänderungen zu verlieren, müsse es reichen, sich Ankunfts- und Abflugzeiten lediglich anzunähern – so das Plädoyer der Deutschen Flugsicherung (DFS).

Die Liste der Unsicherheit vor allem bei der Landung von Flugzeugen ist lang. Sie beginnt damit, dass die programmierte Trajektorie – also der eigentlich geplante Anflugswinkel – nicht eingehalten werden kann.

Dafür wiederum ist oftmals das Wetter in Form von Winden Schuld. Auch das Tempo der Nebelauflösung am Vormittags stellt an hochbelasteten Flughäfen oft eine Variable dar, deren Vorhersage trotz intensiver Forschung weiterhin mit erheblicher Unsicherheit behaftet ist. Heftiger, spontan auftretender Niederschlag – gleich ob in Form von Regen oder Hagel – sind stets eine mögliche Gefahr. Auch aufsteigende bzw. landende oder vorbeiziehende Vogelschwärme können in letzter Sekunde einen Landeanflug behindern.

Ebenso tragen andere Flugzeuge, die ebenfalls just zur selben Zeit starten oder landen wollen, dazu bei, dass Fluglotsen „mit der Gesamtsituation unzufrieden sind“. Denn schließlich ist auch das menschliche Verhalten ein Unsicherheitsfaktor – und ein Pilot ist schließlich auch nur ein Mensch.

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Jede Minute Verspätung kostet die Airlines 130 €

Insofern ist den Fluglotsen im Tower bei keinem einzigen Landeanflug der aktuelle Gesamtsystemzustand eindeutig bekannt – und schon gar nicht der künftige, wie es also in nur wenigen Minuten aussehen wird. Air Traffic Controller müssen ihre Entscheidungen auf der Basis unvollständiger und oftmals nur geschätzter Informationen treffen. Und so bestimmen in solchen Situationen Wahrscheinlichkeiten, Erfahrungswerte und das Einschätzungsvermögen der Fluglotsen häufig den tatsächlichen Handlungsspielraum.

Die Vorgaben des Towers jedoch ziehen wirtschaftliche Konsequenzen nach sich. Die University of Westminster in London hat den Durchschnittspreis für 1 min Flugverspätung mit 130 € berechnet. In den meisten Fällen finden Landungen mindestens 2,5 min später als geplant statt. Dann belaufen sich die Kosten bereits auf 325 €, die nicht nur für diese eine Airline anfallen, sondern auch im Schnitt für mindestens 13 weitere. Denn die Verspätungen werden kaskadenartig nach hinten durchgereicht, sodass ein finanzieller Schaden allein durch diese Reihenfolgeeffekte eintritt.

Dominoeffekt auf der Piste und in der Luft

Als Unterstützung für Fluglotsen bieten sich hier KI-gesteuerte, automatisierte Sequencing Tools an, also eine Sequenzierungssoftware, die eine bestimmte Reihenfolge für die einzelnen Schritte einer Landung festlegt. Sie bewertet alle zur Verfügung stehenden Parameter und ermöglicht so eine zuverlässige Anflugsteuerung.

Denn auch das menschliche Auffassungsvermögen bleibt ein Risikofaktor. Bereits geringfügige Abweichungen in der Umsetzung von Startfreigaben können zu Verzögerungen für den Anflugverkehr führen. Mit anderen Worten: Zögernde Piloten behindern die Landungen anderer. Denn der Tower darf eine Landefreigabe erst dann erteilen, wenn der vorhergehende Startvorgang abgeschlossen, die Bahn frei und die Piste geräumt ist. Zeitliche Unsicherheiten bei der Startumsetzung haben damit unmittelbare Folgen für die Freigabe des folgenden Anflugs und seiner Landung.

Fünf Sekunden bis zum „Roger“

Untersuchungen der European Organisation for the Safety of Air Navigation (Eurocontrol) zeigen, dass die Reaktionszeiten von Piloten während dieser Phase nicht konstant sind, sondern deutliche Streuungen aufweisen. Im Mittel dauert es 5 s, bevor im Cockpit die Entscheidungen und Startfreigaben des Towers umgesetzt werden. In Einzelfällen können daraus aber schon mal 10 s und mehr werden. Diese 5 s mehr oder weniger machen einen Unterschied, denn bei einer kürzeren Reaktionszeit von 5 s können – im Gegensatz zu einer Verzögerung von 10 s  – zwei zusätzliche Abflüge pro Stunde durchgeführt werden.

Bereits kleine Verzögerungen schränken den Handlungsspielraum für eine sichere Flugführung und entsprechende Abstandshaltung ein. Schlimmstenfalls ergibt sich ein Verkettungsproblem: Aus einer etwas verspäteten Umsetzung eines Funkbefehls entstehen weitere Konflikte – vor allem zeitlicher Natur -, obwohl jedes Teilsystem für sich genommen noch im Toleranzbereich operiert hätte.

Kein Stress durch Präzisionszwang

Das Zusammenspiel der drei Reaktionsbereiche Wahrnehmen/Entscheiden (Fluglotsen im Tower), Übertragen/Bestätigen (Funk) und Verstehen/Umsetzen (Piloten im Cockpit) lässt daher einen Perspektivwechsel sinnvoll erscheinen: „Wir sollten von Punktwerten zu Wahrscheinlichkeitsräumen kommen“, findet Jörg Buxbaum von der Deutschen Flugsicherung (DFS). „Die Frage muss sein: Mit welcher Wahrscheinlichkeit überschreiten wir ein sicherheitskritisches Fenster?“

Nur durch klare Zeitfenster und ein Minimum an (unnötiger) Kommunikation, verbunden mit Zeitverlusten, ließen sich Verzögerungen und Kapazitätsrückgang wirksam begrenzen. Die Zukunft liege daher nicht in der „Illusion von Präzision“, so Buxbaum weiter, „sondern in wahrscheinlichkeitsbasierten Verfahren“. Aus dieser Diagnose plädiert die DFS für einen Prioritätenwechsel: weg von Genauigkeitsansprüchen, hin zu variableren Zeitfenstern.

Ein Beitrag von:

  • Guido Meyer

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