Deutsche Bahn: Warum Experten Schnieders Reform als zu lasch kritisieren
Fachleute bemängeln bei der Reform der Deutschen Bahn fehlende Strategie und zu wenig Tempo. Wir erklären, wo Schnieders Pläne nicht weit genug gehen.
Bahnarbeiter bei der Reparatur einer defekten Weiche auf der vorübergehend gesperrten S-Bahn-Stammstrecke zwischen Hackerbrücke und Donnersbergerbrücke in München. Fachleute bemängeln bei der Bahnreform fehlende Strategie und zu wenig Tempo. Wir erklären, wo Schnieders Pläne nicht weit genug gehen.
Foto: picture alliance/SZ Photo/Florian Peljak
Als Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder Anfang am 22. September seine Bahnreform vorstellte, ging es weniger um die Reform an sich als vielmehr um die Personalie der neuen Bahnchefin Evelyn Palla. Hinzu kam in dieser Woche dann das Tauziehen um die Besetzung des Chefpostens bei der Bahn-Tochter Infrago AG, das ausging wie das Hornberger Schießen: Nach Verzicht von Schneiders Favoriten Dirk Rompf ist der alte Chef, Philipp Nagl, auch der neue.
Inhaltsverzeichnis
- Was steht Beachtenswertes im Papier zur Bahnreform?
- Gemischte Bilanz zur Bahnreform durch Fachkreise und Branchenverbänden
- Ganz entscheidend: Wie weiter mit der Bahn-Tocher Infrago?
- Infrago wird Baustelle bleiben
- Pünktlichkeitsziele versus realistische Zeitplanung
- Generalsanierung und Korridorsanierung geschoben bis 2036
- Trassenpreisreform und Finanzierungsstruktur
- Sofortprogramme für Kundenerlebnis
Was steht Beachtenswertes im Papier zur Bahnreform?
Der Titel verrät manches: Schnieder nennt die Reform „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“. Es geht ihm um Kundenzufriedenheit. „Die Bahn muss pünktlich, sicher und sauber sein. Der Konzern muss schneller, schlanker und wirtschaftlicher werden“ präzisierte der Minister. „Wir nehmen die Kundenorientierung in den Blick. Die Bahn muss funktionieren. Die Bahn ist für die Menschen da!“
Konkreter umfasse die Agenda „eine umfangreiche inhaltliche Reformagenda für die Deutsche Bahn AG mit vollem Fokus auf die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sowie Wirtschaftlichkeit und das Kerngeschäfts der Deutschen Bahn. Doppelstrukturen sollen abgeschafft und die DB Infrago AG im integrierten Konzern weiter entflochten werden“, so das Ministerium. Wobei Kundenzufriedenheit der Maßstab sein soll. Nur: Wie die definiert ist, bleibt offen. Im Agenda-Papier selbst kommt der Begriff nur zweimal vor, konkretisiert wird er nicht.
Gemischte Bilanz zur Bahnreform durch Fachkreise und Branchenverbänden
Im Endeffekt hatten sich viele wohl mehr von der angekündigten Bahnreform versprochen – auch angesichts des Zustandes des Unternehmens und der Betriebsinfrastruktur. Während einige Elemente der Reform Zustimmung finden, überwiegt die Kritik – zu wenig Tiefe, zu unkonkret.
So sagte Geschäftsführer Dirk Flege des Verbands Allianz pro Schiene in Berlin, das sei noch keine Bahnstrategie. Das adressiert auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und mahnte: „Nun soll sich die DB auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und bis 2026 eine Strategie vorlegen, wie sie effizienter wird. Das ist grundsätzlich richtig, doch das Verkehrsministerium darf dabei nicht an der Seitenlinie stehen und zuschauen. Es muss steuernd eingreifen, um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Dieser Aspekt fehlt in dem Schnieder-Papier völlig.“
Ganz entscheidend: Wie weiter mit der Bahn-Tocher Infrago?
Mit an vorderster Stelle stand im Vorfeld die intensive Verflechtung der verschiedenen Bahn-Töchter im Konzern in der Kritik. Im Fokus dabei: die Infrastrukturgesellschaft DB Infrago der DB, früher DB Netz und DB Station&Service. Schnieder will die Infrago entflechten, weniger Vorstandsmitglieder und eine Neuaufstellung der Chefetage. Die DB Infrago AG solle lediglich einen am Gemeinwohl orientierten Überschuss erreichen. „Für den Sektor muss klar sein, dass die DB Infrago AG als Systemplattform einen diskriminierungsfreien Wettbewerb gewährleistet und alle EVUs dabei im Blick hat“, heißt es in Schnieders Agenda. Fahrgastlobbyist Flege wies darauf hin, dass nicht klar sei, wie genau das „Gemeinwohl“ bei der Infrastruktursparte aussehe.
Die Monopolkommission sieht den Ansatz des Verkehrsministers generell positiv: „Die neue Agenda markiert … einen wichtigen Schritt für einen echten Neustart der Schiene.“ Sie begrüßte die „stärkere Entflechtung der DB Infrago innerhalb des DB-Konzerns“ und sieht „das richtige Signal“. Auch die Übertragung weiterer Zuständigkeiten für die Infrastruktur an die Infrago und die Abschaffung des Infrastrukturvorstands auf Ebene der DB AG würden „die Bedingungen für wirksamen Wettbewerb stärken“.
Infrago wird Baustelle bleiben
Verkehrsexperten und Fachleute fordern seit Jahren eine vollständige eigentumsrechtliche Trennung. Die Monopolkommission betonte bereits im Juni in ihrem 10. Sektorgutachten Bahn, dass „langfristig die Empfehlung bestehen“ bleibe, „Netz und Betrieb der Bahn eigentumsrechtlich gänzlich voneinander zu trennen“. Noch aber spricht die Agenda Schnieders von der einen oder anderen „Prüfung“ bei der Infrago. Sowohl der Kreislauf der Gewinnrückführung als auch das Durchgriffsrecht des DB-Konzerns bei der Infrago werden da genannt.
Kay Mitusch kritisiert: „Eine weitere Lücke in den Eckpunkten betrifft die Unkenntnis des Bundes über die Kosten im Bereich der Infrastruktur. Er hat allenfalls einen blassen Schimmer davon, was zum Beispiel Gleise, Signale oder Bauarbeiten kosten dürfen.“ Unter dieser Voraussetzung sei der Begriff ‚Gemeinwohlorientierung‘ wohl „eine Einladung an die Infrago, nach Herzenslust Steuergelder abzuschöpfen“, zitiert das Science Media Center den Inhaber des Lehrstuhls Netzwerkökonomie, Institut für Volkswirtschaftslehre am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Nötig sei vielmehr eine dauerhafte Befassung einer Bundesbehörde mit dieser Frage, im Idealfall der unabhängigen Bundesnetzagentur. „Auch das wird noch nicht gesehen.“
Pünktlichkeitsziele versus realistische Zeitplanung
Schnieder schraubte die Pünktlichkeitsziele deutlich herunter: Bis Ende 2029 sollen mindestens 70 % der Fernzüge pünktlich fahren, geplant war das für kommendes Jahr. Die rheinland-pfälzische Mobilitätsministerin Katrin Eder bezeichnete das Ziel von 70 % als „ambitionslos“, es sei „enttäuschend niedrig“. „Auch in den nächsten Jahren bleibt fast jeder dritte Zug unpünktlich.“
„Von einer Strategie kann erst dann die Rede sein, wenn das benötigte Geld freigegeben wird“, bemängelt der Fahrgastverband Pro Bahn. „Mehr Ehrgeiz“ bei der Pünktlichkeit hätte man sich gewünscht. „Die darin formulierten Pünktlichkeitsziele fallen hinter bestehende Ziele zurück – das reduziert den Druck für Veränderungen“, kritisiert Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, in einer Stellungnahme.
Dennoch erwartet Lukas Iffländer, Vize-Vorstand des Fahrgastverbands Pro Bahn, in den Tagesthemen, dass die Pünktlichkeit in den nächsten ein bis zwei Jahren um die 5 % nach oben gehe. Einen „großen Sprung“, das sollten die Kundinnen und Kunden der DB aber erst einmal nicht erwarten: Das werde dauern „bis die Generalsanierungen durch sind, bis mit der Digitalisierung angefangen wurde und bis die Fahrzeuge alle wieder auf Vordermann sind“. Und da liegen die Planungen bei 2036.
Generalsanierung und Korridorsanierung geschoben bis 2036
Schnieder hält an der Generalsanierung fest, verschiebt aber die Fertigstellung der letzten Strecke auf 2036. Geplant war die Modernisierung von 40 Hochleistungskorridoren bis 2030. Das sehen Experten kritisch. Das Science Media Center berichtete, dass Forscher „Lücken“ sähen und die Strategie „mit Blick auf die Bahn realistisch, mit Blick auf die wünschenswerte Mobilitätswende zu wenig“ sei. Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft betonte, dass für eine wirkliche Verkehrswende „deutlich leistungsstärkere Bahnstrecken mit viel mehr Ausweichmöglichkeiten“ notwendig seien.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke kritisierte, dass im aktuellen Bundesverkehrswegeplan und auch bei den jüngst verkündeten Investitionsvorhaben der Deutschen Bahn Ostdeutschland keine faire Beteiligung zuteilgeworden sei, weder finanziell noch bei der Anzahl der Projekte. „Und das muss sich ändern“, betonte der SPD-Politiker laut dpa.
Trassenpreisreform und Finanzierungsstruktur
Ein wichtiges Thema ist das Trassenpreissystems und seine Reform – schon seit langer Zeit. Die verspricht Schnieders Agenda für 2027. Das könnte zu spät kommen. Zwar liegt ein „Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung des Trassenentgeltanstiegs bei den Eisenbahnen des Bundes“ bereits seit August vor, aber schon Anfang September hatte der Verband Die Güterbahnen laut Verkehrsrundschau darauf hingewiesen, dass das zu spät sei. Ohne ein Eingreifen der Politik drohten dem Verband zufolge ab 2026 Trassenpreissteigerungen für den Schienengüterverkehr von bis zu 35 %.
Die Monopolkommission hatte „eine vorübergehende Absenkung der Eigenkapitalverzinsung bei der DB Infrago AG“, empfohlen. Es gehe „um nicht weniger als den fairen Wettbewerb zwischen Güterbahnen und Lkw“, so Die Güterbahnen. Schon lange wird ein Infrastrukturfonds gefordert, der die Mittel für die Bahn unabhängig von der Legislatur festsetzt, das aber will der Bund erst irgendwann nach 2027 angehen, sprich, es droht die lange Bank.
Sofortprogramme für Kundenerlebnis
Schnieder kündigte bei der Vorstellung seiner Reformagenda in Berlin drei „Sofortprogramme“ an: Mehr Sicherheit und Sauberkeit an Bahnhöfen, bessere Kommunikation über die DB-App, mehr Komfort im Fernverkehr, und zwar ab 2026. Brandenburgs Verkehrsminister Detlef Tabbert machte klar, dass die Nutzung des Bahnangebots aber auch ganz wesentlich vom Preis abhänge. Hier erwarte er auch mehr finanzielles Engagement vom Bund. „Wir brauchen ein zuverlässiges Angebot, das sich die Menschen weiterhin leisten können. Deshalb muss Bahnfahren bezahlbar bleiben“, sagte er.
Zur Ankündigung von Schnieder mit dem „Sofortprogramm“ für mehr Sicherheit und Sauberkeit bei Bahnhöfen zu sorgen, betonte Klaus Zecher, der stellvertretende Vorsitzende des Fahrgastverband Pro Bahn in Hessen, es sei wichtig, dass die Bahn hier wieder mehr eigenes Personal einsetze, anstatt auf Subunternehmen zu bauen.
Mit Material von dpa.
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