Zwerggalaxien liefern neuen Hinweis auf Dunkle Materie
Eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) liefert starke Hinweise darauf, dass die Bewegungen von Sternen in Zwerggalaxien nur durch Dunkle Materie erklärt werden können.
Neue AIP-Studie zeigt: Nur Dunkle Materie erklärt die Bewegung von Zwerggalaxien – MOND-Theorie verliert an Boden.
Foto: ESO/ DSS2 (D. De Martin); DES (S.E. Koposov), composition: AIP ( M. P. Júlio)
Das Forscherteam um das AIP analysierte die Sternengeschwindigkeiten in extrem kleinen, lichtschwachen Galaxien und fand heraus: Die beobachteten Gravitationsfelder lassen sich nicht allein aus der sichtbaren Materie ableiten. Damit stellt die Arbeit ein zentrales Element der alternativen Gravitationstheorie MOND (Modifizierte Newtonsche Dynamik) infrage, die bislang als mögliche Erklärung für ungewöhnliche Galaxienbewegungen galt.
Inhaltsverzeichnis
Der ewige Streit um Dunkle Materie
Die Frage, warum sich Galaxien schneller drehen, als es ihre sichtbare Masse erlaubt, beschäftigt die Astronomie seit über 50 Jahren. Schon in den 1970er-Jahren bemerkte die US-Astronomin Vera Rubin, dass die Rotationsgeschwindigkeiten in Spiralgalaxien nicht – wie nach Newtons Gesetzen zu erwarten – mit wachsendem Abstand vom Zentrum abnehmen. Stattdessen blieben sie konstant. Diese Beobachtung lässt sich nur schwer mit der bekannten Materie in den Galaxien erklären.
Seither konkurrieren hauptsächlich zwei Theorien miteinander:
Dunkle Materie: Nach dem Modell besteht ein Großteil der Masse des Universums aus unsichtbarer Materie, die weder Licht aussendet noch reflektiert. Sie wirkt ausschließlich über die Gravitation und sorgt dafür, dass Galaxien stabil bleiben. Laut Schätzungen macht Dunkle Materie rund 85 % der gesamten Materie des Universums aus.
MOND – Modifizierte Newtonsche Dynamik: In den 1980er-Jahren schlug der israelische Physiker Mordehai Milgrom die MOND-Theorie vor. Sie geht davon aus, dass die bekannten Gravitationsgesetze bei extrem kleinen Beschleunigungen, wie sie auch in den Außenbereichen von Galaxien herrschen, nicht mehr gelten. Demnach wäre keine Dunkle Materie nötig.
Die neuen Ergebnisse aus Potsdam bringen Bewegung in diese jahrzehntelange Kontroverse. Sie zeigen, dass selbst in den kleinsten Galaxien die Gravitation stärker wirkt, als sichtbare Materie – also Sterne und Gas – erklären kann. Ein klares Indiz für die Existenz Dunkler Materie und ein Rückschlag für die MOND-Hypothese.
Zwerggalaxien als Schlüssel zum Rätsel
Um die grundlegenden physikalischen Prozesse im Universum zu verstehen, richten Forschende ihren Blick auf sogenannte Zwerggalaxien. Diese Systeme sind winzig im Vergleich zur Milchstraße oder der Andromedagalaxie. Sie enthalten oft nur wenige Millionen Sterne und gehören zu den lichtschwächsten Strukturen des Kosmos. Gerade deshalb sind sie für Astrophysiker besonders interessant: In ihnen treten die Einflüsse Dunkler Materie oder Abweichungen der Gravitationseffekte besonders deutlich auf, da der Anteil der sichtbaren Materie extrem gering ist.
Das Team des AIP untersuchte daher zwölf solcher Galaxien und analysierte die Sternenbewegungen mit großer Präzision. Die Daten stammen aus bodengebundenen Großteleskopen und wurden durch numerische Simulationen ergänzt, die auf dem britischen DiRAC National Supercomputer durchgeführt wurden.
In diesen Simulationen berechneten die Forschenden, wie sich die Sterne innerhalb der Galaxien bewegen sollten, wenn ihre Gravitation ausschließlich durch die sichtbare Materie bestimmt wäre.
„Sowohl unsere Beobachtungen als auch die EDGE-Simulationen zeigen eindeutig: Die Dynamik dieser Systeme lässt sich nicht ohne Dunkle Materie erklären“, erklärt Mariana Júlio, Hauptautorin der Studie.
Nur Modelle, die einen massereichen, unsichtbaren Halo aus Dunkler Materie um jede dieser Zwerggalaxien voraussetzen, reproduzierten die gemessenen Bewegungen korrekt. Diese Dunkle-Materie-Halos scheinen die Strukturen stabil zu halten und verhindern, dass sie durch äußere Einflüsse, etwa die Gravitation benachbarter Galaxien, auseinandergerissen werden.
Alte Annahmen über Galaxienverhalten infrage gestellt
Die neue Untersuchung stellt auch eine bislang als gesichert geltende Regel, die radiale Beschleunigungsbeziehung, auf den Prüfstand. Diese beschreibt, wie eng in einer Galaxie die sichtbare Materie mit der Gravitationskraft verknüpft ist, die ihre Bewegung bestimmt. Vereinfacht gesagt: Je mehr sichtbare Masse vorhanden ist, desto stärker sollte auch die Gravitation sein.
Für große Galaxien wie die Milchstraße oder Andromeda funktioniert dieses Prinzip erstaunlich gut. Doch die Studie zeigt, dass diese Regel in den kleinsten Galaxien nicht mehr gilt. Die untersuchten Zwerggalaxien weichen deutlich von diesem Muster ab. Sie zeigen höhere Gravitationsbeschleunigungen, als die sichtbare Materie erwarten ließe. In manchen Fällen erzeugt dieselbe Menge an leuchtender Materie völlig unterschiedliche Gravitationsfelder. Ein Hinweis darauf, dass unsichtbare Komponenten das Verhalten dominieren.
„Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die Gravitation in diesen Zwerggalaxien nicht allein durch das bestimmt wird, was wir sehen“, sagt Dr. Marcel Pawlowski vom AIP.
Bedeutung für die Kosmologie
Die neuen Erkenntnisse haben weitreichende Folgen für das Verständnis der Gravitationseffekte und der Entwicklung des Universums. Mit der klaren Abweichung der Zwerggalaxien von den Vorhersagen der MOND-Theorie verengt die Studie den Spielraum alternativer Gravitationserklärungen erheblich. Modelle, die ohne Dunkle Materie auskommen, geraten zunehmend unter Druck.
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