Vergessene Teilchen sollen Quantencomputer retten
Mathematiker entdecken ein übersehenes Teilchen, das Quantencomputer widerstandsfähiger und universell nutzbar machen könnte.

Tanz der Teilchen: Im topologischen Quantencomputing verarbeiten Anyonen Informationen durch komplexe Bewegungsmuster – eine vielversprechende Strategie gegen Störungen.
Foto: PantherMedia / Funtap
Quantencomputer gelten als Technologie der Zukunft. Sie sollen Rechenaufgaben lösen können, an denen selbst die leistungsstärksten Supercomputer heute scheitern – etwa bei der Simulation komplexer Moleküle oder der Faktorisierung großer Zahlen.
Doch dem breiten Einsatz steht ein grundlegendes Problem im Weg: Quantencomputer sind extrem störanfällig. Ihre fundamentalen Einheiten, die sogenannten Qubits, reagieren auf kleinste Einflüsse von außen. Selbst geringe Temperatur- oder Magnetfeldschwankungen können ausreichen, um eine Rechenoperation zu verfälschen. Die Folge: Fehler breiten sich aus und machen die Ergebnisse unbrauchbar.
Forschende suchen daher nach Methoden, um solche Fehler zu minimieren oder idealerweise ganz zu vermeiden. Einen besonders vielversprechenden Ansatz bietet das sogenannte topologische Quantencomputing. Dabei werden Informationen nicht in den Zuständen einzelner Teilchen gespeichert, sondern in deren kollektiven Bewegungsmustern – was sie robuster gegen Störungen macht.
Inhaltsverzeichnis
Anyonen: Die Exoten unter den Teilchen
Im Zentrum dieser Idee stehen sogenannte Anyonen – exotische Quasiteilchen, die nur in zweidimensionalen Systemen vorkommen, etwa in ultradünnen Materialien bei extrem tiefen Temperaturen. Das Besondere: Wenn Anyonen ihre Positionen vertauschen – ein Vorgang, der als Braiding bezeichnet wird –, verändert sich der gemeinsame Quantenzustand des Systems auf eine Weise, die sich für Berechnungen nutzen lässt.
Anders als bei gewöhnlichen Teilchen (Fermionen oder Bosonen) hängt das Ergebnis einer solchen Vertauschung nicht nur davon ab, was getauscht wird, sondern auch wie – also von der Reihenfolge und Form der Bewegung.
Ein besonders interessanter Kandidat ist dabei der Typ der sogenannten Ising-Anyonen. Sie werden in bestimmten fraktionalen Quanten-Hall-Zuständen theoretisch vorhergesagt, etwa beim Füllfaktor 5/2. Experimente deuten darauf hin, dass solche Zustände existieren könnten, ein eindeutiger Nachweis steht jedoch noch aus. Ising-Anyonen gelten als relativ robust gegenüber äußeren Einflüssen – allerdings erlauben sie allein nur eine eingeschränkte Menge an Rechenoperationen. Für komplexe Algorithmen reicht das nicht aus.
Ein übersehenes Teilchen als fehlendes Puzzlestück
Genau hier setzt eine neue theoretische Studie aus den USA an: Ein Forschungsteam um den Mathematiker Aaron Lauda beschreibt darin ein bisher unbeachtetes mathematisches Objekt, das sie als „Neglecton“ bezeichnen – abgeleitet vom englischen neglect („vernachlässigen“). Dieses hypothetische Teilchen stammt aus einer älteren algebraischen Theorie, die lange als zu abstrakt oder unbrauchbar galt.
„Es ist, als hätte man einen Schatz in etwas gefunden, das alle anderen für mathematischen Müll gehalten haben“, sagt Lauda. In der Theorie wirkt das Neglecton wie ein ruhender Anker: Es bleibt während der Rechenoperationen an Ort und Stelle, während sich die Ising-Anyonen um es herum bewegen. Gemeinsam könnten sie theoretisch alle Rechenoperationen ermöglichen, die für einen universellen Quantencomputer erforderlich sind – also einen Quantenrechner, der prinzipiell jedes Problem bearbeiten kann, das sich für Quantenalgorithmen eignet.
Rechnen durch Teilchen-Tanz
Das zugrundeliegende Bild ist beinahe poetisch: Um zu rechnen, müssen die Anyonen umeinander tanzen. Je komplexer dieser Tanz, desto leistungsfähiger der resultierende Quantencomputer. In Laudas Modell bleibt das Neglecton passiv, während die Ising-Anyonen durch ihre Bewegungen logische Operationen realisieren. Für viele konkrete Parameterwerte – darunter auch sogenannte rationale Zahlen – lässt sich mathematisch zeigen, dass alle nötigen Operationen erzeugt werden können.
[Schlussfolgerung] Damit könnte eine bislang unvollständige Architektur theoretisch zum vollständigen Baukasten für Quantenalgorithmen erweitert werden.
Weniger Fehler bei mehr Qubits
Für viele praktische Anwendungen reichen einfache Einzeloperationen nicht aus – entscheidend sind mehr-Qubit-Gates, also Operationen, die mehrere Qubits gleichzeitig verknüpfen. Diese sind allerdings besonders fehleranfällig, etwa durch sogenannte Leakage-Effekte, bei denen das System in unerwünschte Zustände außerhalb des Rechenraums abgleitet.
Um solche Fehler zu verringern, schlagen die Forschenden ein spezielles, wiederholtes Verfahren vor. Dadurch lässt sich die Fehlerrate auf ein Niveau senken, das in Simulationen als vernachlässigbar gilt – ein zentraler Schritt in Richtung fehlerresistenter Quantenarchitekturen.
Theorie mit Haken – und Potenzial
Ein möglicher Haken bleibt: Die zugrundeliegende Theorie ist mathematisch noch nicht vollständig konsistent mit den Grundprinzipien der Quantenmechanik. Insbesondere scheint sie gegen die sogenannte Unitarität zu verstoßen – das Prinzip, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit aller Zustände erhalten bleiben muss. In der Quantenphysik ist dies ein fundamentales Erfordernis.
Allerdings betonen die Forschenden, dass reale Materialien und physikalische Systeme oft komplexer sind als die zugrundeliegenden Theoriemodelle. In Phänomenen wie dem Quanten-Hall-Effekt etwa treten bereits heute Zustände auf, die sich klassischen Beschreibungen entziehen und dennoch experimentell beobachtbar sind.
Lauda zieht einen architektonischen Vergleich: „Anstatt jeden Raum zu reparieren, stellen Sie sicher, dass alle Berechnungen in den strukturell soliden Bereichen stattfinden, während die problematischen Räume gesperrt bleiben.“
Ausblick: Ein ruhender Baustein für Quantencomputer?
Noch ist das Neglecton ein rein theoretisches Konzept – es wurde bislang nicht in Experimenten nachgewiesen oder in realen Materialien identifiziert. Dennoch liefert die Studie einen spannenden Hinweis darauf, wie sich existierende Quantenbausteine wie Ising-Anyonen gezielt erweitern lassen könnten, um leistungsfähigere und fehlertolerante Quantencomputer zu bauen.
„Besonders spannend ist, dass uns diese Arbeit dem universellen Quantencomputing mit Teilchen, deren Erzeugung wir zumindest teilweise kontrollieren können, einen Schritt näher bringt“, sagt Lauda.
Ein Beitrag von: