Unterwasser-Navigation neu gedacht: So geht es ohne Sonar
TU Graz entwickelt ein tierschonendes Navigationssystem für Taucherinnen und Taucher – mit GNSS-Bojen, Elektrosignalen und Head-up-Display.

Ein neues Navigationssystem der TU Graz zeigt Taucherinnen und Tauchern per Head-up-Display den Weg unter Wasser – ganz ohne akustische Signale.
Foto: Smarterpix / dsabo
Unter Wasser die Orientierung zu behalten, ist schwieriger, als viele glauben. Strömungen, schlechte Sicht oder Ablenkung durch Fotografie oder Forschung lassen schnell vergessen, wo das Boot liegt. Die herkömmliche Navigation mit Kompass und markanten Punkten stößt in vielen Situationen an ihre Grenzen. Die TU Graz hat nun gemeinsam mit Projektpartnern ein neues System vorgestellt, das Taucherinnen und Taucher mit Hilfe elektromagnetischer Signale und GNSS-verorteter Bojen sicher durch die Tiefe führt – und das ohne Lärm oder Beeinträchtigung der Tierwelt.
Inhaltsverzeichnis
- Orientierung unter Wasser – bisher nur mit viel Erfahrung möglich
- TU Graz entwickelt tierschonende Alternative zur Sonarnavigation
- Position bestimmen mit elektromagnetischen Wellen
- Navigation in Echtzeit – per Head-up-Display
- Vielfältige Einsatzmöglichkeiten – von Forschung bis Tourismus
- Kein Stress für Forellen: System mit Fokus auf Tierwohl
Orientierung unter Wasser – bisher nur mit viel Erfahrung möglich
Wer unter Wasser den Überblick behalten möchte, muss genau hinschauen – und sich gut vorbereiten. Denn unter Wasser funktioniert herkömmliche Navigation nur eingeschränkt. GPS-Empfänger versagen unter der Oberfläche, Funkwellen dringen nicht weit durch Wasser, und die Sicht kann durch Sedimente oder Algen stark eingeschränkt sein. Deshalb greifen viele Taucher*innen auf bewährte Methoden zurück – mit teils unsicherem Ausgang.
Ein weit verbreiteter Ansatz ist die natürliche Navigation. Dabei orientieren sich Taucher*innen an auffälligen Strukturen auf dem Meeresboden: Riffkanten, Felsformationen, Sandkanälen oder markanten Korallen. Wer aufmerksam beobachtet, kann sich eine Route einprägen – vorausgesetzt, die Sicht bleibt stabil. Strömungen, Verwirbelungen und wechselnde Lichtverhältnisse erschweren das zusätzlich.
Häufig wird auch der Kompass zur Hilfe genommen. In Kombination mit einem zuvor geplanten Kurs – zum Beispiel entlang eines Riffs oder in einer festen Tiefe – können so einfache Wege getaucht werden. Wer allerdings zu stark abgelenkt ist oder seine Umgebung nicht aufmerksam beobachtet, verliert leicht die Orientierung. Und das kann gefährlich werden. Denn nicht immer ist klar, wo sich das Tauchboot befindet oder ob eine Sperrzone droht.
TU Graz entwickelt tierschonende Alternative zur Sonarnavigation
Ein Forschungsteam der TU Graz hat nun ein alternatives System entwickelt, das diese Probleme gezielt adressiert. Das Navigationssystem basiert auf GNSS-verorteten Bojen, die elektromagnetische Signale aussenden. Es kommt ohne akustische Ortung aus – und schont damit die Unterwasserwelt.
Denn genau hier lag bisher ein zentrales Problem: Systeme, die auf Schall basieren, benötigen hohe Schalldrücke. Diese beeinträchtigen das Ökosystem, stressen Fische und andere Meeresbewohner*innen. Das Forschungsteam rund um Philipp Berglez vom Institut für Geodäsie suchte nach einer Lösung, die präzise, robust und zugleich tierfreundlich ist.
Vollständig neues Konzept
Im Projekt ScubaPOIs, das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützt wurde, entwickelte das Team ein vollständig neues Konzept. GNSS-Bojen (GNSS steht für Global Navigation Satellite System) verorten sich an der Wasseroberfläche selbstständig – unter anderem über den präzisen Galileo High Accuracy Service (HAS). Die Bojen senden dann elektromagnetische Signale unter Wasser aus.
Taucher*innen tragen ein kompaktes Empfangsgerät – etwa so groß wie eine Packung Mannerschnitten. Es empfängt die Signale mehrerer Bojen gleichzeitig. Aus den Distanzen zu den jeweiligen Bojen lässt sich mittels Trilateration die eigene Position und Tiefe errechnen.
Was ist GNSS?
GNSS steht für Global Navigation Satellite System. Es handelt sich um ein satellitengestütztes Ortungssystem, das weltweit Positions- und Zeitinformationen liefert. GNSS ist ein Sammelbegriff, darunter fallen unter anderem:
- GPS (USA)
- Galileo (EU)
- GLONASS (Russland)
- BeiDou (China)
In der Praxis bestimmen GNSS-Empfänger ihre Position, indem sie die Signallaufzeiten von mehreren Satelliten auswerten. Im Projekt der TU Graz kommt der Galileo High Accuracy Service (HAS) zum Einsatz, der besonders präzise Ortungsdaten liefert – eine wichtige Grundlage für die Navigation unter Wasser mithilfe von Bojen.
Position bestimmen mit elektromagnetischen Wellen
Ein Schlüssel zum Erfolg war die Ausbreitung der elektromagnetischen Signale im Wasser. Die Herausforderung: Wasser leitet Strom gut, aber elektromagnetische Wellen werden stark gedämpft. „Die größte Herausforderung für uns war die Berechnung der Ausbreitung der elektromagnetischen Signale unter Wasser, um die passenden Distanzwerte zu erhalten“, sagt Philipp Berglez.
Die Signalstärke hängt dabei von vielen Faktoren ab: Salzgehalt, Temperatur, Tiefe und Leitfähigkeit des Wassers beeinflussen, wie weit sich die Signale ausbreiten. Das Team der TU Graz musste deshalb die physikalischen Bedingungen exakt modellieren. Am Ende konnten die Forschenden stabile Verbindungen über Distanzen von bis zu 150 Metern herstellen – zumindest in horizontaler Richtung. Für größere Tiefen – bis 100 Meter – besteht noch Potenzial zur Weiterentwicklung.
Navigation in Echtzeit – per Head-up-Display
Um die gewonnene Positionsinformation nutzbar zu machen, entwickelten die Projektpartner auch ein visuelles Ausgabesystem. Das Unternehmen Oxygen Scientific baute ein Head-up-Display, das direkt an der Tauchmaske befestigt wird. Es zeigt die aktuelle Position der Taucherinnen und Taucher und markierte Ziele unter Wasser – etwa ein versunkenes Wrack, ein Forschungspunkt oder einfach den Rückweg zum Boot.
Die Darstellung funktioniert ähnlich wie bei modernen Navigationssystemen im Auto. Eine digitale Route führt durch die Unterwasserwelt, ohne dass Taucher*innen Karten lesen oder Geräte in der Hand halten müssen. So bleibt die Aufmerksamkeit bei der Umgebung – und die Hände frei.
Im Notfall kann das System außerdem dabei helfen, vermisste Personen schnell zu orten. Die kontinuierliche Signalverbindung zu den Bojen ermöglicht es, den letzten bekannten Standort nachzuvollziehen.

Das Konzept der satellitengestützten Navigationssystems für Taucher*innen.
Foto: TU Graz – Institut für Geodäsie
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten – von Forschung bis Tourismus
Das neue Navigationssystem der TU Graz eröffnet vielfältige Anwendungsbereiche. Besonders im Forschungs- und Umweltschutz bietet es klare Vorteile. Bei der Dokumentation von Müll auf dem Gewässergrund, der Untersuchung von Ökosystemen oder bei archäologischen Tauchgängen lässt sich die Position der Fundstellen exakt festhalten und später wiederfinden – ohne dabei Tiere zu stören oder Sedimente aufzuwirbeln.
Auch der Tauch-Tourismus könnte von der Technik profitieren. Speziell ausgerüstete Tauchplätze könnten künftig mit Positionsbojen ausgestattet werden. Besucher*innen sehen dann per Head-up-Display, wo sie sich gerade befinden, wo sich interessante Objekte wie Wracks oder Höhlen befinden – und wie sie sicher dorthin gelangen. Das reduziert den Stress, verbessert die Orientierung und erlaubt mehr Konzentration auf das eigentliche Erlebnis.
Nicht zuletzt erhöht das System die Sicherheit. Bei Tauchgängen in trübem Wasser, bei Strömung oder über unübersichtlichem Gelände behalten Taucher*innen den Überblick. Und wenn etwas schiefgeht, ist Hilfe schneller zur Stelle – weil der Aufenthaltsort besser bestimmt werden kann.
Kein Stress für Forellen: System mit Fokus auf Tierwohl
Ein zentraler Anspruch des Projekts war die Tierschonung. Im Unterschied zu akustischen Ortungsverfahren – etwa Sonar – erzeugt das GNSS-basierte System keine lauten Signale. Doch wie wirkt sich elektromagnetische Strahlung tatsächlich auf Fische aus?
Um das zu klären, führten die Forschenden der TU Graz gezielte Verhaltensstudien mit Goldforellen durch. Diese Tiere gelten als besonders empfindlich gegenüber äußeren Reizen. Bei Versuchen mit unterschiedlichen Sendeleistungen beobachteten die Projektpartner*innen das Verhalten der Fische – sowohl während als auch nach den Messungen.
Das Ergebnis: Die Forellen zeigten keine Auffälligkeiten. Sie verhielten sich weder während der Tests unruhig noch in den Wochen danach. Auch vier Monate nach den Versuchen war kein gestörtes Verhalten feststellbar. Die Forschenden schließen daraus, dass zeitverzögerte Effekte sehr unwahrscheinlich sind. Damit ist klar: Die neue Technik erfüllt hohe Umweltstandards und lässt sich mit gutem Gewissen einsetzen – auch in sensiblen Ökosystemen.
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