Forschende verbinden erstmals einen Zeitkristall mit der Außenwelt
Aalto-Forschende koppeln erstmals einen Zeitkristall an eine mechanische Welle – ein neuer Baustein für Sensorik und Quantentechnik.
Zeitkristall in superfluidem Helium-3: Unter ultrakalten Bedingungen bleibt seine Bewegung über Millionen Zyklen stabil.
Foto: Mikko Raskinen/Aalto University
Ein Kristall, der in der Zeit schwingt, trifft auf eine winzige Welle aus Helium – und reagiert darauf. Was wie Science-Fiction klingt, ist einem Team der Aalto-Universität gelungen. Sie haben gezeigt, dass sich ein sogenannter Zeitkristall mit seiner Umgebung verbinden lässt. Das könnte neue Wege für Sensoren und Quantencomputer eröffnen.
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Wenn Materie plötzlich die Zeit tanzt
Ein Kristall, der in der Zeit schwingt statt im Raum – klingt wie Science-Fiction, ist aber echte Physik. Schon 2012 hatte Nobelpreisträger Frank Wilczek die Idee: Teilchen könnten nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich in einer geordneten Struktur „eingefroren“ sein. Solche Gebilde nannte er Zeitkristalle. Und tatsächlich: 2016 wurde das Konzept erstmals experimentell bestätigt. Seitdem beschäftigen sie Forschende auf der ganzen Welt – als faszinierende Quantensysteme, die im Grundzustand immer weiter schwingen, ohne Energie zu verlieren.
Normalerweise bleiben Zeitkristalle streng abgeschottet von ihrer Umgebung. Jede äußere Störung könnte ihr empfindliches Gleichgewicht zerstören. Doch genau diesen Schritt hat jetzt ein Team der Aalto-Universität in Finnland gewagt: Sie haben einen Zeitkristall mit einem anderen System verbunden – also mit der „Außenwelt“. Und siehe da: Der Kristall überlebte die Begegnung.
„Perpetuum mobile ist im Quantenbereich möglich, solange es nicht durch externe Energiezufuhr, wie beispielsweise durch Beobachtung, gestört wird. Aus diesem Grund wurde ein Zeitkristall bisher noch nie mit einem externen System verbunden“, erklärt Studienleiter Jere Mäkinen. „Aber genau das haben wir getan und damit auch erstmals gezeigt, dass man die Eigenschaften des Kristalls mit dieser Methode anpassen kann.“
Kühlschrank-Physik im Superfluid
Was dafür nötig war, spielt sich in einem extrem kalten Labor ab – fast am absoluten Nullpunkt. Dort lagert superfluides Helium-3, eine Flüssigkeit, die sich bei wenigen Tausendstel Kelvin ganz anders verhält als alles, was wir aus dem Alltag kennen.
Mit Radiowellen pumpte das Team winzige magnetische Anregungen – sogenannte Magnonen – in das Helium. Diese Quasiteilchen verhalten sich, als wären sie echte Teilchen, und sammeln sich in einer Art „Falle“. Sobald die Radiopumpe ausgeschaltet wird, beginnen die Magnonen, synchron zu schwingen. Der Zeitkristall ist geboren.
Und das Beste: Er bleibt erstaunlich lange stabil. Bis zu mehrere Minuten lang – das sind rund 100 Millionen Zyklen – oszilliert der Kristall, bevor das Signal langsam abklingt.
Eine Welle verbindet zwei Welten
Doch wie bringt man so einen empfindlichen Quantentakt mit der Außenwelt in Kontakt? Die Antwort liegt direkt an der Oberfläche – genauer gesagt an winzigen Schwerewellen auf dem Helium. Man kann sie sich wie sanfte Mini-Wellen vorstellen, die über die Flüssigkeit laufen. Diese Oberfläche wirkt wie ein mechanischer Oszillator, also ein winziger Schwingkörper mit einer eigenen Frequenz.
Das Besondere: Diese Schwingung beeinflusst den Zeitkristall. Wenn die Welle an der Oberfläche stärker oder schwächer wird, verändert sich auch die Frequenz des Kristalls. In den Messdaten zeigt sich das als zusätzliche Linien – sogenannte Seitenbänder. Das ist das typische Signal einer Modulation, also eines rhythmischen „Mitwackelns“.
Mit anderen Worten: Der Zeitkristall „spürt“ die mechanische Bewegung der Oberfläche – und reagiert darauf.
Optomechanik – nur ohne Licht
In der klassischen Optomechanik koppelt man Licht an einen beweglichen Spiegel. In Finnland funktioniert das Prinzip ganz ähnlich, nur dass statt Licht ein Zeitkristall beteiligt ist. „Wir haben gezeigt, dass Veränderungen in der Frequenz des Zeitkristalls völlig analog zu optomechanischen Phänomenen sind, die in der Physik weithin bekannt sind“, sagt Mäkinen.
Das System erinnert damit an die Messprinzipien, die auch beim Nachweis von Gravitationswellen im LIGO-Observatorium eingesetzt werden – nur eben im Miniaturformat und mit ganz anderen Materialien. „Durch die Reduzierung des Energieverlusts und die Erhöhung der Frequenz dieses mechanischen Oszillators könnte unsere Anlage so optimiert werden, dass sie fast die Grenze zum Quantenbereich erreicht“, erklärt Mäkinen weiter.
Was das bringen könnte
Warum ist das spannend? Weil Zeitkristalle extrem stabile Schwingungen liefern – perfekte Taktgeber also. Wenn sie sich kontrolliert mit anderen Systemen koppeln lassen, könnten sie zu neuen Komponenten für Quantencomputer oder Sensorsysteme werden.
„Zeitschristalle halten um ein Vielfaches länger als die derzeit in Quantencomputern verwendeten Quantensysteme“, sagt Mäkinen. „Im besten Fall könnten Zeitschristalle die Speichersysteme von Quantencomputern antreiben und sie so erheblich verbessern. Sie könnten auch als Frequenzkämme verwendet werden, die in extrem hochempfindlichen Messgeräten als Frequenzreferenzen eingesetzt werden.“
Tatsächlich entsteht bei der Kopplung eine Art Frequenzkamm – ein regelmäßiges Muster aus Linien, wie man es sonst nur von Lasern kennt. Solche Kämme dienen in der Messtechnik als exakte Maßstäbe.
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