Der letzte Knall? Wie Drohnenshows das Feuerwerk technisch ablösen
Drohnenshows ersetzen immer häufiger Feuerwerk: Wie Software, Sensorik und Schwarmtechnik den Neujahrshimmel neu definieren.
Feuerwerk über Manhattan: Ein traditionelles Silvesterritual wird immer häufiger von Drohnenshows abgelöst. Wir schauen auf die Technik dahinter.
Foto: Smarterpix / photovs
Wenn am Silvesterabend der Himmel explodiert, passiert etwas Merkwürdiges.
Menschen bleiben stehen. Gespräche verstummen. Smartphones gehen hoch. Für ein paar Sekunden schauen alle in dieselbe Richtung. Wir blicken zurück auf das vergangene Jahr, denken an Neuanfänge. Silvester ohne Feuerwerk? Für manche unvorstellbar. Und doch gerät dieses Ritual unter Druck.
In den Niederlanden ist privates Feuerwerk ab nächstem Jahr verboten, in Deutschland wird jedes Jahr zumindest heftig darüber gestritten. Doch wo etwas geht, kommt stets was Neues nach: Drohnenshows, die den Himmel nicht explodieren lassen, sondern choreografieren – kontrolliert, leise und berechnet. Blicken wir aber zunächst darauf, was bei einem Feuerwerk physikalisch passiert.
Inhaltsverzeichnis
- Der Knall als Ingenieurleistung
- Die Physik hinter den Farben des Feuerwerks
- Ein System ohne zweite Chance
- Der Himmel wird zur Anzeige
- Wenn Zentimeter zählen
- Schwärme denken lokal
- Wenn Funk zur Schlüsseltechnologie wird
- Energie, die bleibt
- Sicherheit wird konstruiert
- Ein neuer Jahreswechsel – ohne Verlust der Emotion
Der Knall als Ingenieurleistung
So chaotisch Feuerwerk wirkt – es ist das Gegenteil. Jeder Effekt folgt einem Plan. Jede Farbe, jede Verzögerung, jede Höhe ist berechnet. Die Toleranzen sind gering. Fehler verzeiht das System nicht.
Am Anfang steht Schwarzpulver. Es ist die Treibladung, die den Feuerwerkskörper nach oben schießt. Nicht zu schnell. Nicht zu langsam. Ziel sind – bei professionellen Shows – oft Höhen von 100 bis 200 m. Sekundenbruchteile entscheiden darüber, ob sich die Bombe am richtigen Punkt öffnet oder wirkungslos verpufft.
Das ist klassische Ballistik unter rauen Bedingungen. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Materialeigenschaften – alles beeinflusst den Ablauf. Und alles muss vorher stimmen. Nach dem Zünden gibt es keine Korrektur. Kein Nachregeln. Kein Update.
Die Physik hinter den Farben des Feuerwerks
Am höchsten Punkt zündet die Zerlegerladung. Jetzt geht es nicht mehr um Höhe, sondern um Struktur. Die Explosion verteilt sogenannte Sterne – kleine Pellets aus Brennstoffen, Oxidationsmitteln und Farbsalzen.
Physikalisch ist das sauber erklärbar. Die Verbrennung beruht auf Redox-Reaktionen. Metallsalze werden stark erhitzt, Elektronen springen auf höhere Energieniveaus und fallen zurück. Dabei senden sie Licht aus.
Strontium erzeugt Rot. Natrium leuchtet Gelb. Blau ist heikel. Kupfer kann es liefern – aber nur in einem engen Temperaturfenster. Wird es zu heiß, zerfällt die Verbindung. Das Blau verschwindet. Pyrotechnik ist deshalb auch ein Spiel mit Temperaturmanagement.
Der Effekt ist intensiv – und flüchtig. Nach wenigen Sekunden ist alles vorbei. Zurück bleiben Rauch, Partikel und metallische Rückstände.
Ein System ohne zweite Chance
Aus Sicht der Ingenieurwissenschaften ist Feuerwerk ein klassisches Open-Loop-System. Ein Ablauf ohne Rückkanal. Nach dem Zünden läuft alles unaufhaltsam ab. Wind verändert die Form. Feuchtigkeit beeinflusst die Verbrennung. Fehler bleiben sichtbar.
Dazu kommen die Nebenwirkungen: Feinstaub belastet die Luft. Der Schalldruck erreicht Werte, die für Menschen und Tiere problematisch sind. Diese Aspekte wiegen heute schwerer als früher – politisch, gesellschaftlich, technisch.
Womit wir bei den Drohnenshows angekommen sind.

Drohnenshow über Bangkok: So wurde in Thailand im vergangenen Jahr das neue Jahr begrüßt.
Foto: Smarterpix / funfunphoto
Der Himmel wird zur Anzeige
Drohnenshows folgen einer völlig anderen Logik. Kein Knall. Kein Rauch. Kein einmaliger Effekt. Stattdessen steigen hunderte oder tausende Flugroboter auf. Jeder mit eigener Steuerung, eigener Sensorik, eigener Energieversorgung. Gemeinsam formen sie Bilder. Schriftzüge. Bewegte Szenen.
Der Himmel wird zur dreidimensionalen Leinwand. Und diese Leinwand ist kontrollierbar. Der entscheidende Unterschied: Kontrolle. Jede Position wird gemessen. Jede Bewegung überprüft. Abweichungen werden korrigiert, bevor sie sichtbar werden.
Wenn Zentimeter zählen
Normales GPS reicht dafür nicht aus. Eine Ungenauigkeit von wenigen Metern wäre fatal. Drohnen fliegen mit nur wenigen Metern Abstand zueinander. Hier zählt jeder Zentimeter.
Deshalb nutzen Drohnenshows Real-Time Kinematic Positioning. Eine Referenzstation am Boden kennt ihre exakte Position. Sie vergleicht Satellitensignale mit Sollwerten und berechnet Korrekturdaten. Diese werden in Echtzeit an die Drohnen übertragen.
Das Ergebnis: Positionsgenauigkeit im Zentimeterbereich. Jede Drohne wird zu einem exakt adressierbaren Lichtpunkt. Figuren entstehen nicht durch Annäherung, sondern durch Koordinaten.
Schwärme denken lokal
Niemand steuert tausend Drohnen einzeln. Das wäre unmöglich. Stattdessen arbeiten die Systeme mit Schwarmprinzipien, angelehnt an sogenannte Boids-Modelle.
Die Regeln sind simpel: Abstand halten. An Nachbarn orientieren. Teil der Formation bleiben. Aus diesen lokalen Regeln entsteht ein stabiles Gesamtbild. Die eigentliche Choreografie wird zentral berechnet. Stabilisierung und Kollisionsvermeidung laufen dezentral auf jeder einzelnen Drohne.
Dort verarbeiten Mikrocontroller tausende Sensorwerte pro Sekunde: Beschleunigung, Drehraten, Luftdruck, Magnetfeld. Fällt eine Drohne aus, bleibt das System stabil. Das Bild verändert sich – aber es bricht nicht zusammen. Redundanz ist kein Extra. Sie ist Grundvoraussetzung.
Wenn Funk zur Schlüsseltechnologie wird
Ein weiterer Engpass ist die Kommunikation. Hunderte Drohnen funken gleichzeitig. Paketverluste oder Verzögerungen wären sofort sichtbar.
Zum Einsatz kommen spezialisierte Netzwerke, oft mit Mesh- oder Hybridstrukturen. Jede Drohne wird Teil des Systems. Belegte Kanäle werden gemieden, Frequenzen wechseln dynamisch.
Zeit ist dabei kritisch. Lichtwechsel müssen synchron erfolgen. Abweichungen von wenigen Millisekunden würden auffallen. Deshalb arbeiten die Systeme mit präziser Zeitsynchronisation – ähnlich wie in Industrieanlagen oder Telekommunikationsnetzen.
Energie, die bleibt
Auch energetisch trennen Welten Feuerwerk und Drohnenshow. Pyrotechnik ist ein Einwegprozess. Material wird verbrannt. Energie ist nach Minuten verloren.
Drohnenshows setzen auf elektrische Energie. Akkus treiben Motoren und LEDs an. Die Herstellung ist ressourcenintensiv – keine Frage. Aber die Systeme sind wiederverwendbar. Dutzende, oft hunderte Einsätze sind möglich. Über den Lebenszyklus relativiert sich der Aufwand.
Der Lärm bleibt gering. Aus der Entfernung klingt ein Drohnenschwarm eher wie leiser Verkehr. Für Tiere und Anwohnende ist das ein spürbarer Unterschied.
Sicherheit wird konstruiert
Feuerwerk trägt immer ein Restrisiko. Drohnenshows verlagern dieses Risiko. Statt Explosionen stehen Systemausfälle im Fokus.
Ingenieurtechnik begegnet dem mit Architektur. Geofencing begrenzt den Luftraum. Redundante Sensoren erkennen Fehler. Notfallroutinen leiten einzelne Drohnen kontrolliert zur Landung. Sicherheit entsteht nicht durch Verzicht, sondern durch Design.
Ein neuer Jahreswechsel – ohne Verlust der Emotion
Drohnenshows ersetzen nicht jedes Feuerwerk. Und sie müssen es auch nicht. Für viele gehört der Knall einfach dazu. Zum Loslassen. Zum Abschließen. Zum Gefühl, dass etwas endet.
Aber sie verändern den Charakter des Moments. Der Knall weicht der Choreografie. Die Zufälligkeit der Kontrolle. Aus technischer Sicht ist das konsequent. Der Jahreswechsel wird weniger chemisch, mehr digital. Der Himmel bleibt emotional. Nur folgt er zunehmend Code.
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