Wie Eis zur Datenfestplatte wird – ganz ohne Elektronik
Luftblasen im Eis als Speicher? Forschende entwickeln ein System zur codierten Datenspeicherung in gefrorenem Wasser – ganz ohne Elektronik.

Beim Frieren von Wasser bilden sich willkürlich Blasen im Eis, Diese lassen sich aber auch gezielt erzeugen und als Datenspeicher nutzen.
Foto: Smarterpix / artoleshko
Im digitalen Zeitalter erscheint es ungewöhnlich, auf ein Speichermedium ohne Strom, ohne Elektronik und ohne bewegliche Teile zu setzen. Doch genau das ist Ziel eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung des Beijing Institute of Technology. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen, wie sich Luftblasen im Eis gezielt anordnen lassen, um Informationen dauerhaft zu speichern.
Die Idee dahinter: In Regionen wie der Antarktis oder Arktis herrschen konstant niedrige Temperaturen. Herkömmliche Speichermedien wie Festplatten oder Papier versagen dort schnell. Ein Datenträger aus Eis hingegen nutzt genau diese Umgebung zu seinem Vorteil – wasserbasiert, energiearm und stabil. Perspektivisch ist auch ein Einsatz auf dem Mars denkbar.
Die Physik hinter der Blasenbildung
Wenn Wasser gefriert, sinkt seine Fähigkeit, Gase zu lösen. Das überschüssige Gas sammelt sich an der Gefrierfront und bildet kleine Blasen. Diese durchlaufen vier Phasen: Zuerst entstehen Keime, die Blasen wachsen, schrumpfen je nach Umgebungsbedingungen und werden schließlich dauerhaft im Eis eingeschlossen.
Die Form dieser Blasen hängt stark von der Geschwindigkeit des Gefrierprozesses ab. Eiförmige Blasen entstehen bei schnellen, nadelförmige bei moderaten Gefriergeschwindigkeiten. Wird zu langsam gefroren, entstehen gar keine Blasen mehr – das Ergebnis ist klares Eis. Dieses Prinzip bildet die Grundlage der Datencodierung.
Steuerung per Kühlplatte
Das Forschungsteam entwickelte ein Experiment, bei dem Wasser zwischen zwei durchsichtigen Kunststoffplatten gefroren wurde. Die untere Platte war kühlbar. Durch gezielte Temperaturänderungen konnten die Forschenden die Gefriergeschwindigkeit beeinflussen – und so die Bildung und Position der Luftblasen im Eis kontrollieren.
Dabei zeigte sich: Eine abrupte Absenkung der Temperatur führte zu einer einzigen Schicht eiförmiger Blasen. Durch sukzessive Änderungen ließen sich sogar mehrere Schichten mit verschiedenen Blasenformen erzeugen – etwa eiförmig, nadelförmig oder ganz blasenfrei. Die Schichten wurden in einem Mindestabstand von 1,5 Millimetern erzeugt.
„Da die Position und Form der Blasen durch die Gefriergeschwindigkeit bestimmt werden, ist es möglich, diese gezielt zu steuern“, erklärt der Maschinenbauingenieur Mengjie Song, einer der Studienautor*innen.
So funktioniert die Eisschrift
Der Prozess zur Datencodierung mit Luftblasen im Eis besteht aus sieben Schritten:
- Nachricht eingeben (z. B. Zahl oder Buchstabe)
- Umwandlung in eine Temperaturkurve
- Gefrieren mit gezielt erzeugten Blasenschichten (BLs)
- Kameraaufzeichnung der Eisscheibe
- Grauwertanalyse entlang der Eishöhe
- Dekodierung anhand des verwendeten Codesystems
- Ausgabe der entschlüsselten Nachricht
Die Forschenden nutzten verschiedene Codiersysteme:
- Morsecode: „Dit“ = klares Eis, „Dah“ = Blasenschicht
- Binärcode: 0 = klares Eis, 1 = Blasenschicht
- Ternärcode: 0 = klares Eis, 1 = eiförmige Blase, 2 = nadelförmige Blase
Besonders der Binärcode erwies sich als robust und leicht umsetzbar.
Codierte Nachricht im Eis
Die nächste Herausforderung bestand darin, diese Blasen als Informationscode zu nutzen. Dazu ordnete das Team den unterschiedlichen Blasentypen symbolische Bedeutungen zu. Klare Eisschichten standen beispielsweise für den Binärwert 0, Schichten mit Blasen für den Wert 1. Auch Morsecode wurde erprobt: Ein kurzer Impuls („Dit“) entsprach klarem Eis, ein langer („Dah“) einer Blasenschicht.
Auf diese Weise konnten arabische Zahlen und Buchstaben gespeichert werden. Besonders praktikabel zeigte sich der Binärcode – er erlaubt eine etwa zehnmal längere Speicherung als der Morsecode.
Auslesen mit Kamera und Software
Um die gespeicherte Nachricht zu entschlüsseln, fotografierten die Forschenden die gefrorenen Eisscheiben. Auf den Bildern erscheinen die blasenfreien Bereiche dunkel, Blasen dagegen hell. Eine Software analysierte die Graustufen entlang der Eishöhe und erkannte daraus automatisch die Position und Form der Blasen. Aus diesen Daten rekonstruierte der Algorithmus die codierte Nachricht – ohne aufwendige Messtechnik oder spezielle Sensoren.
Diese Methode ist besonders energiearm und lässt sich auch mit einfachen Kameras umsetzen. Die Daten sind zudem dauerhaft lesbar, solange die Temperaturen niedrig bleiben.
Anwendungen über die Datenspeicherung hinaus
Die gezielte Anordnung von Blasen im Eis bietet laut dem Forschungsteam noch weitere Einsatzmöglichkeiten. So könnten lineare Blasenschichten als Sollbruchstellen dienen – ähnlich einer Perforation bei Pappe. Das ermöglicht ein sauberes Brechen von Eisschichten in gewünschter Richtung. Eine solche Technik könnte zum Beispiel beim Eisabbau oder der Eisformung Anwendung finden.
Außerdem könnten die Erkenntnisse auf andere Materialien übertragen werden. Beispielsweise könnte man die Blasenbildung in Metallen wie Aluminium besser verstehen – insbesondere dort, wo herkömmliche bildgebende Verfahren versagen. Auch für das gezielte Design von Eisskulpturen sind diese Prinzipien interessant.
Langfristig sehen die Forschenden Potenzial im Einsatz auf dem Mond oder Mars. Stationäre Systeme könnten dort codierte Informationen im Eis ablegen – etwa Statusberichte, wissenschaftliche Beobachtungen oder Warnhinweise. Das Verfahren arbeitet ohne bewegliche Teile, ist robust gegen Strahlung und benötigt weder Strom noch Funktechnik.
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