Covid-19 20.01.2022, 09:41 Uhr

Corona-Impfung: Sind Impfreaktionen nur „eingebildet“?

Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass leichtere Impfreaktionen auf den Nocebo-Effekt zurückzuführen sind. Eine bessere Aufklärung darüber könnte Impfskeptiker überzeugen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Leichtere Beschwerden wie Kopfschmerzen nach der Corona-Impfung könnten häufig auf den sogenannten Nocebo-Effekt zurückzuführen sein, so das Ergebnis einer Studie. Foto: Panthermedia.net/AndrewLozovyi

Leichtere Beschwerden wie Kopfschmerzen nach der Corona-Impfung könnten häufig auf den sogenannten Nocebo-Effekt zurückzuführen sein, so das Ergebnis einer Studie.

Foto: Panthermedia.net/AndrewLozovyi

Krankheitsgefühl und Kopfschmerzen: Was viele Menschen nach der Corona-Impfung erlebt haben, ist vielleicht Folge einer Art Self fulfilling Prophecy. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie, laut der ein großer Teil der empfundenen Impfreaktionen bei den Corona-Impfungen auf den sogenannten Nocebo-Effekt zurückgehen könnte.

Demnach lassen sich rund drei Viertel (76 Prozent) der Patientenmeldungen zu Reaktionen nach der ersten Impf-Dosis, die den ganzen Körper betreffen, auf dieses Phänomen zurückführen. Bei der zweiten Impfdosis trifft das auf etwa die Hälfte der Meldungen zu, schreibt ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Julia Haas, Sarah Ballou und Friederike Bender unter anderem von der Harvard Medical School und der Philipps-Universität in Marburg im Fachmagazin „Jama Network Open“.

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Was ist ein Nocebo-Effekt?

Eher bekannt dürfte den meiste Menschen der Placebo-Effekt sein. Gemeint ist damit, dass positive Erwartungen an ein Präparat dessen Wirksamkeit verstärken kann. Sogar bei Scheinmedikament, das keine spezifischen Inhaltsstoffe hat, kann der Placebo-Effekt zu einer Wirkung führen.

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Beim Nocebo-Effekt ist es umgekehrt. Schon die Erwartung bestimmter eher als negative wahrgenommenen Folgen können dafür sorgen, dass diese tatsächlich zu spüren sind. Dieser Effekt ist unter anderem auch von den auf Beipackzetteln aufgeführten Nebenwirkungen von Medikamenten bekannt. Schon die Erwartung dieser Wirkungen kann tatsächlich zu Schmerzen oder Beschwerden führen. Im Fall der Corona-Impfungen war im Vorfeld prominent und immer wieder über Impfreaktionen diskutiert und berichtet worden.

Wie wurde der umgekehrte Placebo-Effekt festgestellt?

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten zwölf klinische Studien zu Impfungen mit verschiedenen Corona-Impfstoffen mit insgesamt rund 45.380 Teilnehmern, die Impfreaktionen meldeten. 22.802 der Teilnehmer hatten den Impfstoff bekommen, 22.578 ein Scheinpräparat ohne Arzneistoff. Nach der ersten Dosis meldeten rund 35 Prozent der Scheinpräparat-Empfänger Impfreaktionen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit. Nach der zweiten Dosis waren es rund 32 Prozent. Bei den Impfstoff-Empfängern waren es rund 46 Prozent nach der ersten Dosis und rund 61 Prozent nach der zweiten Dosis.

Ein Grund für diesen Effekt könnte in der intensiven Aufklärung über mögliche Folgen der Impfung liegen. „Es gibt Hinweise darauf, dass diese Art von Information dazu führen kann, dass Menschen übliche tägliche Hintergrundempfindungen dann fälschlicherweise auf die Impfung zurückführen, oder Sorgen und Nervosität auslösen, die die Menschen hypersensibel im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen machen“, sagte Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School. Über diesen Aspekt müsse beim Impfen besser aufgeklärt werden, so das Forschungsteam.

Allerdings betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass die vergleichsweise kleine Zahl der analysierten Studien und deren hohe Heterogenität limitierend für das Ergebnis sein kann.

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Unklar ist, wie es sich mit Symptomen wie Schüttelfrost oder einer Erhöhung der Körpertemperatur verhält, von denen viele Menschen vor allem nach der ersten Impfdosis berichteten. Dass derart heftige körperliche Reaktionen auf den Nocebo-Effekt zurückzuführen sein könnten, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

„Die Sorge vor Nebeneffekten ist ein wesentlicher Grund für Impfskepsis. Die Patienten besser über Nocebo-Effekte aufzuklären und mögliche Nebenwirkungen in angemessener Sprache zu thematisieren, könnte sowohl die Impfskepsis verringern als auch die körperlichen Reaktionen nach einer Impfung“, heißt es im Fazit der Studie.

 Nocebo-Effekt hätte Mann fast das Leben gekostet

Schon lange untersuchen Forschende die Folgen des Nocebo-Effekts. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) etwa haben vor vor einigen Jahren festgestellt, dass vermeintlich teure Medikamente diese Wirkung noch verstärken. Den Probanden wurde gesagt, dass es bei Einnahme eines Präparats zu einem erhöhten Schmerzempfinden kommen kann. Diejenigen Studienteilnehmer, die von einem teuren Mittel ausgingen, verspürten nach Einnahme des Scheinmedikaments mehr Schmerz als die übrigen. Im Frontalhirn entstehende Erwartungen beeinflussten die Verarbeitung von schmerzhaften Reizen in tieferen Regionen des Nervensystems, erläuterten die Forschenden. Auch die Verarbeitung von Schmerzreizen im Rückenmark werde verändert.

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Wie mächtig der Nocebo-Effekt allerdings in Einzelfällen sein kann, zeigt ein dramatischer Fall aus den USA. Ein Team um den Psychiater Roy Reeves von der University of Mississippi in Jackson berichtete im Jahr 2007 im Fachmagazin „General Hospital Psychiatry“ über einen jungen Mann, der an einer Antidepressiva-Studie teilnahm und sich mit den ihm überlassenen Psychopharmaka das Leben nehmen wollte. Tatsächlich sackte sein Blutdruck so tief, dass der 26-Jährige in eine Notaufnahme kam. Dort stellten die Ärzte jedoch fest, dass der Mann zu jener Hälfte der Studienteilnehmer gehörte, die ein Scheinmedikament bekommen hatten. Als der Mann davon erfuhr, verschwanden die Symptome rasch. (mit dpa)

Ein Beitrag von:

  • Peter Sieben

    Peter Sieben schreibt über Forschung, Politik und Karrierethemen. Nach einem Volontariat bei der Funke Mediengruppe war er mehrere Jahre als Redakteur und Politik-Reporter in verschiedenen Ressorts von Tageszeitungen und Online-Medien unterwegs.

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