Schon an der Quelle vermeiden 07.06.2013, 12:20 Uhr

EU verschärft Obergrenzen für Arzneimittelrückstände im Wasser

Europas Flüsse und Seen sollen sauberer werden. Die EU führt neue Obergrenzen für Schadstoffe ein und will den Eintrag von Arzneimitteln begrenzen. Die Wasserwirtschaft müht sich derzeit um den Ruf der Wasserqualität. Dennoch werden einige deutsche Oberflächengewässer ab 2015 wohl keine gute chemische Qualität mehr aufweisen.

Moderne Kläranlagen haben Probleme mit Medikamentenrückständen, die über den Menschen ins Abwasser und später in die Flüsse geraten. Dort können sie die Fische schädigen.

Moderne Kläranlagen haben Probleme mit Medikamentenrückständen, die über den Menschen ins Abwasser und später in die Flüsse geraten. Dort können sie die Fische schädigen.

Foto: BMU/H.-G. Oed

Im Fokus der Wasserwirtschaft steht die Richtlinie über Umweltqualitätsnormen (UQN-RL) im Bereich Wasserpolitik aus dem Jahr 2008. Das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten hatten die UQN-RL im April aktualisiert. Im Juni werden das Parlament und der Umweltrat die neue Richtlinie formal verabschieden.

Der irische Umweltminister Phil Hogan spricht von einem guten Ergebnis für Europas Wasser. Die Richtlinie enthält bislang UQN für 33 Schadstoffe wie Benzol und eine Reihe von Chlorverbindungen. Die EU hat nun UQN für sieben dieser Schadstoffe – etwa für Quecksilber und die Gruppe der polybromierten Diphenylether (PBDE) – verschärft sowie neue UQN für zwölf weitere Schadstoffe eingeführt.

„Die EU-Staaten erhalten viel Zeit, die neuen Werte einzuhalten“, bemängelt Almut Bonhage, Generalsekretärin vom Europäischen Dachverband der Wasserwerke Eureau. Die verschärften UQN sollen erst ab 2021 eingehalten werden, die UQN für die zusätzlichen Stoffe ab 2027.

80 % der deutschen Gewässer sind sauber

Die deutsche Wasserwirtschaft, die traditionell viel für die Gewässergüte tut, kann sich dennoch nicht zurücklehnen. 2009 wiesen zwar rund 80 % der hiesigen Seen und Flüsse einen guten chemischen Zustand auf, „für einige Gewässer aber gab es ein falsch positives Bild“, weiß Christiane Heiß vom Umweltbundesamt (UBA) in Dessau. Ein Grund: Die UQN-RL wurde erst 2011 in deutsches Recht umgesetzt. Daher gab es 2009 größere Datenlücken zur Belastung der Gewässer mit Stoffen wie Hexachlorbenzol, Tributylzinn (TBT), Cadmium und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK).

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UBA-Expertin Heiß erwartet, dass 2015 – wenn Deutschland die EU-Kommission zum zweiten Mal nach 2009 über den chemischen Zustand der Gewässer informieren muss – die UQN für diese Substanzen in manchen Gewässern überschritten sein werden.

„Spätestens 2021 müssen die Bundesländer diese Gewässer dann weitestgehend mit Rot kennzeichnen“, meint Heiß. So schreibt die aktualisierte UQN-RL vor, den Gehalt von Quecksilber, PBDE sowie von Dioxinen und Furanen direkt in Fischen, Muscheln oder anderen Wasserorganismen zu messen. Fischproben der UBA-Umweltprobenbank zeigten aber, dass etwa die UQN für Quecksilber und PBDE sehr häufig sowie bei Dioxinen und Furanen häufig selbst in naturnahen Gewässern überschritten sind.

Die Hälfte der Schadstoffe im Wasser sind langlebig

Die Wasserwirtschaft steht vor zwei Herausforderungen: Rund die Hälfte der Schadstoffe sind langlebig und belasten die Gewässer für lange Zeit. Zudem gelangen immer mehr Spurenstoffe wie Biozide oder Arzneimittel in die Gewässer. Die meisten Kläranlagen können Spurenstoffe aber nicht beseitigt, sagt Heiß: „Für den Schutz der Gewässer vor diesen Stoffen braucht es weitere Maßnahmen über die dritte Reinigungsstufe hinaus.“

Das weiß auch der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Er hält daher UQN, die langfristig nicht leicht einzuhalten und mit den jetzigen Messmethoden nur mühsam nachweisbar sind, für kontraproduktiv. „Sie können Bürgern nur schwer vermittelt werden, ohne dass unnötige Verunsicherungen entstehen“, meint Martin Weyand. Der BDEW-Hauptgeschäftsführer für Wasser und Abwasser blickt auf Wasserwerke, die Oberflächenwasser für Trinkwasser aufbereiten. Sie würden teilweise Wasser nutzen, das keinen guten chemischen Zustand mehr aufweist, obwohl es für Menschen harmlos ist.

Schmerzmittel Diclofenac schädigt die Niere von Fischen

„Der Mensch ist nicht per se das empfindlichste Lebewesen gegenüber Wasserschadstoffen“, entgegnet Heiß. Zwei Beispiele: Arzneimittel sollen Menschen heilen, können aber selbst in geringsten Konzentrationen Tierarten schädigen. So schädigt etwa das Schmerzmittel Diclofenac die Niere von Fischen. Und das natürliche Schwangerschaftshormon Östradiol sowie das synthetische Hormon Ethinylöstradiol der Antibabypille können zur Verweiblichung der Fischbestände führen.

In Brüssel ist strittig, ob UQN für Diclofenac, Östradiol und Ethinylöstradiol nötig sind, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte und das UBA es begrüßt. Die Mehrheit im Europaparlament (EP) und die meisten der EU-Staaten halten das für verfrüht – wie auch der BDEW. Für Diclofenac bezweifelten die Politiker sogar die wissenschaftliche Grundlage des UQN-Wertes. „Und es fehlen Belege, ob die Gewässergehalte der beiden hormonell wirksamen Stoffe in vielen EU-Staaten die Fortpflanzung von Fischen wirklich gefährden“, sagt der österreichische Umweltpolitiker Richard Seeber.

Wegen der Zweifel haben das EP wie auch die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen, diese drei Stoffe auf eine Beobachtungsliste zu setzen, um mehr über Umweltrelevanz der Substanzen zu erfahren. Von 2015 an wird der Gehalt dieser Verbindungen an 223 Orten europaweit gemessen – 24 davon in Deutschland. Zudem haben EP und Rat die EU-Kommission beauftragt, bis Mitte 2015 eine Strategie vorzulegen, wie sich Einträge von Arzneimitteln in Gewässer senken lassen.

Eintrag von Pharmaka an der Quelle vermeiden

Das freut Eureau-Generalsekretärin Bonhage: „Die Einträge von Pharmaka müssen in erster Linie an der Quelle vermieden und nicht aufwendig in Kläranlagen, einer typischen End-of-pipe-Technologie, herausgeholt werden.“

Bisher wird die pharmazeutische Industrie in Deutschland weder bei der Entsorgung von Altmedikamenten noch bei Schäden an der Umwelt, die durch Arzneimitteleinträge entstehen, in Verantwortung genommen, ergänzt Weyand. Der BDEW setzt sich daher für ein verpflichtendes Sammelsystem für Altmedikamente ein. Er hält es auch für notwendig, bei Indirekteinleitern wie Krankenhäusern und Spezialkliniken Wege zu finden, diese Wirkstoffe zurückzuhalten.

Die meisten Arzneimittel gelangen jedoch über Ausscheidungen in privaten Haushalten ins Abwasser, so Heiß. „Ohne weitere Reinigungsschritte des Abwassers wird es daher auf Dauer nicht gehen.“ Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg testen bereits Verfahren, um Brauchwasser optimal von Spurenstoffen wie Arzneimitteln oder Flammhemmern zu befreien. Es geht dabei unter anderem um eine gezielte Filterung mit Aktivkohle oder einen beschleunigten Abbau langlebiger Stoffe durch Ozon. Wobei es selbst mit einer weiteren Reinigungsstufe nicht möglich sein werde, alle bedenklichen Stoffe herauszufiltern, ergänzt Weyand.

Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

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