Blackout-Gefahr? 13.11.2025, 15:32 Uhr

Dunkelflaute in Deutschland: Das passiert ohne Wind und Sonne

Die Dunkelflauten-Saison hat begonnen: Am Wochenende lieferten Wind und Solar nur rund 3 % ihrer Leistung. Was bedeutet das für die Energieversorgung?

Je nach Definition gibt es 5 bis 10 Dunkelflauten pro Jahr. Foto: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Je nach Definition gibt es 5 bis 10 Dunkelflauten pro Jahr.

Foto: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Die erste Dunkelflaute des Winters liegt hinter uns: Am Wochenende lieferten Wind und Photovoltaik bei einer installierten Gesamtleistung von 163 GW nach Prognosen des Fraunhofer IEE zeitweise unter 5 GW – nur rund 3 % ihrer Kapazität. Den Strombedarf bezifferte das Science Media Center in dieser Zeit auf 38 bis 55 GW.

Eine klassische Dunkelflaute. Doch was bedeutet das wirklich für Deutschlands Energieversorgung? Droht bei Windstille und bewölktem Himmel ein Blackout – vor allem, wenn bis 2045 die letzten Kohlekraftwerke stillgelegt werden sollen?

Was ist eine Dunkelflaute?

Eine einheitliche Definition für den Begriff „Dunkelflaute“ existiert nicht. Von daher kann man sie als Wetterphasen verstehen, in denen weder Sonne scheint noch Wind weht. Für Deutschlands Energiesystem ist das relevant, weil Wind- und Solarenergie inzwischen oft die tragenden Säulen der Stromerzeugung sind. Ende Juni 2025 waren in Deutschland laut Deutsche Windguard Windräder mit 65,4 GW installiert, die Photovoltaik (PV) erreichte laut Statistischem Bundesamt 98,3 GW– zusammen rund 164 GW, etwa 60 % der deutschen Stromversorgung.

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Das Fraunhofer ISE spricht von einer Dunkelflaute, wenn Wind- und Solaranlagen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen weniger als 10 % des deutschen Strombedarfs decken. Im vergangenen Jahr gab es acht Tage, an denen diese Marke unterschritten wurde – daraus resultierten drei Dunkelflauten. Andere Studien sprechen ab einer Schwelle von 2, 5 oder 10 %  der installierten Leistung von einer Dunkelflaute. Je niedriger der Schwellenwert ist, desto seltener gibt es logischerweise eine Dunkelflaute – allerdings ist sie dann extremer.

Doch welche Definition man auch verwendet – Dunkelflauten sind die Ausnahme. Laut Berechnungen des Fraunhofer-Institut IEE treten sie in Deutschland fünf bis zehn Mal pro Jahr auf.

Welche Faktoren bestimmen, wie kritisch eine Dunkelflaute wird?

  1. Die Ausbreitung: Eine lokal begrenzte Phase mit schwachem Wind und wenig Sonne lässt sich relativ leicht durch Stromimporte ausgleichen. Erstreckt sich das Tief jedoch über mehrere Regionen, wird es komplexer.
  2. Die Temperatur: Besonders kritisch wird es, wenn gleichzeitig Kälte herrscht. Denn bei Minusgraden steigt der Strombedarf – vor allem, wenn mehr Wärmepumpen am Netz sind.
  3. Der Zeitpunkt: Im Winter ist der Energiebedarf generell höher, während PV-Anlagen weniger produzieren. Besonders oft gibt es Dunkelflauten daher zwischen November und Februar.

Wie Deutschland heute mit Dunkelflauten umgeht

Am Wochenende des 8. und 9. November 2025 zeigte sich die Dunkelflaute deutlich in den Erzeugungsdaten: Die Gesamtstromerzeugung sank laut den Energy-Charts des Fraunhofer ISE von 1.367 GWh am Dienstag (4. November) auf nur noch 934 GWh am Sonntag (9. November) – ein Rückgang um rund ein Drittel. Wind und Solar lieferten an diesem Tag praktisch nichts: Während sie am Montag (3. November) noch etwa 500-600 GWh zur Stromerzeugung beitrugen, erzeugten sie am Sonntag zusammen unter 100 GWh.

Am Abend des 9. November klaffte dann eine Lücke zwischen Grünstromangebot und -bedarf. Wie wurde sie geschlossen?

  • Braunkohle, Erdgas und Steinkohle deckten am Sonntag zusammen über 80 % der Stromerzeugung – mehr als 750 GWh der insgesamt 934 GWh. Zum Vergleich: Zu Wochenbeginn hatten die fossilen Kraftwerke aufgrund des guten Winds nur etwa ein Drittel beigetragen.
  • Europäischer Stromverbund: Deutschland importierte Strom aus Nachbarländern. Das europäische Verbundnetz funktioniert als gegenseitige Versicherung: Länder unterstützen sich, wenn bei einem die Erzeugung knapp wird. Die Bundesrepublik kann dabei sowohl Importeur als auch Exporteur sein, je nachdem, wo gerade günstiger produziert wird.
  • Lastmanagement: Industriebetriebe mit flexiblen Produktionsprozessen können ihren Stromverbrauch zeitweise drosseln oder verschieben.
  • Speicher: Pumpspeicherkraftwerke und Batteriespeicher gleichen kurzfristige Schwankungen aus. Ihre Kapazität reicht aber noch nicht, um mehrtägige Dunkelflauten zu überbrücken.

Sind die Preisspitzen ein Problem für Verbraucher?

Während Dunkelflauten schnellen die Strompreise in die Höhe. An Spitzentagen kostet die Kilowattstunde über 1 € – mehr als das Zwölffache des Normalpreises von etwa 8 Cent. Prof. Dr. Oliver Ruhnau von der Universität zu Köln beschrieb für das Science Media Center (SMC) das Muster: „Während einer Dunkelflaute schwankt der Strompreis: Morgens und abends ist er meist besonders hoch, während er nachts wegen der geringeren Last und tagsüber wegen der – wenn auch geringen – Solarstromerzeugung etwas zurückgeht.“

Energieökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) führt dies auf die fossilen Kraftwerke zurück: „Kurzfristige Flauten führen oft zu temporären Strompreisspitzen, weil in Zeiten knapper Erzeugung teure konventionelle Kraftwerke zum Einsatz kommen.“

Für Privathaushalte bleiben die Börsenschwankungen aber weitgehend unsichtbar: Die meisten Verbraucher haben Festpreisverträge, die kurzfristige Preisausschläge nicht weitergeben.

Die Lösung: Ein diversifiziertes Flexibilitätssystem

Die entscheidende Frage lautet: Wie lässt sich die Versorgungssicherheit aufrechterhalten, wenn in den kommenden Jahren die Kohlekraftwerke vom Netz gehen? Die Antwort der Forschung ist eindeutig uneindeutig: durch ein diversifiziertes System aus Energiespeichern, Back-up-Kraftwerken und intelligentem Lastmanagement.

Kurzfristig (Stunden)

Batteriespeicher können kurzfristige Schwankungen innerhalb von Stunden ausgleichen. Sie laden auf, wenn es ein Überangebot gibt – etwa mittags, wenn PV-Anlagen auf Hochtouren laufen – und entladen bei Bedarf. Ihr Ausbau schreitet rasant voran, doch für mehrtägige Dunkelflauten reicht ihre Kapazität nicht aus.

Auch Pumpspeicher eignen sich für den Lastausgleich über mehrere Stunden bis Tage. Wärmespeicher in Fernwärmenetzen können ebenfalls Flexibilität bereitstellen, indem sie Wärme speichern und bei Bedarf wieder abgeben. Das entlastet insbesondere Stromnetze, an die viele Wärmepumpen angeschlossen sind.

Mittelfristig (Tage)

Flexible Biogasanlagen und dezentrale Blockheizkraftwerke (BHKW) bzw. Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) sind im Gegensatz zu Wind und Sonne steuerbar und können gezielt in Dunkelflauten einspringen.

Langfristig (Wochen)

Eine oft diskutierte Technologie für die Überbrückung längerer Dunkelflauten sind wasserstoffbasierte Kraftwerke. Das Forschungszentrum Jülich hat für eine Klimaneutralität im Jahr 2045 ein Szenario durchgerechnet: Rund 50 GW Wasserstoff-Gasturbinen wären optimal, um selbst eine zweiwöchige kalte Dunkelflaute im Januar zu überstehen. Diese Kraftwerke würden insbesondere im Norden nahe den Salzkavernen platziert, in denen Wasserstoff gespeichert wird, sowie nahe großen Industriezentren.

Dr. Jann Weinand vom Forschungszentrum Jülich präzisiert gegenüber dem SMC: „Auf europäischer Ebene zeigen unsere Modellierungen bis 2050, dass selbst bei Dunkelflauten von bis zu drei Wochen der Einfluss auf die Gesamtkosten mit unter 4 % gering bleibt.“

Bis 2030 sollen laut Weinand 6 GW solcher Kraftwerke installiert sein. Gelingt das nicht, müssten womöglich Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben.

Dunkelflauten sind (noch) beherrschbar

Deutschlands Stromsystem verkraftet Dunkelflauten heute problemlos. Trotz mehrstündiger Phasen mit minimaler Wind- und Solarproduktion blieben die Lichter auch am letzten Wochenende an – ohne Blackout oder Rationierung. Doch das Fundament der Versorgungssicherheit ist fossil.

Dieses Fundament bröckelt – und das ist nicht unbedingt schlecht. Denn Technologien für eine Zeit nach der Kohle existieren. Prof. Claudia Kemfert vom DIW bringt es auf den Punkt: „Für längere Dunkelflauten braucht es saisonale Speicher und engere europäische Kooperation – keine fossilen Reservekapazitäten, sondern ein intelligentes Zusammenspiel vieler Flexibilitätsbausteine.“

Wie bei jedem Energie-Thema fehlt es vor allem an Zeit. Genehmigungen, Netzausbau, Investitionen: Alles braucht Vorlauf, und zwischen Planung und Installation vergehen Jahre. Dunkelflauten bleiben daher ein fester, aber berechenbarer Bestandteil des Energiesystems.

Quellen
Science Media Center (2025): Auftakt der Dunkelflautensaison: Wie erkennt und beherrscht man sie? 7. November 2025. sciencemediacenter.de
Science Media Center (2025): Wie man Dunkelflauten (im Voraus) erkennt. Data & Facts, 6. November 2025.
Ohlendorf N et al. (2020): Frequency and duration of low-wind-power events in Germany. Environmental Research Letters 15, 084045. DOI: 10.1088/1748-9326/ab91e9.
Statistisches Bundesamt (2025): 4,2 Millionen Photovoltaikanlagen in Deutschland installiert. Pressemitteilung Nr. N034, 4. Juli 2025.
Deutsche Windguard (2025): Status des Windenergieausbaus an Land – Halbjahr 2025.
Bundesnetzagentur (2025): Dunkelflaute? Kein Grund zur Panik. Insight Blog.
Amprion (2025): Marktbericht 2025.
Fraunhofer ISE: Energy-Charts. energy-charts.info
Klütz T et al. (2024): Wege zum Netto-Null-Energiesystem: Regionale Lupe auf Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft. Forschungszentrum Jülich.
Klütz T et al. (2024): Europäische Energiewende: Deutschland im Herzen Europas. Forschungszentrum Jülich.

Ein Beitrag von:

  • Magnus Schwarz

    Magnus Schwarz schreibt zu den Themen Wasserstoff, Energie und Industrie. Nach dem Studium in Aachen absolvierte er ein Volontariat und war mehrere Jahre als Fachredakteur in der Energiebranche tätig. Seit Oktober 2025 ist er beim VDI Verlag.

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