CO₂-reduzierter Beton im Praxistest: EDGE Friedrichspark in Berlin
Pilotprojekt in Berlin zeigt: CO₂-reduzierter Beton kann in der Praxis bestehen – mit KI, Naturecem 65 und enger Teamarbeit.

Die Baustelle des EDGE Friedrichspark im Dezember 2024. Ingesamt wurden dort 12.000 Kubikmeter CO2-neutraler Transportbeton verbaut.
Foto: picture alliance / Caro/Ruffer
Im EDGE Friedrichspark in Berlin wird mit einem CO₂-reduzierten Zement gebaut. Naturecem 65 ersetzt teilweise klassischen Klinker und wird durch KI-gestützte Qualitätskontrolle begleitet. Der Artikel dokumentiert die Zusammenarbeit von EDGE, ZÜBLIN, Spenner und alcemy und gibt Einblicke in die technische Umsetzung, Herausforderungen und Erkenntnisse auf der Baustelle.
Inhaltsverzeichnis
- Ein Pilot wird zur Realität
- Was steckt hinter Naturecem 65?
- Rolle der KI bei der Betonüberwachung
- Von der Skepsis zur Praxis
- Herausforderung Norm
- Nachhaltigkeit beginnt bei der Planung
- Vom Pilotprojekt zur Serie
- Was bleibt?
- EDGE Friedrichspark – nachhaltiger Bau im städtischen Kontext
- Fokus auf klimaorientierte Bauweise
Ein Pilot wird zur Realität
Zwischen dem Berliner Ostbahnhof und dem Wriezener Park entsteht derzeit ein Bürokomplex mit einem klaren Ziel: ein CO₂-neutraler Betrieb – im Bau und später im Betrieb. Das Projekt trägt den Namen EDGE Friedrichspark. Was dieses Vorhaben besonders macht, ist nicht nur die Architektur oder das Energiekonzept, sondern vor allem der Beton.
Insgesamt 12.000 m³ Transportbeton wurden auf der Baustelle verbaut – hergestellt mit Naturecem 65 (PKH), einem neuartigen Zement mit reduziertem CO₂-Fußabdruck. Entwickelt wurde er von Spenner Zement, produziert und geliefert von Spenner Herkules, kontrolliert und überwacht in Echtzeit durch das KI-System von alcemy. Realisiert wurde das Ganze gemeinsam mit ZÜBLIN als ausführendem Bauunternehmen und EDGE als Projektentwickler.
Was steckt hinter Naturecem 65?
Der Zement Naturecem 65 PKH zeichnet sich durch seinen reduzierten Klinkergehalt aus. Statt der üblichen 20 % wurde der Anteil an Kalksteinmehl auf 37 % erhöht. Das bedeutet: Weniger CO₂-intensive Klinkerbestandteile, weniger Hochtemperaturprozesse – und damit weniger Emissionen bei der Herstellung.
Ein Sprecher von Spenner sagt: „Wir haben es geschafft, den Klinker- und Hüttensandanteil zu senken und durch Kalksteinmehl zu ersetzen. Das ist wichtig, denn Hüttensand wird künftig knapp, da die Stahlproduktion in Europa zurückgeht.“
Der Zement ist inzwischen durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) für alle wichtigen Expositionsklassen zugelassen – das bedeutet: Er kann nahezu überall eingesetzt werden, auch im konstruktiven Hochbau.
Expositionsklassen definieren die Umwelteinflüsse, denen ein Betonbauteil ausgesetzt ist. Sie sind entscheidend für die Wahl des richtigen Betons. Beispiele:
• XC: Korrosion durch Karbonatisierung (z. B. in Innenräumen)
• XD: Korrosion durch Chloride aus Tausalz (Straßen, Brücken)
• XF: Frost- und Frost-Tausalz-Angriff (z. B. Außenflächen)
• XA: Chemischer Angriff (z. B. Abwasserbauwerke)
Naturecem 65 ist für alle relevanten Expositionsklassen zugelassen – das ermöglicht den Einsatz auch in anspruchsvollen Baubereichen.
Rolle der KI bei der Betonüberwachung
Ein zentrales Element war die Echtzeit-Qualitätskontrolle mithilfe der KI-gestützten Plattform von alcemy. Diese Technologie begleitet den gesamten Prozess – von der Zementproduktion bis zum Einbau auf der Baustelle. So konnten Abweichungen sofort erkannt und Anpassungen direkt vorgenommen werden.
ZÜBLIN und Spenner berichten, dass die Plattform nicht nur Transparenz schuf, sondern auch das Vertrauen zwischen den Beteiligten stärkte.
„Die Baustelle wurde für die alcemy-App freigeschaltet. So konnten wir Lieferungen in Echtzeit verfolgen – ein deutlicher Zugewinn für die Kommunikation vor Ort“, so ein Projektleiter.
Von der Skepsis zur Praxis
Der Einsatz eines neuen Zements bringt immer Unsicherheiten mit sich. Besonders in Bezug auf Festigkeitsentwicklung, Verarbeitungseigenschaften und Schalzeiten. Doch die Tests vorab – unter anderem mit Probepumpungen – zeigten, dass der neue Beton problemlos die oberen Etagen erreichen konnte.
Frank Brüger, Polier auf der Baustelle, erinnert sich: „Die anfänglichen Bedenken haben sich nicht bestätigt. Der Beton ließ sich gut verarbeiten. Beim Abziehen war er etwas zäher, aber das Ergebnis war solide.“
Herausforderung Norm
Ein wesentlicher Hemmschuh bei der breiten Einführung solcher Zemente sind aktuell noch die baurechtlichen Normen in Deutschland. Da neue Zemente wie Naturecem 65 bisher nicht in allen Normen enthalten sind, müssen sie über abZ – allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen – eingeführt werden. Dies bedeutet: Mehr Prüfaufwand, mehr Dokumentation, mehr Kommunikation.
Spenner betont: „Ohne alcemy hätten wir das Projekt in dieser Form gar nicht stemmen können – schon allein aus Kapazitätsgründen. Die App hat einen wichtigen Teil zur Logistik und Abstimmung beigetragen.“
Nachhaltigkeit beginnt bei der Planung
EDGE als Bauherr hatte bereits vor dem Projekt konkrete Anforderungen an den CO₂-Fußabdruck des Gebäudes definiert. Ziel war ein komplett CO₂-neutraler Betrieb. Neben Beton mit reduziertem Emissionsprofil umfasst das Konzept:
- Ein Eisspeichersystem zur klimafreundlichen Gebäudetemperierung
- Eine Photovoltaikanlage mit über 2.000 m² Fläche
- Wärmepumpen zur Wärme- und Kälteversorgung
- Reduzierter Materialeinsatz durch angepasste Stützenraster und Hohlkörperdecken
Die eingesparten Emissionen im Bereich Beton liegen laut alcemy bei rund 50 % pro Kubikmeter – verglichen mit Standardbeton.
Vom Pilotprojekt zur Serie
Die Projektbeteiligten hatten bereits erste Erfahrungen im EDGE East Side Tower gesammelt, wo eine obere Etage mit Naturecem 65 gegossen wurde. In Friedrichspark wurde das Konzept dann flächendeckend angewandt – ohne Testbetrieb, sondern als vollständiges Bauvorhaben.
Ein Projektleiter resümiert: „Wir wollten zeigen, dass CO₂-reduzierter Beton im regulären Bauprozess funktioniert – ohne Einschränkungen bei Qualität oder Zeitplan.“
Was bleibt?
Am Ende steht ein Projekt, das mehr war als eine technische Umsetzung. Es war eine Zusammenarbeit zwischen Herstellenden, Planenden, Ausführenden und Überwachenden. Ein Beispiel dafür, wie CO₂-reduzierte Baustoffe in den Alltag des Bauens integriert werden können – ohne Kompromisse bei Qualität und Zeit.
Ob sich CO₂-armer Beton in Zukunft wirtschaftlich durchsetzt, hängt laut Spenner auch vom Markt ab: „Wenn die Nachfrage steigt, gleichen sich die Preise an. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um sich aufzustellen.“
EDGE Friedrichspark – nachhaltiger Bau im städtischen Kontext
Mit dem EDGE Friedrichspark entsteht im Berliner Stadtteil Friedrichshain ein Bürokomplex, der Nachhaltigkeit, Digitalisierung und urbane Integration vereint. Das Projekt wird auf dem historischen Gelände des ehemaligen Wriezener Bahnhofs errichtet. Die Lage zwischen Ostbahnhof, Warschauer Straße und dem Wriezener Park verbindet Verkehrsanbindung mit städtischer Durchlässigkeit – ein zentrales Element im architektonischen Konzept.
Insgesamt sollen rund 39.000 Quadratmeter Nutzfläche geschaffen werden. Drei Baukörper mit unterschiedlichen Nutzungseinheiten gliedern das Gelände. Während die oberen Etagen moderne Büroflächen beherbergen, ist im Erdgeschoss ein Mix aus Gastronomie, Einzelhandel und Sportangeboten vorgesehen. Öffentliche Wege führen durch das Areal und verknüpfen es mit der umliegenden Nachbarschaft.
Fokus auf klimaorientierte Bauweise
Das Projekt wurde von GRAFT Architekten gemeinsam mit DGI Bauwerk entworfen. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf gestalterischer Qualität, sondern auf klimaorientierter Bauweise: Der EDGE Friedrichspark strebt einen komplett CO₂-neutralen Betrieb an – unter anderem durch die Nutzung von Wärmepumpen, einem Eisspeichersystem und einer Photovoltaikanlage mit über 2.000 Quadratmetern Modulfläche.
Ein weiterer Baustein im Nachhaltigkeitskonzept ist die durchdachte Flächennutzung. Der begrünte Innenhof mit rund 3000 Quadratmetern trägt zur Mikroklimaverbesserung bei. Darüber hinaus sind 500 Fahrradstellplätze sowie 84 Pkw-Stellplätze eingeplant – ein Signal für multimodale Erreichbarkeit.
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