Studium 26.08.2011, 12:08 Uhr

Der Stress im Studium steigt an

Studierende stehen immer häufiger unter psychischem Stress. Das ergab unlängst eine Studie der Techniker Krankenkasse

Glaubt man einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse (TK), dann liegen an Deutschlands Hochschulen die Nerven blank – und werden immer häufiger mit Psychopharmaka beruhigt.

Von 400 Studierenden gaben 16 zu, ihren Hochschulalltag nur noch mithilfe von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln zu überstehen. Und immer mehr psychologische Berater an den Hochschulen stellen im Gespräch das Burn-out-Syndrom fest – eine Stress-Erkrankung, die man bis vor ein paar Jahren bei Managern mit Budgetverantwortung, nicht aber bei 20-jährigen Studenten vermutet hätte.

Bachelor und Master erhöhen Stress im Studium

Ein immenser Druck lastet auf den Akademikern von morgen. Und daran trägt auch die Umstellung auf die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master Schuld. Viele Studenten leiden unter der auf wenige Semester verteilten Stofffülle und dem Klausurenmarathon. Auch die Ingenieurstudenten. Eigentlich sollte die Bologna-Reform das Studium straffen und studierbarer machen. Tatsächlich aber sind die Studienabbruchzahlen zum Teil gestiegen. Besonders Ingenieurstudiengänge an Fachhochschulen verzeichnen laut Erhebungen der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) mehr Studienabbrecher als zu Diplomzeiten. Die Quote liegt zwischen 30 % und 40 %.

Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), sagt: „Nein, der Bachelor als solcher macht nicht krank.“ Und das trifft sicherlich zu. Doch haben sich zur Bologna-Reform Studiengebühren, ein vielerorts hoher Numerus clausus und die Aussicht, nur mit Bestnoten einen Platz in einem weiterführenden Master-Studiengang zu ergattern, gesellt. Das hat das (Selbst-)Bewusstsein vieler Studierenden verändert.

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Wilfried Schumann, Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle in Oldenburg, die gemeinsam von der Universität und dem Studentenwerk getragen wird, bestätigt dies: „Die Studierenden setzen sich selbst stark unter Druck. Und oft setzen auch die Eltern sie mit ihrer Erwartungshaltung unter Zugzwang. Hinzu kommt, dass viele Studierende nebenher jobben. Das sorgt für zusätzlichen Terminstress.“

„Bulimie-Lernen“: Ein weit verbreitetes Phänomen unter Studierenden

Weit verbreitet sei das Phänomen ‚Bulimie-Lernen’. Schumann: „Die Studenten ziehen sich das Wissen in großer Geschwindigkeit rein und spucken es anschließend wieder aus, ohne dass viel davon hängen bleibt. Ich versuche ihnen klar zu machen, dass dieser massive Selbstdruck schädlich für die Psyche und letztlich auch für den Körper ist.“

Unter rund 500 Beratungsfällen pro Studienjahr verzeichnen Schumann und seine Kollegen etwa drei bis vier Fälle von Burn-out. Die Anzeichen: Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Magenschmerzen, rapider Leistungsabfall und Antriebslosigkeit. Dann hilft oft nur noch, das Studium für eine Weile zu unterbrechen. Schumann:“Ich versuche, Studierende davon zu überzeugen, dass es bei der Jobsuche niemanden interessieren wird, ob sie das Studium in sechs, sieben oder acht Semestern absolviert haben. Gerade die zukünftigen Ingenieure haben die demografische Entwicklung auf ihrer Seite, weil Fachkräfte händeringend gesucht werden – und daran wird sich in den kommenden Jahren nichts ändern.“

Auch Stipendiengeber ließen oft mit sich reden. Und es müsse das Gespräch mit Professoren gesucht werden. Genau hier setzt die TU Darmstadt an. Um zu verhindern, dass Bachelor-Studierende stressbedingt auf der Strecke bleiben, hat der Fachbereich Maschinenbau vor drei Jahren ein festes Netz aus Beratungsgesprächen und Projektveranstaltungen etabliert. Es beginnt bereits vor dem Studium mit ausführlichen Auswahlgesprächen. „Wenn wir den Eindruck haben, Maschinenbau ist nicht das Richtige für den jungen Mann oder die junge Frau, lehnen wir Studienbewerber auch ab“, erläutert Manfred J. Hampe, Professor für Thermische Verfahrenstechnik.

Jeder Studierende bekommt einen Mentor, mit dem er nach dem ersten Studienjahr ein Bilanzgespräch führt. „Probleme und Erfolge im Studium werden besprochen und gemeinsam nach Perspektiven gesucht“, sagt Hampe.

Und: Fast ebenso wichtig für den Studienerfolg sei „ein Wohlfühlfaktor und das Empfinden, an der Universität sozial eingebunden zu sein“, weiß Hampe. Deshalb durchlaufen alle Studienanfänger eine praxisbezogene Projektwoche. „Daraus ergeben sich später fast immer feste Lerngruppen. Und Freundschaften.“ Tatsächlich ist die Abbrecherquote bis zum sechsten Fachsemester in Darmstadt um 10 % gesunken und liegt mittlerweile bei knapp 20 %.

Die Bologna-Reform verhindert ein Studium ohne übermäßigen Stress

Auch andere Hochschulen lassen sich etwas einfallen. Hilfe von Studierenden für Studierende bietet seit ein paar Monaten die Pädagogische Hochschule Schwäbisch-Gmünd. Dort haben Studenten im Studiengang Gesundheitsförderung ein Stress-Manual geschrieben: „Lässig statt stressig durchs Studium.“ Sie haben dafür Kommilitonen befragt oder eigene Erfahrungen verarbeitet. Studentin und Mit-Autorin Christina Treuter sagt: „Am häufigsten habe ich den Satz gehört: ‚Meistens schlafe ich gar nicht erst ein, wenn ich abends im Bett überlege, was ich am nächsten Tag alles machen muss’.“

Eva Brunner, die das Projekt als Professorin betreut hat, bestätigt: „Der Zeitfaktor ist für die meisten Bachelor-Studierenden ein großes Problem. Ebenso wie das Empfinden, die Kommilitonen in erster Linie als Konkurrenten um die begehrten Master-Plätze betrachten zu müssen. Ein entspanntes Studieren ist so gar nicht möglich. Das ist ganz klar eine negative Begleiterscheinung der Bologna-Reform.“

Das Online-Handbuch zum Herunterladen versammelt Selbsttests in Fragebogenform mit Lösungsvorschlägen, Erfahrungsberichte und praktische Hinweise auf psychologische Anlaufstellen. Vor allem aber: Die Autoren betonen, dass es keine Schande sei, wenn man sein Studium nicht packt und stattdessen ganz abbricht. Das haben auch TV-Mann Günther Jauch, Telekom-Chef René Obermann und Microsoft-Gründer Bill Gates getan. Und man kann nicht behaupten, dass aus ihnen nichts geworden wäre.

Ein Beitrag von:

  • Mareike Knoke

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